Tierschutz Überfüllte Tierheime mit immer schwierigeren Hunden in Thüringen
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09. November 2022, 06:57 Uhr
Maria Weirauch ist die Anlaufstelle Nummer eins in Thüringen, wenn es um schwierige Hunde geht. Doch ihr Hundezentrum platzt aus allen Nähten und die Kosten für die Unterbringung der Tiere steigen weiter. Derzeit warten über 60 Hunde auf einen Platz bei ihr – Tendenz steigend. Für diese Hunde wird jedoch nur dann ein Platz frei, wenn sie andere vermittelt. Und das ist derzeit schwieriger denn je.
Am Ortseingang von Niederreißen im Weimarer Land liegt das Hundezentrum von Maria Weirauch. Die gelbe Fassade wirkt unscheinbar. Vor der Haustür hängen neben hübschen Blumenkübeln auch Maulkörbe als Verzierung am Zaun. Ein erster Hinweis, der vermuten lässt, dass hier nicht nur nette Hunde wohnen.
Im Innenhof ist heute jedoch kein Hundegebell zu hören, sondern das Hämmern und Sägen von ungefähr 15 ehrenamtlichen Helfern. "Heute ist hier großer Arbeitseinsatz", sagt Maria, "es werden Zwinger repariert, der Hundepool wird abgebaut und eines der Hundezimmer muss neu gestrichen werden".
Sie ist die erste Vorsitzende des Vereins "Schwierige Felle e.V." und hat sich zur Aufgabe gemacht, schwierige Hunde bei sich aufzunehmen und mit ihnen zu trainieren, damit sie wieder gesellschaftsfähig werden.
Der Verein
Der Verein Schwierige Felle setzt sich seit 2012 für verhaltensauffällige Hunde ein. Finanziert wird der Verein über Spenden und über das Hundezentrum Niederreißen. Dort leitet Maria Weirauch, die erste Vorsitzende des Vereins, eine Hundepension und hält Seminare rund um das Thema schwierige Hunde.
Der Schwierige Felle e.V. kümmert sich um die Unterbringung, die Resozialisierung, das Training und die Vermittlung von Hunden, die oftmals kurz vor der Einschläferung stehen.
Sie kommen aus deutschen Tierheimen, aus Beschlagnahmungen oder sind private Abgaben. Teilweise sind es Hunde, denen sonst die Einschläferung droht. Auf seiner Website und in seinem Social-Media-Auftritt hilft der Verein außerdem bei der Vermittlung von Hunden, für die Maria keinen Platz frei hat. "In vielen Fällen versuchen wir, die Hundehalter vor der Abgabe zu bewahren und stellen Kontakte zu Hundetrainern her", erzählt Maria. Denn alle Hunde kann sie leider nicht aufnehmen.
"Kaum jemand möchte Hunde aus dem deutschen Tierschutz"
Der deutsche Tierschutz sei kurz vor dem Kollaps, erklärt sie. Ihre Kapazitäten seien begrenzt und die Anfragen stiegen seit etwa sechs Monaten stetig an. Inzwischen seien die Kapazitäten des Vereins erschöpft. Insgesamt 25 Hunde werden derzeit auf Pflegestellen oder in den Vereinsunterbringungen im Hundezentrum Niederreißen betreut. Darunter sind acht Hunde, bei denen es zu gefährlich wäre, sie zu vermitteln.
Sie haben bei Maria ihr Zuhause gefunden. Über 60 Hunde stehen außerdem auf der Warteliste. Doch die Vermittlung der Hunde läuft sehr schleppend. "Kaum jemand möchte Hunde aus dem deutschen Tierschutz. Sogar für die netten Hunde findet sich schwierig ein Zuhause", sagt sie. Und solange kein Hund vermittelt wird, gibt es keinen Platz für die Wartenden oder die Notfälle mit Einschläferungs-Verfügung. Maria versucht vieles möglich zu machen, doch Zeit, Geld und Platz sind einfach begrenzt.
Auch der deutsche Tierschutzbund spricht von überfüllten Tierheimen und immer mehr Abgabemeldungen. Durch die weiter steigenden Lebenshaltungs- und Tierarztkosten befürchten die Tierschützer sogar, dass sich die Zahlen weiter dramatisieren werden.
Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes erklärt, dass dies an vielen unüberlegt angeschafften Hunden in der Coronazeit liege. Unter ihnen seien auch viele junge Hunde, die eine intensive Betreuung in den Tierheimen benötigten. "Oft haben die früheren Hundehalter die Erziehung vernachlässigt."
"Die Menschen sind weniger konfliktfähig"
Maria Weirauch sieht als Grund neben den sogenannten "Corona-Hunden" vor allem die steigende Überforderung der Menschen. "Das ist ein gesellschaftliches Problem. Die Menschen sind weniger konfliktfähig", sagt sie im Gespräch während der Mittagspause – und die ehrenamtlichen Helfer stimmen ihr zu. Dadurch würden Probleme überhaupt erst aufkommen, die dann zur Abgabe führten.
"Viele Leute haben heutzutage keine Tiere mehr. Sie haben einen Partnerersatz. Und das ist viel zu viel Verantwortung für einen Hund. So viele leben grenzenlos." Außerdem sorge das Überangebot an Informationen dazu, dass das Bauchgefühl im Umgang mit dem Hund verloren ginge.
Viele Leute haben heutzutage keine Tiere mehr. Sie haben einen Partnerersatz.
