Wahlnacht in Erfurt "Hier hat sich etwas zusammengebraut": Ausländische Medien berichten
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02. September 2024, 20:14 Uhr
Die Thüringer Wahl ist aus Erfurt um die Welt gegangen, durch internationale Journalisten. Sie haben die Stadt bestaunt, das WLAN im Landtag vermisst und nach Erklärungen gesucht - für den Sieg der AfD.
Uffe Dreesen ist mit seiner Frau nach Erfurt gekommen. Dienstreisen mit einem Kurztrip verbinden: Das schafft das Ehepaar aus Dänemark nur selten. Diesmal hat es geklappt. Aber Urlaubsstimmung kommt an diesem Sonntagabend nicht auf.
Während Uffe Dreesen vor dem Landtag live für den dänischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TV2 berichtet, versendet seine Frau Fotos einer Demonstration, die vor dem Fenster vorbei läuft, einer Demonstration gegen die rechtsextreme AfD, die diese Wahl deutlich gewonnen hat.
Uffe Dreesen arbeitet seit 36 Jahren für TV2, hat schon aus Russland und dem Ukraine-Krieg berichtet. Auch Deutschland kennt er schon lange, und zwar Ost und West. In den Achtzigerjahren besuchte er die DDR und hatte Freunde in Bautzen. Der Kontakt hat sich irgendwann verlaufen.
Heute fragt sich Dreesen, was seine Bautzner Freunde wohl über die hohen Wahlergebnisse der rechtsextremen AfD in Sachsen und Thüringen denken. "Ich habe hier in Thüringen mit AfD-Wählern gesprochen. Und manche sehen vielleicht ein bisschen rechtsradikal aus. Aber viele andere wirken wie ganz normale Typen."
Die dänischen Zuschauer wissen wenig über deutsche Politik, erst recht nichts über Thüringer Landespolitik.
Für dänische Fernsehzuschauer ist die Thüringer Politik ziemlich unverständlich, erzählt Dreesen: "Die AfD hat 33 Prozent der Stimmen. Sie wird aber nicht Teil der Regierung, weil niemand mit ihr zusammenarbeiten will. Das muss man erklären."
Auch in Dänemark gibt es rechtspopulistische politische Kräfte, die in der Vergangenheit mitregiert haben. Mit dem Wahlsieg der amtierenden Sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wurde den dänischen Rechtspopulisten aber der Wind aus den Segeln genommen. Viele führen das auf Frederiksens strenge Migrationspolitik zurück.
"Björn Höcke" ist schwer auszusprechen
Der rechtsextreme Wahlsieg dominiert die Schlagzeilen, die aus Erfurt um die Welt gehen. Wenn Dreesen seine Live-Schalte nach Kopenhagen sendet, kommt ihm der Name leicht über die Lippen, um den sich Sonntagabend alles dreht: Björn Höcke. Viele andere Journalisten tun sich damit schwer. Auf den Fluren des Landtages hört man immer wieder ulkige Namensversionen des Wahlsiegers, der in vielen Sprachen einen echten Zungenbrecher darstellt.
Hier in Thüringen hat sich etwas Wichtiges zusammengebraut.
Aus dem Mund von Raquel González klingt der Thüringer AfD-Chef wie "Chock". González berichtet für den spanischen Fernsehsender Televisión Española. "Thüringen ist klein", sagt sie, "aber unser Fokus ist hier, wegen dem Wahlsieg der AfD. Auch in anderen Ländern ist die extreme Rechte auf dem Vormarsch, in Frankreich, in Österreich, Schweden und so weiter. Aber in Deutschland gab es einen solchen Wahlsieg einer rechtsextremen Partei bisher nicht. Natürlich mussten wir hier sein, um davon zu berichten."
Im Vergleich zu Spanien fällt ihr auf, dass der Verfassungsschutz in Deutschland eine größere Rolle spielt, Parteien beobachtet und als extremistisch einstuft.
Die ostdeutsche Provinz erschreckt und fasziniert
Viele ausländische Korrespondten stellen sich dieselbe Frage, die seit Jahren durch die deutschen Medien geistert: Warum wählen hier in Ostdeutschland so viele Menschen die rechtsextreme AfD?
Um zu verstehen, wie Thüringen "tickt", waren viele ausländische Journalisten abseits der Landeshauptstadt unterwegs. So auch Kazuo Teranishi von der japanischen Zeitung Asahi Shimbun. Er hat drei Tage in Suhl verbracht und schnell ein Hauptproblem des ländlich geprägten Thüringens ausgemacht: "In Jena haben wir viele junge Leute auf der Straße gesehen. In Suhl ist das ein bisschen anders."
Die Menschen fühlen sich zurückgelassen.
Und noch etwas ist Teranishi aufgefallen: "Die wirtschaftliche Lücke zwischen der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik. Zuletzt haben wir viel Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland gesehen. Aber trotzdem fühlen sich Menschen zurückgelassen. Ich glaube, es braucht mehr politische Verbesserungen, um die wirtschaftliche Lücke zwischen den beiden Landesteilen zu schließen.“
Kein WLAN, keine Pressekonferenzen
Deutschland - das sagen viele Korrespondenten - ist deshalb so von Interesse, weil es das wirtschafts- und einwohnerstärkste Land der EU ist. Umso erstaunlicher finden viele, dass manches im Alltag hier schlechter funktioniert als in ihren Heimatländern. "Ich fahre meistens mit dem Zug und meistens mit Verspätung", witzelt Dreesen vom dänischen TV2.
Kazuo Teranishi wundert sich, dass es in der Erfurter Wahlnacht keine zentrale Pressekonferenz gibt, wo er Fragen stellen kann. Stattdessen rennen die Journalisten Björn Höcke durch die Flure hinterher. Kein Wunder - schließlich wurden sie alle von der AfD-Wahlparty ausgeladen.
Und auch Raquel González sagt mit einem höflichen Lächeln: "Darf ich eine kleine Beschwerde loswerden? Wie immer in Deutschland ist die Internetverbindung ein Thema. Für uns spanische Journalisten ist es sehr überraschend, von einem Wahlabend zu berichten und kein WLAN zu haben. Das ist doch eigentlich das Mindeste. Das hat uns schon überrascht."
Erfurt gewinnt Städtetouristen
Eins hat die Auslandskorrespondenten aber positiv überrascht, ja geradezu überwältigt: Die Schönheit der Stadt Erfurt. "Wunderschön, bezaubernd!" - "Diese Stadt ist fantastisch. Warum kommen hier keine Flüge aus der ganzen Welt an?" Es zieht sich durch alle Gespräche: Alle bestaunen die Erfurter Altstadt, aber niemand hatte vorher eine Ahnung davon. Mehrere Reporterinnen und Reporter wollen als Touristen wiederkommen.
Uffe Dreesen von TV2 hat es schon gemacht und ist sogar schon auf dem Rennsteig gewandert. Und auch dem komplizierten Wahlergebnis kann er für sich selbst etwas Gutes abgewinnen: "Als Journalist ist es eine schöne Herausforderung. Ich bin ja kein Einwohner von Thüringen oder Deutschland. Ich kann es nur von außen aus Jorunalist betrachten. Und da finde ich es sehr spannend, muss ich sagen."
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MDR (lls)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 03. September 2024 | 07:00 Uhr