Dänsicher Journalist berichtet von der LTW 2 min
Im Video: Wie ein dänischer Journalist von der Landtagswahl in Thüringen berichtet. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Landtagswahl 2024 So reagiert das Ausland auf das Wahlergebnis in Thüringen

04. September 2024, 06:00 Uhr

Die einen nennen es "politische Sensation", die anderen eine "Demütigung für Kanzler Olaf Scholz" – die Landtagswahlen beschäftigen auch die Medien in anderen Ländern. Im Fokus der Schlagzeilen stand vor allem der Wahlerfolg der AfD. Aber auch die bittere Niederlage der SPD und das Verhältnis von Ost- und Westdeutschland wurden in der Presse thematisiert.

Großbritannien: "Demütigung für Kanzler Olaf Scholz"

Dass in zwei ostdeutschen Bundesländern ein Drittel der Bevölkerung eine Partei wählen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, macht in Großbritannien fette Schlagzeilen. Die konservative "The Times" hebt die AfD-Gewinne in Ostdeutschland auf die Titelseite: „Germany’s far right has first big win since the Nazis" lautet die Schlagzeile: "Extrem Rechte in Deutschland fährt ersten großen Sieg seit der Nazi-Zeit ein“. Im Innenteil der Zeitung wird dann über den vom Verfassungsschutz als Extremist eingestuften Geschichtslehrer Björn Höcke geschrieben, der für den Erfolg der Rechten verantwortlich sei.

Der konservative "Daily Telegraph" meint: "Diese Demütigung für Bundeskanzler Olaf Scholz lässt ein Machtvakuum im Herzen Europas entstehen." Und fügt hinzu, dass 1933 die SPD die einzige Partei gewesen sei, die gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt habe. Das lasse die heftige Niederlage der SPD umso bitterer erscheinen.

Screenshot eines Artikels auf der Website des britischen Guardians zum Wahlerfolg der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen.
Das Wahlergebnis der Landtagswahl sei zeige, dass Ost- und Westdeutschland weiter auseinanderdriften, schreibt der "Guardian". Bildrechte: The Guardian

Der liberale "Guardian" schreibt, das Wahlergebnis zeige, dass Ost- und Westdeutschland weiter auseinanderdriften würden. Und dass die Bedrohung der Demokratie durch extremistische Parteien in Deutschland, das Ergebnis einer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik sei. Deutschland bleibe in einer "schnell digitaler werdenden Welt zunehmend einer analogen Wirtschaft verhaftet."

Tschechien: "AfD kapert Landtagswahlen"

In Tschechien schreibt die führende Tageszeitung "Mladá fronta DNES" am Morgen nach der Wahlnacht: "Die AfD kapert die Landtagswahlen in Ostdeutschland". "Die AfD feiert", titelt auch das große Nachrichtenportal aktualne.cz, weist aber zugleich darauf hin, dass die Partei wenig Aussichten auf Regierungsbeteiligung hat. Für Parteien der Berliner Regierungskoalition unter Kanzler Olaf Scholz stelle das Wahlergebnis aber ein Debakel da.

Diesen Aspekt führt der Nachrichtenserver novinky.cz unter der Überschrift "Ohrfeige für die deutsche Regierung" weiter aus. Die Berliner Regierungsparteien hatten nicht einmal die Hälfte der Stimmen der AfD bekommen. In der SPD beginne nun das Nachdenken, ob Scholz der richtige Leader für die kommenden Bundestagswahlen sei.

Ohrfeige für die deutsche Regierung.

Nachrichtenserver "novinky.cz"

Hauptnachricht des Wahlabends sei der überwältigende Sieg der rechtsextremen AfD in Thüringen, die von einem Vertreter ihres extremen Flügels angeführt wurde, schreibt die Tageszeitung "Deník N." Die Zeitung weist auf programmatische Überscheidungen zu dem ebenfalls starken BSW hin: Sowohl die rechtsextreme AfD wie auch das ultralinke BSW hätten ein Ende der Militärhilfe für die Ukraine und die Aufhebung der antirussischen Sanktionen gefordert.

Auch das Nachrichtenportal des Tschechischen Rundfunks irozhlas.cz beschäftigt sich mit der Person des thüringischen AfD-Spitzenkandidaten: Höcke sei eines der umstrittensten Gesichter der AfD und gehöre dem nationalistischen Flüge der Partei an. Das Portal erinnert etwa die wiederholte Verwendung von NS-Parolen durch Höcke.

Olaf Scholz, SPD.
Das tschechische Nachrichtenportal aktualne.cz bezeichnete das Wahlergebnis als Debakel für Kanzler Olaf Scholz. Bildrechte: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Am ausführlichsten widmet sich das politische Wochenmagazin "Respekt" den Landtagswahlen. So in der Titelstory der am Montag erschienenen Printausgabe: "Zorniges Ostdeutschland. Reportage aus Orten, wo altes Unrecht weiterlebt und neues daraus entsteht". Auf die Wahlergebnisse selbst geht "Respekt" auf seinem Online-Portal ein: "Triumph für die Extremisten, aber niemand will mit ihnen in die Koalition". Die AfD erhalte umso mehr Stimmen, je radikaler sie sich präsentiere. Damit stelle sie sich gegen den Trend anderer europäischen Rechtspopulisten die ihre Rhetorik mäßigten, um Wähler der Mitte zu gewinnen und nicht als lautstarke, aber letztlich randständige Partei zu enden.

