Frau harkt in ihrem Garten, im Vordergrund ein Gartenzwerg.
Das Klischee vom Kleingarten - doch wie verändert sich das soziale Gefüge in den Schrebergärten gerade? Bildrechte: imago/Frank Sorge

Generationenkonflikte Zeitenwende im Kleingarten? Wenn im Schrebergarten Welten aufeinandertreffen

26. Mai 2023, 19:36 Uhr

Die Kleingartenszene boomt - vor allem in den Thüringer Ballungszentren. Gleichzeitig treffen im Kleingarten Welten aufeinander: Spießer treffen auf junge Familien, Alteingesessene auf Migranten. Wie geht das zusammen?

Es sind gute Zeiten für das Beikraut. Susanne Gaedke kommt in diesem Jahr kaum hinterher, sie rupft und rupft. Und sie denkt übers Aufhören nach, wie sie bei Kaffee und Kuchen auf ihrer Laubenterrasse im Kleingartenverein Langer Graben erzählt. "So wie wir hier noch vor drei, vier Jahren rumgesprungen sind, geht es einfach nicht mehr."

Gaedke ist seit zwölf Jahren die Vorsitzende, kümmert sich mit ihrem Vorstand um 178 Gartenparzellen im Westen Erfurts, in der Nähe des Flughafens. "In gebückter Haltung haben wir früher nach der Arbeit hier schon die Wochenenden verbracht. Manchmal war es trostlos, wenn das Unkraut wie in diesem Jahr so wächst. Aber ohne Garten geht's halt auch schlecht."

Der Kleingarten ist Kulturgut, er genießt viele Zuschreibungen: Spießerparadies, Rückzugsort ins Grüne, Rentnerverein, Selbstversorgerfläche, Großstadttraum für junge Familien - um nur einige zu nennen. Immer wieder preist auch Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow den Nutzen der Gärten - als "Lungen der Stadt" etwa.

Viel Leerstand in dünner besiedelten Gegenden

Doch der demografische Wandel macht auch vor den Kleingartenvereinen nicht Halt: Einen Leerstand von 17 Prozent notiert der Landesverband Thüringen der Gartenfreunde e. V. beispielsweise für das Altenburger Land. Und im Kyffhäuserkreis ließen sich im vergangenen Jahr sogar für 36 Prozent der Parzellen keine neuen Pächterinnen und Pächter finden. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Ballungszentren: In Erfurt oder Jena gibt es so etwas wie ungenutzte Kleingärten praktisch gar nicht, heißt es vom Landesverband.

Nachwuchsprobleme im Ehrenamt

Vorstandschefin Gaedke beobachtet in Erfurt, dass zwar immer mehr junge Leute dazukommen, aber sich niemand wirklich in der Vorstandsarbeit engagiert. "Es will keiner machen. Wir haben jetzt gute Leute drin, aber eine Nachfolgerin finden… keine Ahnung. Es machen halt die Älteren."

Ich glaube, es ist Desinteresse.

Susanne Gaedke Kleingartenverein Langer Graben

Da die allermeisten Gartenparzellen in Kleingartenvereinen organisiert sind und über diese Vereine auch gepachtet werden, braucht es das Ehrenamt: Einmal im Monat ist am Langen Graben Vorstandssitzung: Susanne Gaedke und Co. kümmern sich um den Briefwechsel, Gartenbegehungen oder auch juristische Auseinandersetzungen. "Es nimmt viel Zeit in Anspruch. Immer wieder liegen Sachen auch beim Rechtsanwalt, wenn es Streit gibt", sagt sie und bedauert gleichzeitig, dass weniger jüngere Leute sich im Verein beteiligen wollen. "Ich glaube, es ist Desinteresse. Auch an Versammlungen kommen wenig Leute - vergangenes Mal waren nur 35 von 250 Vereinsmitgliedern da."

Generationswechsel gleich Generationskonflikt?

Es gibt diesen Satz. Er sagt viel über möglichen Zwist im Kleingartenwesen und geht so: "Ein Garten ist Arbeit." Nicht selten fällt er in Gesprächen zwischen den Verantwortlichen einer Anlage - dem Vereinsvorstand - und jenen, oftmals neueren und jüngeren Kleingartenpächtern, die es nicht so ganz genau mit dem Beikrautzupfen oder dem zentimetergenauen Heckeschneiden nehmen wollen oder nehmen können.

Die Bedürfnisse wandeln sich auf jeden Fall. Wir sehen schon den Trend, dass es mehr ökologisch orientierte junge Familien gibt, die einfach Gemüse und Obst anbauen wollen.

