Kommentar zur Landtagswahl Thüringen: Regierungsstatus kompliziert
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02. September 2024, 07:00 Uhr
Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen ist abgewählt. Die AfD ist stärkste Kraft und Parteienneuling BSW der Senkrechtstarter. Einfach wird die Regierungsbildung nicht - große Kompromissbereitschaft ist gefragt. Ein Kommentar von Regina Lang.
Wums - was für ein Wahlergebnis! Die Thüringer haben die politische Landschaft umgepflügt in einem Ausmaß, wie es die Bundesrepublik noch nie erlebt hat. Die Minderheitsregierung von Linke, SPD und Grünen ist krachend abgewählt. Die Linke halbiert, die SPD mal gerade so im Parlament, die Grünen draußen. Die CDU hat es nicht geschafft, die Herzen und Stimmen für sich zu gewinnen, obwohl Frontmann Mario Voigt bis zur Selbstverbiegung gekämpft hat.
All diejenigen Parteien, die seit der Neugründung Thüringens die Politik geprägt haben, die bei aller berechtigten Kritik das Land aus der sozialistischen Misere in ziemlichen Wohlstand geführt haben - all diese Parteien schaffen zusammen nicht einmal so viele Stimmen wie in Summe die AfD und Neuling Bündnis Sahra Wagenknecht.
BSW wirbelt Mehrheiten durcheinander
Apropos Neuling BSW. "Die Sahra ist der Gamechanger", so hat es mir ein Sahra-Fan vor Monaten verschwörerisch zugeraunt. Da hat er recht. Die Sahra und ihre etwa 80 Mitglieder in Thüringen haben die politische Landkarte durcheinandergewirbelt, haben eine Mehrheit der AfD verhindert und gleichzeitig die Linke pulverisiert.
Wer weiß, ob die Linke überhaupt noch in den Landtag gekommen wäre, hätte sie Bodo Ramelow nicht gehabt. So wie in Sachsen. Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte AfD unter Björn Höcke ist stärkste Kraft. Sehr wahrscheinlich wird die Partei mehr als ein Drittel der Sitze bekommen, damit kann sie wichtige Entscheidungen blockieren. Der erhoffte Durchmarsch in die Regierung wird es aber wohl nicht werden, auch wenn Höcke den Regierungsauftrag für sich sieht.
Regierungsbildung nur mit großen Kompromissen
Und nun? Einfach wird es nicht, eine Regierung für den Freistaat zu bilden. Nach allen bisherigen Bekenntnissen wird die AfD keinen Partner finden, der mit ihr eine Regierung bilden will. Die CDU nicht, das BSW nicht. Ob am Ende eine Partei eine AfD-Minderheitsregierung toleriert? Denkbar wäre es.
Wahrscheinlich wird Voigt Ministerpräsident, mit nicht einmal einem Viertel der Wählerstimmen für die CDU, in einem Bündnis mit BSW und SPD. Aber nicht einmal das reicht für eine Mehrheit. Die Linke zeigt sich offen für eine Zusammenarbeit. Aber da steht die "Brandmauer" der CDU. Zerbricht die CDU, wenn diese Abgrenzung fällt? Aber das ist ein anderes Thema.
Spaltung überwinden
Achtung, jetzt kommt ein Appell an die künftig Regierenden: nehmt die Bürgerinnen und Bürger ernster als die Parteidoktrin. Hört auf die 70 Prozent, die ihre Arbeit machen, die Gesellschaft und die freiheitliche Grundordnung stützen. Viele Menschen haben Sorgen, ins Hintertreffen zu geraten, obwohl es den meisten heute wirtschaftlich gut geht. Wunden aus der Wendezeit sind wieder aufgebrochen.
Auf die neue Regierung kommen immense Aufgaben zu, die sich nicht auf Knopfdruck lösen lassen. Weder Lehrer- noch Fachkräftemangel, weder Zuwanderung und Krieg und schon gar nicht Klimawandel. Das Auseinanderklaffen von Stadt und Land, kleine Renten und hohe Kosten - die Liste ist lang.
"Arsch hoch und machen"
Das sind nur die Sachaufgaben, darüber steht das Mega-Thema: Spaltung überwinden! Der neue Ministerpräsident und seine Regierung müssen eine auseinanderdriftende Gesellschaft wieder zusammenführen, sie müssen es mindestens versuchen. Sie müssen den Thüringern eine Zukunftsidee vermitteln - Gereiztheit in Toleranz, Angst in Aufbruchsstimmung verwandeln. Unser demokratisches System sichern, das Freiheit und Wohlstand garantiert.
Das geht nicht schnell, das geht nicht ohne Reibung und große Kompromisse und das ist auch gut so. Wie das gehen könnte? Bäckerin Doreen Bergmann aus Stelzendorf empfiehlt in der "Thüringer Allgemeinen": "Arsch hoch und machen." Eben. Und das wird man doch noch sagen dürfen.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 01. September 2024 | 19:00 Uhr
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