Lebenslauf Von Prag nach Tiefengruben in nur einem Leben
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31. Juli 2022, 05:00 Uhr
1967 ist sie aus Prag geflohen, arbeitete in München als Lehrerin, in Erfurt in verschiedenen Ministerien, schreibt Romane und lebt mit ihren geliebten Pferden in Tiefengruben. Eugenie Trützschler steht auch als Rentnerin mitten im Leben.
- Die Fluchtpläne nehmen 1967 Gestalt an.
- Mit Disziplin und Glück wird sie in kürzester Zeit zur Lehrerin.
- Und findet eine neue Heimat in Tiefengruben.
Wir sitzen bei einer Tasse Tee in einer gemütlichen Küche in Tiefengruben, einem Ortsteil von Bad Berka. Aber als dann Eugenie Trützschler von Falkenstein anfängt, aus ihrem Leben zu erzählen, wird der Tee kalt, denn es verlangt einiges an Konzentration, diesem Abenteuer zu folgen.
Geboren wurde sie 1950 in Prag als Eugenie Fügner. Das ist deshalb wichtig, weil der Name ihr in ihrer Heimat einiges aufbürdete: "Es gab eine Vera Fügner und eine Eugenie, wie ich auch heiße. Und die Vera Fügner hat dreimal ein Attentat auf den Zaren versucht, wurde zum Tode verurteilt, dann begnadigt und verbrachte ihr Leben in der Peter und Paul Festung in St.Petersburg."
Schweres Leben im Kommunismus
Während des Kommunismus galt die Familie als "nichtarbeitende Intelligenz". Ihr Vater war ursprünglich Diplomat, musste jetzt aber in einer Fabrik als Hilfsarbeiter arbeiten. Ihre Mutter, die noch 1949 in Prag promoviert hatte, saß jetzt zu Hause und strickte als Arbeiterin Baby-Schühchen im Akkord.
Eugenie hatte es in der Schule auch schwer: "Als ich Mitte der 50er-Jahre in Prag in die Schule kam, merkte ich, dass ich es nicht schaffte, den Stift in der rechten Hand so zu halten, dass ich damit auf dem Papier die von der Lehrerin erwarteten Kreise zeichnen konnte. Sie schlug mich mit einem langen dünnen Stock auf die Finger. Ich weiß bis heute nicht, ob sie es nur wegen der 'hässlichen Hand' tat oder ob es primär mein Name war, der sie so ärgerlich machte." Studieren durften Eugenie und ihre Geschwister dann übrigens auch nicht.
Sommerferien in der DDR
Ihr erster Besuch in Deutschland war eine Ferienreise: "Ich bin 1965 das erste Mal nach Dresden gekommen, zu einem Ehepaar, das meine Mutter aus dem Schallplattenladen gekannt hat, in dem sie zu diesem Zeitpunkt gearbeitet hat."
Von Dresden ging es nach Bischofferode zu einer Bergmannsfamilie. "Die haben mir sofort, als ich angekommen bin, alles gezeigt. Und im Schlafzimmer hing über dem Bett ein Hochzeitsfoto, auf dem war der Mann in SS-Uniform. Das war für mich damals ein großer Schock, weil ich in der Schule gelernt habe, dass alle DDR-Männer im Widerstand waren."
Fluchtpläne nahmen Gestalt an
Die Reise hat Eugenie aber gut gefallen, sie lernte ziemlich viel Deutsch und machte sich keine Sorgen, als die Eltern 1967 begannen, von Flucht zu sprechen. Der Plan war, dass Eugenie und ihre Mutter in den Ferien nach München reisen und dann dortbleiben sollten, ihr Vater würde später nachkommen.
Der erste Teil des Plans funktionierte. Ihre Mutter beantragte in München politisches Asyl, Eugenie besserte die Haushaltskasse mit Babysitten auf. Als aber die Ausreise des Vaters fast fertig organisiert war, entschied der: "Ein Fügner verlässt seine Heimat nicht" - und blieb in Prag.
Das führte zur Scheidung der Eltern und weil Eugenie noch minderjährig war, wollte das Jugendamt sie zurück nach Prag schicken. Gelöst wurde das Problem, indem die junge Frau zum ersten Mal heiratete.
Deutsche Staatsbürgerschaft inklusive
Das war 1968, der Prager Frühling war gerade vorbei. "Ich wurde damals im Standesamt gefragt, 'Wollen Sie Herrn Sowieso heiraten?' Ich habe ja gesagt. Und dann kam die zweite Frage 'Wollen Sie die deutsche Staatsangehörigkeit haben?' Ich habe wieder ja gesagt und kriegte dann innerhalb von 14 Tagen die deutsche Staatsangehörigkeit."
Damit konnte Eugenie Trützschler nun regelmäßig nach Prag fahren und ihren Vater besuchen. Doch das war 1983 plötzlich vorbei. Als sie sich nämlich, wie bei jedem Besuch, polizeilich anmelden wollte, wartete bei der Polizei jemand auf sie, der sie angeblich privat kennenlernen wollte.
Eugenie Trützschler kam das verdächtig vor und sie fuhr auf dem schnellsten Wege wieder zurück nach München. "Am Tag darauf habe ich mich mit einem Mann vom Bundesnachrichtendienst getroffen, und der hat mir gesagt, dass ich nie wieder hinfahren kann, weil das ein Anwerbeversuch des tschechischen Geheimdienstes war."