Doch der Umfang der Betreuung und das Training, das nötig wäre, um diese Hunde schneller zu vermitteln, ist in vielen Tierheimen fachlich nicht möglich. Maria Weirauch unterstützt daher eine Initiative für Tierheimcoachings, bei dem Tierheimmitarbeitende im Umgang mit schwierigen Hunden geschult werden. "Das wird sehr gut angenommen, doch unsere Plätze sind begrenzt."
Außerdem sei im Tierheimalltag oft gar keine Zeit, um effektiv mit den Hunden zu arbeiten. Daher müssten viele Tierheime schwierige Hunde ablehnen, erklärt Maria. Auch ihre Anfragen an Tierheime könnten selten bedient werden. Dadurch, dass auch die unkomplizierteren Hunde wenig Anfragen bekämen, gehören Aufnahmestopps laut Tierschutzbund zur Tagesordnung.
Weirauch: Der Online-Handel von Hunden muss verboten werden
Um das Problem der überfüllten Tierheime in den Griff zu bekommen, hat der Deutsche Tierschutzbund sowohl kurzfristige als auch langfristige Vorschläge entwickelt, die auf politischer Ebene durchgesetzt werden sollen.
Neben Gutscheinen für Tierarzt- und Futterkosten, die an Geringverdienende ausgeteilt werden sollen, um eine Abgabe aufgrund von Geldmangel vorzubeugen, steht auch ein Verbot des Online-Handels auf der Agenda. "Denn der Online-Handel führt zu unüberlegten Anschaffungen, oft von Tieren aus fragwürdiger Herkunft oder illegalem Handel. Die Tiere sind oft krank und verursachen in der Folge hohe Kosten", sagt Lea Schmitz.
Das können Sie gegen die derzeitige Lage tun
- Bedenken Sie vor der Anschaffung eines Hundes, wie viel Verantwortung ein Lebewesen mit sich bringt. Ein Tier kostet viel Geld und Zeit. Sie sind ab dem Kauf für das Wohlergehen des Hundes verantwortlich.
- Sollten Sie bereits Probleme mit ihrem Hund haben, scheuen Sie nicht davor, sich Hilfe bei Hundetrainern zu suchen. Dafür sind sie da.
- Denken Sie vor dem Hundekauf über eine Kaufberatung nach. Viele Tierschutzorganisationen und Hundetrainer bieten diese an und unterstützen bei der Suche nach der passenden Rasse, ob vom Züchter oder aus dem Tierheim.
- Ziehen Sie in Betracht, einen Hund aus dem deutschen Tierschutz zu adoptieren. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Hunde in Tierheimen und in Tierschutzorganisationen. Vom Welpen bis zum Senior, vom Anfängerhund bis zur Herausforderung ist alles dabei.
- Lernen Sie den neuen Hund vor Ort ausführlich kennen, bevor sie ihn kaufen. Das geht zum Beispiel bei einem verantwortungsbewussten Züchter, auf Pflegestellen oder im Tierheim.
- Kaufen Sie keine Hunde aus dem Internet. Einschlägige Kleinanzeigen- oder Tierhandel-Portale sind kein geeigneter Ort, um mit Lebewesen zu handeln. Die Gefahr, einen illegal importierten, kranken Hund zu kaufen, ist sehr groß. Wenden Sie sich lieber über die Zuchtvereine an anerkannte Züchter.
- Weisen Sie auch Bekannte auf diese Hinweise hin.
- Jedes Tierheim und jede Tierschutzorganisation freut sich in diesen Zeiten über Spenden.
Auch Weirauch ist der Meinung, dass ein Verbot des Online-Handels eine Möglichkeit sei, die die Situation langfristig verbessern würde. "Es ist zu einfach, Hunde zu kaufen. Die Menschen denken nicht nach und holen sich einfach ein Lebewesen aus zweifelhafter Herkunft."
Auch in Thüringen würden immer wieder Transporter mit illegal importierten Welpen entdeckt, auch wenn es nicht so oft passiere, wie in den Grenzgebieten Deutschlands. "Wenn das noch mehr wären, wären wir hier am Ende. Wir wissen ja jetzt schon nicht mehr wohin mit den ganzen Hunden."
Hundezucht und Einfuhr von Hunden aus dem Ausland regulieren
Eine weitere Möglichkeit sei die Regulierung des Imports von Hunden aus dem Auslandstierschutz, sagt Weirauch. "Es muss Voraussetzungen für Auslandstierschutzvereine geben, wie zum Beispiel eine verbindliche Sachkundeprüfung durch das Veterinäramt. Das wird einfach zu wenig überprüft."
Außerdem würden zu wenig Vereine die Hunde wieder zurücknehmen, wenn sie an die falschen Menschen vermittelt worden sind. "Ein verantwortungsbewusster Verein hat Pflegestellen, die Hunde aufnehmen, die nicht zur Familie passen." Und doch würden immer wieder Hunde aus dem Ausland in den Tierheimen landen.
Ähnlich wäre es bei Hunden aus Deutschland. Diese würde ein verantwortungsvoller Züchter wieder aufnehmen, wenn er sie an die falschen Menschen vermittelt hat. "Inzwischen werden aber sogar gute Züchter ihre Hunde nicht mehr los", erzählt sie.
Und schon wieder klingelt ihr Telefon. Wie so oft an diesem Tag. Zwischen Anweisungen an die Helfer und der Verpflegung der Hunde vor Ort spricht sie aufgelösten Hundehaltern gut zu und versucht, das fast Unmögliche möglich zu machen: Plätze für Abgabehunde zu finden.
Nun eröffnet der Verein zusätzlich ein Katzenzentrum in Buttstädt, da auch immer wieder Notfall-Kätzchen bei Maria Weirauch und ihren vielen Helfern landen.
MDR (jh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 13. Oktober 2022 | 18:40 Uhr
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