Sprache Offener Brief gegen Gender-Antrag: Erfurter Wissenschaftler kritisieren CDU

16. November 2022, 17:33 Uhr

145 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Erfurt haben in einem offenen Brief die Verabschiedung des CDU-Antrages gegen geschlechtergerechte Sprache kritisiert. Besonders der Eingriff in die Freiheit von Lehre und Forschung sei fatal. Der Antrag schränke die sprachliche Sichtbarkeit der Geschlechtsidentitäten zu stark ein.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Erfurt haben auf die Verabschiedung des CDU-Antrages im Thüringer Landtag gegen geschlechtergerechte Sprache besorgt reagiert.

In einem offenen Brief schrieben die Forschenden am Dienstag, dass es zu den Grundlagen einer weltoffenen, den Grund- und Bürgerrechten aller Menschen verpflichteten Gesellschaft gehöre, alle Menschen in ihren Geschlechtsidentitäten sprachlich sichtbar werden zu lassen und ansprechen zu können. Durch das Bitten an die Landtagspräsidentin am vergangenen Freitag werde dies in nicht akzeptabler Weise eingeschränkt.

Am vergangenen Freitag stimmten die Abgeordneten im Thüringer Landtags für einen Antrag der CDU-Fraktion gegen die Verwendung von Genderzeichen in der deutschen Sprache. Die Thüringer Landesbehörden sollen nach dem Beschluss künftig ausschließlich die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung befolgen. Nicht empfohlen hat der Rat unter anderem Konstruktionen mit Binnen-I ("PolitikerInnen"), Unterstrichen ("Politiker_innen") oder Sternchen ("Politiker*innen").

Der bundesweit einzigartige Beschluss ist jedoch kein Verbot, sondern nur ein Appell. Grund ist, dass der Antrag nicht als Gesetz gefasst worden war.

145 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterzeichnen

In dem CDU-Antrag heißt es unter anderem, dass die Landtagspräsidentin dafür Sorge tragen soll, dass es im Schriftverkehr des Parlaments, in Publikationen und in der Öffentlichkeitsarbeit keine grammatisch falsche Gendersprache verwendet werde.

Noch fataler wäre es laut Brief, wenn die Landesregierung versucht, mit sprachpolitischen Maßnahmen in die Freiheit von Lehre und Forschung an den Universitäten einzugreifen. Laut CDU-Antrag sollen neben dem Landtag und der Ministerien unter anderem auch Schulen und Hochschulen auf Gendersprache verzichten.

Die Forschenden zeigten sich in dem Brief zudem besorgt darüber, dass der CDU-Antrag mit Stimmen der AfD und der "Bürger für Thüringen" beschlossen wurde. Dies sei ein Verstoß gegen das Prinzip, nicht mit vom Verfassungsschutz als extremistisch bezeichneten Parteien zu kooperieren, hieß es. Insgesamt 145 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Erfurt haben den Brief unterzeichnet.

Zum Aufklappen: Gendern und geschlechtergerechte Sprache?

Das Wort "gender" kommt aus dem Englischen und bedeutet Geschlecht. Damit ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht gemeint.

Ein soziales Geschlecht bezieht sich auf alles, was als typisch für Frauen und Männer gilt. Es geht um das gelebte und gefühlte Geschlecht, nicht um das aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesene Geschlecht. 

Gendern bedeutet die Anwendung geschlechtergerechter Sprache. Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung aller Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden.

Im Deutschen wird bis heute meist das generische Maskulinum verwendet, also die männliche Variante. Personen und Berufe werden grammatisch männlich bezeichnet, obwohl es in aller Regel auch eine weibliche Wortform gibt.

Seit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption "divers" im Jahr 2018 wird zudem über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten.

Diskussionen über eine geschlechtergerechte deutsche Sprache gibt es seit den 1970er Jahren. Die Positionen sind oft verhärtet. Die einen sehen Gendern als Ausdruck der Gleichstellung, andere empfinden es als Sprachverhunzung und Bevormundung.

In der Debatte oft nicht eindeutig ist, ob mit Gendern die Nutzung von geschlechtergerechter Sprache generell - also auch Formen von Beidnennung oder neutrale Formulierungen - gemeint ist. Oder ob Gendern lediglich auf die Verwendung von Genderzeichen wie das Binnen-I oder Sternchen verweist. Die CDU bezieht sich in ihrem Antrag auf letztere Interpretation.

(Quelle: lpb-bw.de/MDR)  

Zum Aufklappen: Formen der geschlechtergerechten Sprache:

Beidnennung: Beide Geschlechter werden genannt (z. B. Lehrerinnen und Lehrer) oder die weibliche Form wird durch Abkürzung hinzugefügt (Lehrer/-innen; LehrerInnen).

Neutralisierung: Die männliche Form wird durch geschlechterneutrale Formen (z. B. Lehrkraft) oder Substantivierung (z. B. Lehrende) ersetzt. 

Gender-Zeichen: Für die mehrgeschlechtliche Schreibweise wird zwischen männlicher Form und weiblicher Endung ein Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ergänzt (z. B. Lehrer*innen, Lehrer_innen, Lehrer:innen). Die Sonderzeichen sind Platzhalter für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen.

(Quelle: Quarks.de/MDR)

CDU-Fraktion verteidigt sich

Die CDU-Fraktion reagierte am Dienstag auf den Brief. "Wir respektieren die Wissenschaftsfreiheit, aber gleichzeitig sollte die Wissenschaft auch die deutsche Sprache respektieren", teilte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, mit.

Seine Partei fordere lediglich, dass sich im staatlichen Bereich an die Vorgaben des Rates für deutsche Rechtschreibung gehalten wird. Es erscheine zweifelhaft, wenn staatliche Institutionen die Vorgaben eines Gremiums nicht akzeptieren wollen, so Bühl. Mit dem Brief würden die Unterzeichner ein Verfassungsorgan dazu auffordern, die Beschlüsse eines anderen zu ignorieren. Gleichzeitig stritt der CDU-Politiker jegliche Absprachen oder Zusammenarbeit mit der AfD ab.

Universität Jena bleibt bei Empfehlung  

Der Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Walter Rosenthal, hatte bereits vergangene Woche dazu geraten, den Umgang mit dem Thema nicht durch politisch motivierte Maßgaben zu polarisieren. Die Universität Jena werde an ihren Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache festhalten.

"Den Universitätsangehörigen ist es mit Verweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre freigestellt, die vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Sprache für sich zu wählen", sagte Rosenthal. In einer Pressemitteilung empfiehlt die Uni Jena die Nutzung geschlechterspezifischer Sprache, sieht aber gleichzeitig für niemanden einen Nachteil entstehen, der auf das Gendern verzichtet.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags hieß es im dritten Absatz: "Am vergangenen Freitag stimmten die Abgeordneten im Thüringer Landtags für einen Antrag der CDU-Fraktion gegen geschlechtsspezifische Sprache." Dies ist nicht korrekt und wurde korrigiert. Der Satz "Ausdrücklich empfohlen wird die Verwendung des generischen Maskulinums" im Folgeabsatz wurde entfernt. Ferner wurde der Hintergrund zum Gendern und zur geschlechtergerechten Sprache leicht konkretisiert.

MDR (jn)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 15. November 2022 | 19:00 Uhr

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