Stephan Wunder, Garten- und Friedhofsamt Erfurt

Das haben in Erfurt auch die Verantwortlichen für das Kleingartenwesen bei der Stadt erkannt. Stephan Wunder vom Garten- und Friedhofsamt sagt: "Die Bedürfnisse wandeln sich auf jeden Fall. Wir sehen schon den Trend, dass es mehr ökologisch orientierte junge Familien gibt, die einfach Gemüse und Obst anbauen wollen."

Er habe daraus entstehende Konflikte auch schon einmal selbst bei einer Begehung in einem Verein erlebt: "Da gab es einen Garten, der war sehr ökologisch und naturnah, in Richtung Permakultur mit viel Anbau. Das haben die Alten nicht so richtig eingesehen und dann musste ich auch mal Überzeugungsarbeit leisten." Wichtig, sagt Wunder, ist dann miteinander zu reden und zuzuhören.

Gefürchtete Ein-Drittel-Regelung

Die Nutzung der historisch gewachsenen Kleingärten (siehe Box unten) ist gleichzeitig klar geregelt: Das Bundeskleingartengesetz schreibt beispielsweise in der berüchtigten Ein-Drittel-Regelung vor, dass ein Drittel der Gartenfläche für den Anbau von Nutzpflanzen, sprich Tomaten oder Puffbohnen genutzt werden muss. Locker kommen da über 100 Quadratmeter Fläche zusammen, die Hobbygärtner in ihrer Freizeit bewirtschaften sollen - gerade für Berufstätige oder junge Familien nicht immer einfach.

Viele haben weniger Zeit und schaffen oder wollen es nicht mehr, alles so akkurat zu halten.

Friederike Pfeffer Garten- und Friedhofsamt Stadt Erfurt

"Es gibt immer mal wieder Leute, die vergrault werden. Das ist dieser Generationswechsel", sagt Friederike Pfeffer, Kollegin von Stephan Wunder im Gartenamt. "Viele haben weniger Zeit für den Garten und schaffen oder wollen es nicht mehr, alles so akkurat zu halten. Und ich kenne auch solche jungen Eltern, die den Erwartungen der Vorstände nicht gerecht werden und dann aussteigen." Pfeffer ist wichtig zu betonen, dass die Stadt Erfurt diesen Generationswechsel in den Vereinen begleiten will.

Auch Susanne Gaedke beobachtet Unterschiede zwischen den Generationen. Sie will aber nicht verallgemeinern, dass die Gärten der Jüngeren unbedingt wilder oder weniger gepflegt sind. "Wichtig ist, dass man sich nicht über den Gartenzaun angiftet. Ich habe auch schon gemeckert, aber wichtig ist, dass man miteinander spricht. Ich gehe dann auch gerne mal hin und mache einen Vorschlag, wie man es machen kann. Am Anfang hatte ich ja auch keine Ahnung."

Aufklappen: Wie entstanden die Kleingärten überhaupt?

Wer heutzutage zu den fünf Millionen Nutzern eines Kleingartens gehört, zahlt dafür samt Nebenkosten im Schnitt einen Euro pro Tag. Mit den geringen Kosten steht der Kleingarten damit in einer Linie zur historischen Grundidee: Die frühe Form der grünen Parzelle reicht bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Damals sollten die Gärten die Not der verarmten Proletarier lindern - eine Idee, die in den sogenannten Arbeitergärten ab dem 20. Jahrhundert mündete. Politisch schlossen sich die Vereine erstmals 1921 einheitlich zusammen - zum Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands.

Vor allem im Zuge der beiden Weltkriege gewannen der Kleingarten und die mögliche Selbstversorgung an enormer Bedeutung. Heute finden sich mehr als die Hälfte aller Kleingärten in den neuen Bundesländern. Geregelt wird die Nutzung durch das Bundeskleingartengesetz und den entsprechenden Satzungen der rund 14.000 Vereine. Dazu gehört auch die berüchtigte Ein-Drittel-Regel, wonach ein Drittel der Kleingartenfläche für den Anbau von Nutzpflanzen genutzt werden muss.

Der Kleingarten - eine alte, weiße Blase?

Wer in Kleingärten die Ohren offen hält, hört hier und da Sätze wie: "Die Araber wollen wir nicht". Wie viele ausländische oder migrantisch gelesene Menschen in Thüringen einen Kleingarten pachten, lässt sich nicht sagen. Doch ein Spaziergang durch die Anlagen an einem sonnigen Samstagnachmittag reicht, um zu sehen: Die Diversität der Gesellschaft findet sich hier nicht widergespiegelt: Hier leben und gärtnern vorwiegend weiße, nicht-migrantische Menschen.

