Bildung "Es geht nicht mehr" - Schulen im Erfurter Norden bilden Allianz
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26. Mai 2023, 21:00 Uhr
Die weiterführenden Schulen im Norden Erfurts haben eine Allianz gebildet, um gemeinsam gegenüber der Stadt aufzutreten. Grund sind Probleme durch fehlende Räume, steigende Schülerzahlen, mehr Schüler mit Migrationshintergrund und zu wenig Personal.
Die Situation an den weiterführenden Schulen im Erfurter Norden gleicht sich fast eins zu eins: Seit Jahren steigende Schülerzahlen, fehlende Klassen-, Fach- und Aufenthaltsräume in den Schulgebäuden, steigende Zahlen von Schülern mit Migrationshintergrund, zu wenig Personal. Bisher kämpfte jede Schule für sich allein. Die Schulleiter schilderten ihre Probleme der Stadt und dem Schulamt, oft bekamen sie nicht einmal eine Antwort. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Nun will man gemeinsam erreichen, dass die Stadt endlich handelt und die Herausforderungen im Erfurter Norden ernst nimmt.
Gemeinsames Auftreten gegenüber der Stadt
Deshalb trafen sich am Donnerstagabend Schulleiter, Elternsprecher, Schülersprecher, Schulsozialarbeiter und Mitglieder der Landes- und Kreiselternvertretung der betroffenen Schulen zu einem ersten Gespräch, um gemeinsam gegenüber der Stadt aufzutreten und eine Strategie zu entwickeln, um die Verantwortlichen endlich zum Handeln zu bewegen.
Wir wollen für unsere Schülerschaft kämpfen. 30 bis 35 Prozent Migrationsanteil sind gut zu bewältigen, um Integration zu leben. Wir sagen nicht, wir wollen die nicht. Das sind tolle Schülerinnen und Schüler.
Besonders der hohe Migrationsanteil macht den Schulen schwer zu schaffen. Integration sei so nicht möglich, sagt Cornelia Münch, Schulleiterin der Staatlichen Gemeinschaftsschule Otto Lilienthal: "Wir wollen für unsere Schülerschaft kämpfen. 30 bis 35 Prozent Migrationsanteil sind gut zu bewältigen, um Integration zu leben. Wir sagen nicht, wir wollen die nicht. Das sind tolle Schülerinnen und Schüler."
Aber eine bessere Verteilung im Erfurter Stadtgebiet wünschen sich alle, dann wäre Integration auch möglich und erfolgreich. Genaue Zahlen nennt Schulleiter Sven Stötzer vom Albert-Schweitzer-Gymnasium. In den höheren Klassen sei der Migrationsanteil noch gut zu handhaben. In Klassenstufe Elf liegt er in seiner Schule bei 18,4 Prozent. In Klassenstufe Fünf haben bereits rund 50 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund.
Fast ein Viertel der Schüler bildungs- und teilhabeberechtigt
Oft können die Schüler aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen dem Unterricht nicht folgen. Darüber hinaus sind 23,1 Prozent der Schüler bildungs- und teilhabeberechtigt, gehören also sozial schwachen Familien an. Geschuldet ist dies auch dem Stadtteil, der günstigen Wohnraum in Plattenbauten bietet.
Mobbing und Gewalt nehmen zu
Außerdem werden es immer mehr Schülerinnen und Schüler in den Schulen, weil seit Jahren verschlafen wurde, neue Schulgebäude zu bauen. Die Schüler, die nun von den Grundschulen auf die weiterführenden Schulen wechseln, werden einfach verteilt. Das Albert-Schweitzer-Gymnasium muss im nächsten Jahr fünf fünfte Klassen aufnehmen.
Es ist ein Pulverfass.
Auch das Heinrich-Hertz-Gymnasium wird im nächsten Schuljahr bei den fünften Klassen wieder fünfzügig sein. Es wird zunehmend enger in den Räumen und auf den Gängen, bestätigt Lisa Grönmeyer, Schülersprecherin des Heinrich-Hertz-Gymnasiums: "Wir merken auch, dass die Schülerschaft immer größer wird. Es gibt immer mehr kleinere Kinder. Die Zahl von Schülern mit Migrationshintergrund wird immer höher. Auch schon in der Oberstufe sind es um die 40 Prozent. Das Streitpotential nimmt zu. Es ist ein Pulverfass."
