Beeinflussung neuer Gesetze Kritik an kommunalen Spitzenverbänden wegen mangelnder Transparenz

Wie werden neue Gesetze in Thüringen beeinflusst? Kommunalverbände in der Kritik

20. Dezember 2022, 09:23 Uhr

Thüringen hat sich als Vorreiter mehr Transparenz verordnet: Jeder soll erfahren, wer neue Gesetze wie beeinflusst. Doch Kommunalverbände schränken die neue Offenheit systematisch ein. Das stößt auf Unmut.

Die kommunalen Thüringer Spitzenverbände stehen wegen eingeschränkter Transparenz bei Gesetzesvorhaben in der Kritik. Denn der Thüringische Landkreistag und der Gemeinde- und Städtebund untersagen - anders als die meisten anderen Institutionen - regelmäßig die Veröffentlichung ihrer Stellungnahmen auf der Website des Thüringer Landtags. Der führt seit März 2019 öffentlich die so genannte Beteiligtentransparenzdokumentation. Geregelt ist das in einem Gesetz mit dem ebenso sperrigen Namen "Beteiligtentransparenzdokumentationsgesetz".

Beteiligtentranzparenzdokumentation (BTD) Seit 1. März 2019 gilt das Thüringer Beteiligtentransparenzdokumentationsgesetz (ThürBeteildokG). Damit war Thüringen das erste Bundesland mit einem Gesetz zur Erfassung des so genannten "legislativen Fußabdrucks". Es verpflichtet den Landtag, eine öffentliche Liste zu pflegen: Darauf müssen für jedes Gesetzgebungsverfahren des Landtags oder der Landesregierung alle Personen und Institutionen verzeichnet sein, die sich schriftlich dazu geäußert haben. Häufig sind das neben den Kommunalverbänden auch Landesbehörden, Wirtschaftsverbände, Kammern, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Umweltvereine und Kirchen. Ihre jeweiligen Stellungnahmen und Gutachten zu den Gesetzentwürfen werden veröffentlicht, sofern die Verfasser dem zugestimmt haben. Das wird in einem Formular abgefragt, dass jeder Beteiligte zusammen mit seiner Stellungnahme einreichen muss. Die laufend aktualisierte Beteiligten-Transparenz-Dokumentation ist im Internet abrufbar.

Kritik an kommunaler Verschwiegenheit

Die Antikorruptionsorganisation Transparency International sieht im Verhalten der beiden Verbände eine "Aushöhlung der vorgeschriebenen Dokumentationspflicht". Christoph Biskup von der Thüringer Transparency-Regionalgruppe sagte MDR THÜRINGEN, es sei ein Unding und stehe dem Sinn des Gesetzes, Transparenz zu leben, entgegen, regelmäßig der Veröffentlichung zu widersprechen. Und gerade von Verbänden, die aus Steuermitteln finanziert werden, könne die Öffentlichkeit anderes erwarten. Letztlich sei es ein Manko des Gesetzes, dass es die Veröffentlichung von Stellungnahmen nicht verpflichtend vorschreibe.

Fast jede dritte Stellungnahme nicht abrufbar

Laut dem Evaluationsberichts des Landtagsvorstands wurden von 1. März 2019 bis 31. Juli 2022 1.604 schriftliche Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben eingereicht. Für 514 (32%) davon hatten die Ersteller das Einverständnis zur Veröffentlichung nicht erteilt. Und der Landtagsvorstand erwähnt in seinem Bericht explizit, dass der überwiegende Teil der Veröffentlichungswidersprüche auf die kommunalen Spitzenverbände entfällt. Das hängt auch damit zusammen, dass die beiden Verbände zu fast jedem Gesetzentwurf angehört werden oder sich selbst einbringen. Auch in der Landtagsdebatte zur Beteiligtendokumentation am 10. November 2022 wurde die Praxis der Thüringer Verbände kritisch angemerkt.