Russland: "Politische Sensation"

Der Sieg der AfD: eine "politische Sensation". So wird es zumindest im "Ersten Kanal" verkündet, dem größten staatlichen TV-Sender in Russland. Die Moderatoren betonen auch immer wieder, den Russland-Kurs der AfD – gegen Sanktionen, zurück zu alten Handelsbeziehungen. Die Menschen in Deutschland seien müde von dem Krieg in der Ukraine, sagt eine Nachrichtenmoderatorin. Deswegen habe die AfD in zwei Bundesländern so stark an Wählern hinzugewonnen.

Die Deutschen haben Bundeskanzler Scholz mit diesen Wahlen deutlich gesagt: "Geh weg."

orsitzende der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin

Der Vorsitzende der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, schreibt auf Telegram, die Deutschen hätten Bundeskanzler Scholz mit diesen Wahlen deutlich gesagt: "Geh weg." Seine Regierung sei unpopulär, auch in anderen Teilen Deutschlands. Es sei offensichtlich, so schreibt Wolodin weiter, dass die Entwicklung Deutschlands und die Lösungen der Probleme für die Bürger, für Scholz keine Priorität hätten.

Sprecher der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin
Sprecher der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, unterstellt Bundeskanzler Scholz, dass die Lösung der Probleme der Bürger keine Priorität für ihn hätten. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

In den russischen Nachrichtensendungen werden auch Demonstrationen aus Deutschland gezeigt: Demos gegen den Krieg und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Wichtig für den "Ersten Kanal" wohl auch zu erwähnen, dass auf der Wahlparty der AfD keine Journalisten zugelassen wurden. Diese hätten zuvor, so wörtlich, zu viel "Gift" über die Partei verbreitet.

Polen: "Früher NSDAP. Heute AfD?"

Polnische Medien berichten über die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ausführlich und deutlich detaillierter als bei vergleichbaren Wahlen in der Vergangenheit. Bereits vor der Wahl fragte die Tageszeitung "Rzeczpospolita": "Früher NSDAP. Heute AfD?"

Am Montag nach den Wahlen schreibt die Zeitung, gerade in Thüringen sei die AfD außergewöhnlich radikal, "angeführt von dem charismatischen Björn Höcke, der von den Eliten am meisten gehassten Figur. Als Nazi bezeichnet, als Faschist und als kleiner Hitler betrachtet, zeugt er von der Sehnsucht der Deutschen nach einem starken Führer." Zwar bestehe der "Cordon Sanitaire" der anderen Parteien um die AfD fort, "aber es knarzt gefährlich."

Die Wochenzeitung "Polityka" titelt: "Die extreme Rechte ist an der Macht. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind ein Erdbeben: für Deutschland und den Westen." Die Möglichkeit, dass die AfD künftig Einfluss auf die Ernennung von Richterinnen und Richtern Einfluss nehmen könne, wecke "Bedenken, die auch Vergleiche mit der Herrschaft der PiS in Polen nach sich ziehen."

Björn Höcke, AfD-Fraktionschef
AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke macht auch in der internationalen Presse Schlagzeilen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Nicht nur, dass die Regierungsbildung in beiden Ländern sehr schwierig werde, über den Bundesrat hätten die Landtagswahlen auch Einfluss auf die Bundesebene. Für die Koalition von Olaf Scholz werde das Regieren jetzt noch schwieriger. Während sich viele polnische Medien auf die AfD konzentrieren, analysiert "Polityka" auch das BSW kritisch: "Sahra Wagenknecht, die sich als neue Rosa Luxemburg stilisiert, kombiniert auf unkonventionelle Weise scheinbar widersprüchliche Positionen und präsentiert den Wählern etwas, das man als Sozialismus mit braunem Anstrich bezeichnen könnte."

Sahra Wagenknecht stilisiert sich als neue Rosa Luxemburg.

Wochenzeitung "Polityka"

Aus polnische Sicher ist vor allem besorgniserregend, dass mit AfD und BSW zwei Parteien erfolgreich waren, die sich lieber Russland unter Wladimir Putin annähern möchten als die Ukraine militärisch zu unterstützten. So schreibt beispielsweise die liberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza": "Unabhängig davon, welche Folgen es (die Wahlen) haben werden, ist eines sicher: Sachsen und Thüringen haben gegen die deutsche Unterstützung der Ukraine gestimmt. Sowohl die AfD als auch das linksexteme BSW sind hier derselben Meinung: Sie fordern den Aufbau von Handelsbeziehungen mit Russland." Das sei auch ein Grund für das schlechte Abschneiden der Grünen, die sich konsequent für eine Unterstützung der Ukraine einsetzen würden.