Schule sollte ein Ort sein, an dem man sich wohl fühlt, aber das ist nicht so.
"Schule sollte ein Ort sein, an dem man sich wohl fühlt, aber das ist nicht so. Es ist so, als ob man beim Schlussverkauf ist, besonders nach den Pausen, wenn alle Schüler gleichzeitig ins Gebäude stürmen. Wir haben auch vermehrt Treppenstürze, weil es oft zu eng ist", ergänzt ihre Schülersprecher-Kollegin Leonie Bellot.
Mehr Mobbing und Gewalt in Klassen mit vielen Schülern
Michelle Zimmermann, Mitglied der Landes- und Kreiselternvertretung und Beraterin zum Thema Mobbing und Gewalt warnt vor den Gefahren: "Mobbing und Gewalt nehmen in Klassen mit vielen Schülern zu. Das potenziert sich durch fehlende Integration und fehlendes Personal. Es entstehen Herde, die schnell zum Brand führen."
Laut Schulsozialarbeiterin Irene Wolfert ist Schule im Erfurter Norden kein Lebensraum mehr, sondern eine Aufbewahrungsstation. Irene Wolfert ist allein für rund 1.000 Schüler am Albert-Schweitzer-Gymnasium zuständig. Seit den Corona-Lockdowns sind ihre Beratungsstunden permanent ausgebucht. Es gäbe immer mehr Schüler mit psychischen Problemen und auch Schulverweigerer.
Seit Corona fühlten sich viele Schüler nicht mehr mit ihrer Schule verbunden. "Bei manchen Schülern herrschen Angstzustände, auch durch die Beengtheit in den Räumen und auf den Fluren. Dabei soll Schule ein Platz sein, wo sie gerne hingehen, wo sie auch ihre Freunde treffen können."
Sie allein könne die Betreuung eigentlich nicht mehr leisten und hat versucht die Politik darauf aufmerksam zu machen. Doch ihr Anliegen scheint irgendwo verloren gegangen zu sein.
Erste Erfolge der Allianz
Ein offener Brief, den Schulleiter Sven Stötzer vom Albert-Schweitzer-Gymnasium vor gut drei Wochen an Oberbürgermeister Andreas Bausewein schrieb, brachte die Allianz auf den Weg. Eine Antwort hat Sven Stötzer bis heute nicht bekommen.
Aber die Schülersprecher Tobias Riemer und Jurek Faulwasser brachten beim letzten Schülerparlament einen Antrag ein, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Der Antrag wurde angenommen. Nun sei das Thema mittel- und langfristig gesetzt, es findet jetzt den Weg in die Ausschüsse und auch die Stadtratsfraktionen stünden hinter den Forderungen, so Tobias Riemer.
Außerdem sind andere Institutionen nun verstärkt aktiv. Die Kreiselternvertretung der Gemeinschaftsschulen befindet sich gemeinsam mit der Landeselternvertretung in Terminfindung mit Ministerium, Stadt und Schulamt zu einem gemeinsamen Gespräch. Gesprächsbereitschaft von Seiten der Verwaltung gebe es, sagt Torsten Schnurre, Vorsitzender der Kreiselternvertretung der Gemeinschaftsschulen in Erfurt.
Bald "Nordgipfel" für den Erfurter Norden
Der Stadtteil Rieth plant Ende Juni ein Treffen aller Beteiligten vor Ort, weil es eben nicht nur um Schule, sondern auch um die Struktur im gesamten Erfurter Norden geht. Und der Migrationsbeauftragte der Stadt Erfurt, Daniel Stassny, kündigte einen Nordgipfel an, bei dem ebenfalls alle Parteien an einen Tisch kommen sollen. Ein Termin steht dafür allerdings noch nicht fest. Sicher ist: Lockerlassen werden die Schulleiter, Eltern und Schüler diesmal nicht.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 26. Mai 2023 | 18:30 Uhr
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