Verbände fürchten Missverständnisse

Die kommunalen Spitzenverbände begründen ihre Verweigerung zur Veröffentlichung mit Bedenken, ihre schriftlichen Stellungnahmen zu Gesetzesinitiativen könnten missverstanden werden. Ralf Rusch vom Gemeinde- und Städtebund sagte MDR THÜRINGEN, die Stellungnahmen seien sehr fachbezogen geschrieben und deshalb nicht in erster Linie an die Öffentlichkeit adressiert. Zur "Vermeidung von Ungenauigkeiten und Fehlern bei der Wiedergabe" der Argumentationen, habe es sich als viel effektiver erwiesen, wenn die schriftlichen Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben persönlich ausgehändigt und mit Gesprächen verbunden würden. Das betreffe beispielsweise Anfragen von Pressevertretern.

Ähnlich äußerte sich Thomas Budde vom Thüringischen Landkreistag. Er sagte MDR THÜRINGEN, es handele sich oft um sperrige Themen und der Verband bevorzuge deshalb persönliche Gespräche, in denen auch Ergänzungen übermittelt werden könnten. Der Verband wolle selbst entscheiden, wem er seine Stellungnahmen zur Verfügung stelle. Es könne jedoch jeder dafür anfragen. Das sei seit 25 Jahren Praxis und habe sich bewährt.

Antikorruptionsorganisation nicht überzeugt

Transparency International überzeugt diese Begründung nicht. Christoph Biskup sagte, es sei ein "unplausibles Argument", wenn die Verbände fürchteten, ihre schriftlichen Ausführungen könnten missverstanden werden. In Stellungnahmen zu konkreten Gesetzesentwürfen gehe es ja gerade darum, "sehr präzise zu formulieren, so dass jeder Parlamentarier gleich versteht, wo Nachbesserungsbedarf gesehen wird". Sollten darüber hinaus sensible Daten enthalten sein, würde es nach Ansicht von Transparency ausreichen, nur diese zu schwärzen, statt ganze Stellungnahmen nicht zu veröffentlichen. Die generelle Verweigerung zur Veröffentlichung behindere den Zugang der Öffentlichkeit, da eine Vielzahl von Einzelanfragen bei den Urhebern keine echte Alternative sei.

Insgesamt sieht die Antikorruptionsorganisation weiteren, dringenden Nachbesserungsbedarf in der Umsetzung der Thüringer Beteiligtendokumentation. Laut Biskup ist es auch unbefriedigend, dass lediglich schriftliche Stellungnahmen erfasst würden. Es sei unverständlich, dass wichtige Anhörungen, Expertisen und Änderungen, die beispielsweise in den Landtagsausschüssen mündlich eingebracht werden, nicht öffentlich dokumentiert würden. Das sei sogar der Fall, wenn diese in offiziellen Protokollen schriftlich vorlägen.

Der Plenarsaal während der Sitzung des Thüringer Landtags
Stellungnahmen der Verbänden sollen Kritik für die Parlamentarier klar und verständlich machen. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Martin Schutt

Transparency: Thüringer Gesetz taugt nicht als Vorbild

Ebenso kritisiert Transparency, dass bislang auch die Erarbeitung des jeweils ersten Gesetzesentwurfes von der Landesregierung praktisch nicht dokumentiert werde. Norman Loeckel, Leiter der Transparency-Arbeitsgruppe Politik, sagte MDR THÜRINGEN, dabei würden in dieser Phase die Weichen für die Ausrichtung eines Gesetzes gestellt. Häufig gründeten sich die Entwürfe auf Initiativen von Nichtregierungsorganisationen oder Interessengruppen. Das sei normale Praxis, sollte aber transparent gemacht werden. Das ermögliche dann auch gezielte, kritische Nachfragen danach, wem welche Regelungen nützen.

Laut Loeckel fordert das Gesetz auch die Dokumentation dieser frühen Phase, doch das werde bislang nur unzureichend umgesetzt. Als Lösung schlägt Loeckel einen "dediziert Beauftragten in der Parlamentsverwaltung" vor, der das durchsetzt.

Insgesamt hofft Transparency, dass das Gesetz für den so genannten "legislativen Fußabdruck" mit einer Veröffentlichungspflicht von schriftlichen und mündlichen Äußerungen nachgebessert wird. Obwohl Thüringen bundesweit Vorreiter mit solch einem Gesetz war, mahnt Loeckel dennoch, es andernorts besser zu machen: "Wir hoffen, dass sich der Bund oder andere Bundesländer das Thüringer Gesetz nicht zum Vorbild nehmen, das wäre schlecht."

MDR (heu/cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 19. Dezember 2022 | 06:00 Uhr

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