Das weiß auch Iman. "In Syrien", erzählt sie, "hatten wir im Sommer fast nie Gemüse auf dem Markt gekauft. Wir hatten unser eigenes aus unserem Garten." Für sie und ihre Eltern sei es deshalb sehr wichtig gewesen, auch in Thüringen, der neuen Heimat, einen Garten zu haben, ein bisschen "Heimatgeschmack", wie sie sagt.

Iman: Alltagsrassismus kein Garten-spezifisches Problem

Sie findet es gut, in einen Verein eingebunden zu sein und die Leute kennenzulernen. "Andererseits finde ich es super schwer, in diesem Zusammenhang nicht über Rassismus zu sprechen. Er ist da - aber er ist wie überall sonst in Thüringen auch immer da."

Iman setzt sich beruflich gegen strukturierte Diskriminierung ein, arbeitete zuvor in ganz Thüringen als Arabischdolmetscherin. "Deutschland definiert sich als freies Land. Ich habe in meinem Alltag nicht wirklich krasse rassistische Angriffe erlebt - aber das liegt daran, dass ich mich extrem einschränke."

Iman benutzt in Erfurt kaum den öffentlichen Verkehr, sondern wann immer es geht ihr Auto. Sie ist nie alleine draußen, wenn es dunkel wird und versucht, an manche Orte in Erfurt nicht zu gehen. "Ich finde das unfair. Unfair für alle migrantisierten Frauen, die sich so unsicher fühlen."

Ablehnung wegen Nachnamen

Aus ihrem Bekanntenkreis kennt sie einige Geschichten von Menschen, die sich um einen Kleingarten beworben haben, die ihn aber - so ihre Wahrnehmung - wegen ihres Aussehens oder ihres Nachnamens nicht bekommen haben. "Es ist das Gleiche wie am Wohnungsmarkt", sagt Iman. "Ich höre das bei meiner Arbeit so oft, dass Leute in Erfurt wegen ihres Nachnamens keine Wohnung bekommen."

Es ist das Gleiche wie am Wohnungsmarkt.

Iman

Auf die Frage, wie sie rassistische Einstellungen innerhalb ihres Kleingartenvereins wahrnimmt, seufzt Susanne Gaedke und schüttelt den Kopf. Und erklärt ihre eigene Einstellung: Nebenan hätte auch eine Familie einen Garten, die aus Syrien nach Deutschland gekommen war. "Bei ihnen stand das Unkraut auch schon einmal hoch, aber das hängt ja nicht an der Herkunft. Ich rede mit ihnen und wir haben ein nettes Verhältnis."

Vor einigen Wochen kündigte der Erfurter Stadtverband der Kleingärtner an, die Stelle einer Integrationsbeauftragten zu schaffen. Die soll, so sagt es Vorsitzender Frank Möller, die 118 Erfurter Vereinsvorsitzende "unterstützen". Damit die konkret wissen, welcher Aufenthaltsstatus von migrierten Interessenten notwendig ist, um einen Garten zu pachten. "Die Migranten sind die, die unsere Gesellschaft in Zukunft tragen", sagt Möller.

Systematische Diskriminierung für Iman

So löblich das Bemühen des Verbandes auch sein mag - für Iman ist es auch ein Zeichen systematischer Diskriminierung. "Warum sollte für die Leute überhaupt erkennbar sein, bis wann mein Aufenthalt theoretisch erlaubt ist? Das hat mit meinem Leben eigentlich nichts zu tun und sollte keine Rolle spielen."

Wir sind hier. Und wir haben Rechte.

Iman

Und es spiele auch keine Rolle, sagt Iman, wenn sie einen Garten pachten oder auch nur ein Bankkonto eröffnen wolle. "Sehr wenige Menschen verlassen Deutschland ja wieder. Aber es klingt immer, als ob erwartet wird, dass wir Deutschland wieder verlassen. Wir sind hier. Wir bleiben hier, wir arbeiten hier, wir bezahlen hier unsere Steuern. Und wir haben Rechte."

Susanne Gaedke aus dem Kleingartenverein Langer Graben sieht das ähnlich. Interessenten müssen sich vorstellen, erklären, welchen Beruf sie haben und dann Vereinsmitglied werden. "Wenn sich hier jemand bewirbt, geh ich davon aus, dass die Aufenthaltserlaubnis haben, darum kümmern wir uns nicht."

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 29. Mai 2023 | 08:35 Uhr

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