Später konnte sie das auch in ihrer Stasi-Akte nachlesen. Die ganze Geschichte erzählt Eugenie Trützschler weiter oben im Audio.
Ausbildung mit viel Fleiß und etwas Glück
Aber zurück in die 1960er-Jahre. In Prag hatte Eugenie Trützschler eine Ausbildung zur Krankenschwester mit Abitur begonnen, bevor sie geflohen war. Die konnte sie in München fortsetzen und war 1969 Krankenschwester mit Staatsexamen.
Aber sie wollte nicht als Krankenschwester arbeiten, sondern studieren. Und sie hatte Glück, im Herbst 1971 nahm sie ein Gymnasium auf und sie konnte ihr Abitur ablegen. Auch hier wurde ihre tschechische Ausbildung anerkannt und sie konnte gleich in die 13. Klasse einsteigen. "Damals war man in München noch ein Exot, wenn man aus Prag kam. Aber an dieser Schule hatten sie schon eine Tschechin und die war sehr begabt. Und deshalb haben sie mich wohl auch genommen." Richtig viel Arbeit bedeutete das trotzdem für Eugenie.
Kürzestes Studium, das möglich war
Weil sie damals schon ein Kind, aber keine finanziellen Rücklagen hatte, stürzte sie sich sehr diszipliniert ins Studium: "Ich war schon nach vier Semestern bayerische Hauptschullehrerin. Ich heiratete, bekam ein zweites Kind und studierte weiter. Wohl weil ich, wenn auch unbewusst, immer noch das Trauma aus Prag hatte: nicht studieren zu dürfen."
Mit zwei Kindern konnte sie nicht sofort als Lehrerin arbeiten. Und Eugenie Trützschler nutzte die Zeit, um zu promovieren. Mit etwas mehr als 30 Jahren hatte sie ihren Doktortitel und nach dem zweiten Staatsexamen kam sie als bayerische Beamtin in eine griechische Schule.
Aufbruch nach Thüringen
Im Jahr 1991 kam zunächst ihr Ehemann, Werner Trützschler von Falkenstein, nach Thüringen, weil seine Familie von hier stammt. Für Tiefengruben haben sich die Trützschlers auch aus praktischen Gründen entschieden: "Weil wir Reiter sind und schon in Bayern Pferde hatten. Wir sind mit den Pferden hierhergezogen. Und es ist hier für uns an sich ideal, weil wir hier in der Gegend Wälder haben und hier frei reiten können."
Als Eugenie ihm 1993 folgte, wollte sie eigentlich in den Schuldienst, damals wurden aber keine Lehrer gebraucht. Als dann das Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten gegründet wurde, fing sie dort an zu arbeiten und leitete das Referat Mittel- und Osteuropa.
Europa blieb ihr Thema, auch als sie später im Justizministerium und in der Staatskanzlei tätig war. Zuletzt verschlug es sie vor ihrer Pensionierung in die wissenschaftliche Abteilung des Thüringer Landtags.
Kein Ruhestand in Sicht
Nach der Pensionierung hat Eugenie Trützschler von Falkenstein im Grunde nochmal eine völlig neue Karriere begonnen. Sie betreut Projekte, schreibt Artikel und Bücher:
"Ich schreibe ja vor allem historische Romane über die Thematik, über die ich wissenschaftlich arbeite. Weil als Wissenschaftlerin darf ich nie irgendwelche Emotionen in ein Buch bringen." 14 Romane sind es inzwischen, erzählt sie. Auch über ihre slowakische Stasiakte ist einer dabei, die sie 2008 bekommen hat.
Sie begleitet Film-Projekte, wissenschaftliche Projekte, beispielsweise an der Freien Universität Berlin, und auch welche in Schulen. Zuletzt den Wettbewerb "Junge Humanisten", den Eva Lustigova, die Tochter eines tschechischen jüdischen Schriftstellers, ins Leben gerufen hat. Seit dem 1. Januar 2020 ist Eugenie auch Mitglied des Tschechischen Zentrums des internationalen PEN Klubs.
Woher sie für all das die Energie nimmt, weiß Eugenie Trützschler nicht genau. "Ich bin ein Organisationsfanatiker. Vielleicht ist das die Antwort. Und ich habe, seit ich vier oder fünf Jahre alt bin, Ballett gemacht. Und ich denke, wenn man etwas beim Ballett lernt, dann ist es Disziplin. Also ich bin sehr diszipliniert."
In Thüringen zu Hause
Bereut hat sie ihren Umzug nach Thüringen nie: "Wenn man in Thüringen ist, ist man gleichzeitig in Böhmen. Schon Judith von Thüringen war im 12. Jahrhundert Königin von Böhmen. Professoren der Karls-Universität haben die Universität in Erfurt gegründet. Im 30-jährigen Krieg haben die Hussiten ihre wertvollsten Dokumente nach Jena gebracht. Und Franz Liszt - er hat Smetana unterstützt. Ohne Liszt wäre Smetana nie der Komponist geworden, der er dann wurde. Also, ich bin hier praktisch zu Hause."
Eine Frage beschäftigt Eugenie Trützschler von Falkenstein allerdings noch: "Ich bin noch nicht sicher, ob der Hopfen aus Thüringen nach Böhmen kam oder doch aus Böhmen nach Thüringen."
Aber so, wie ich sie kennengelernt habe, wird Eugenie Trützschler von Falkenstein das auch noch herausfinden. Der Tee hat dann übrigens auch kalt noch gut geschmeckt.
MDR (gh)
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