Der Fernsehsender TVN24 zitiert den Soziologen Andrzej Sakson vom Westinstitut in Poznań. Sakson zu Folge sei "der Erfolg der extremen Rechen eine späte Abrechnung mit der Transformation in der ehemaligen DDR." Statt einer Vereinigung beider Staaten, DDR und Bundesrepublik, habe ein Anschluss stattgefunden. "Der Sinn und die Existenz des Staates DDR wurde bestritten. Diese Marginalisierung führte dazu, dass eine Mehrheit der DDR-Bürger das Gefühl hatte, Bürger zweiter Klasse zu sein."

Frankreich: "Deutschland im Schock"

Die französische, eher linksliberale Tagezeitung "Le Monde", eine der wichtigsten im Land, schrieb am Montagmorgen in einem langen Artikel, dass das Ergebnis der Wahlen in Thüringen und Sachsen, die Koalition von Olaf Scholz weiter schwächt. Es soll aber keine Überraschung gewesen sein. Trotzdem dürfte die AfD nicht in der Lage sein an der nächsten Regierung teilzunehmen: "Die SPD des Kanzlers fällt zurück, aber vor allem ihre Verbündeten, die Grünen und die Liberaldemokratische Partei, stürzen ab. Ein Jahr vor den Parlamentswahlen ist dies ein schwerer Rückschlag für Scholz."

Eine Ausgabe der französischen Zeitung Le Monde liegt in einem Zeitungsstapel.
Die französische Tagezeitung "Le Monde" schrieb nach den Wahlen von einem "schwerer Rückschlag für Scholz." Bildrechte: picture alliance / dpa | Federico Gambarini

Les Echos, eine täglich erscheinende Finanzzeitung, titelt: "L'extrême droite remporte une victoire historique en Allemagne" – "Rechtsextreme erringen historischen Sieg in Deutschland."

Die "Libération", eine der wichtigsten linksliberalen überregionalen Zeitungen Frankreichs, titelt: "Braune Welle - Deutschland: Rechtsradikale gewinnen erstmals eine Regionalwahl." Diese Zeitung nimmt mehr Position als die anderen aber hier wird klar, dass Deutschland unter Schock stehe: "Trotz der Warnungen von Kirchen, Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs hat nichts das angekündigte politische Erdbeben verhindert. Zum ersten Mal seit Kriegsende wurde die extreme Rechte bei einer Landtagswahl stärkste Kraft. Thüringen war - Ironie der Geschichte - das erste Land gewesen, das 1930 von Nazis regiert worden war."

Österreich: "Historische Wahlergebnisse"

Die konservative Regierungspartei ÖVP kommentierte am Abend: "Die Stärkung der radikalen Ränder in Deutschland ist alarmierend." Gestärkt worden sei mit der AfD nicht nur der radikale rechte Rand, sondern mit dem BSW auch der radikale linke Rand. Mit Blick auf Österreich appellierte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am Wahltag 29. September "die Mitte" zu stärken. Als solche bezeichnet sich die ÖVP im Wahlkampf. "Diese Wahlergebnisse sollen uns Warnung sein", so Stocker. Das bezog er auf die in Teilen rechtsextreme Partei FPÖ, die in Österreich seit über einem Jahr die Umfragen anführt.

Deren Parteichef Herbert Kickl gratulierte hingegen der in Thüringen und Sachsen zu "historischen Wahlergebnissen". Diese seien " Ausdruck der Hoffnung auf einen Systemwechsel." Der Ampel attestierte der Politiker, ihr sei die Rechnung für ihre "schädliche Politik präsentiert" worden.

Die Spitzenkandidaten hinter den Rednerpulten: Katja Wolf (BSW), Thomas Kemmerich (FDP), Madeleine Henfling (Grüne), Georg Maier (SPD), Björn Höcke (AfD), Mario Voigt (CDU), Bodo Ramelow (Linke)
Die Spitzenkandidaten in Thüringen waren teils auch Gegenstand der ausländischen Berichterstattung. Bildrechte: MDR/Elisabeth Czech

Die Tageszeitung "Der Standard" attestiert dem großen Nachbarland Deutschland, es würde "düstere Zeiten" erleben. Die Menschen hätten Angst: Das habe der Anschlag in Solingen erneut offengelegt. "Emotionen, die weder Ex-Kanzlerin Angela Merkel noch ihr Nachfolger Olaf Scholz begriffen haben." Die Zeitung sieht das Wahlergebnis auf Krise der Ampel-Regierung. "Man ist fertig miteinander, zusammen hält das unattraktive Dreierbündnis nur noch die Angst vor den Wählerinnen und Wählern."

Die Tageszeitung "Die Presse" zeigt wenig Verständnis für die Wählerinnen und Wähler in Thüringen und Sachsen: "Die Ostdeutschen koppeln sich in ihrem Wahlverhalten immer stärker von ihren westdeutschen Landsleuten ab. Sie kultivieren Eigen- und Sonderheiten, die 35 Jahre nach dem Fall der Mauer erratisch anmuten," so das Urteil aus Wien. Die CDU in Sachsen stehe vor einem Dilemma, einer Wahl zwischen "Pest und Cholera." Die AfD sei nicht kompatibel und das BSW "eine Blackbox."

MDR

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