Was für ein Bild gab sich Ihnen nach der Bombardierung?
Unser Hinterhaus wurde von einer Sprengbombe getroffen, alles war zertrümmert. Wir wohnten am Rande der Altstadt, wo es viele Fachwerkbauten gab. Im Balkengewirr fanden wir zwei der Frauen eingeklemmt. Mein Vater hat sich stundenlang zu den schreienden Frauen vorgearbeitet. Eine konnte verletzt geborgen werden, die andere war verstorben. Eine dritte Frau wurde durch die Explosion in einen toten Winkel des Hauses geschleudert und blieb völlig unverletzt.
Das Schlimmste war dann die weitgehend zertrümmerte Nordhäuser Innenstadt. Sämtliche Straßen waren verschüttet. Rettungsfahrzeuge und Feuerwehr waren nicht in der Lage vorzudringen. Später wurde behauptet, dass unter den Bomben nur ein geringer Anteil Brandbeschleuniger war. Aber ich selbst hatte eine solche Phosphorstange in der Hand und mich daran verbrannt. Jedenfalls reichte es aus um die Nordhäuser Innenstadt flächenhaft in Brand zu setzen.
Kurz vor Kriegsende wurde Nordhausen damit zu mehr als 70 Prozent zerstört. Die Verluste an Menschen und der Grad der Zerstörung werden relativ mit denen Dresdens verglichen, das zu 60 Prozent zerstört war. Welche Erinnerungen haben Sie an das Stadtbild?
Der Flächenbrand in Innenstadt zerstörte alles. Für die, die sich dort aufhielten, gab es kein Entkommen. In den großen Kellern, in denen sich viele sicher fühlten, wie dem 'Weinkeller', dem 'Brauereikeller', im Hotel 'Römischer Kaiser', dem Keglerheim oder im Gasthaus 'Zur guten Quelle', waren gleich Dutzende tot. Vom zertrümmerten Rathaus konnte man bis zum Bahnhof blicken, ohne dass etwas im Wege stand. Auch in der Innenstadt von der heutigen Post bis zum Bebelplatz war alles zerstört.
Das Schlimme ist, die Stadt war sehr hübsch und geschichtsträchtig wie Quedlinburg oder Wernigerode. Nordhausen war die Stadt der Treppen, die acht sehr langen Treppen waren mit Efeu begrünt, der Mühlgraben ein Klein-Venedig, wie die Gera in Erfurt romantisch bebaut ist. Die Stadtbefestigung mit den Türmen und Mauern ist nur bruchstückhaft erhalten und restauriert. Zweifellos ist Nordhausen heute wieder ansehnlich geworden, aber das Antlitz der mittelalterlich geprägten Stadt ist nicht wiederzubringen.
Warum wurde ausgerechnet Nordhausen Ziel dieser schweren Angriffe?
Das fragten wir uns natürlich auch, denn Nordhausen war relativ unbedeutend ohne nennenswerte Militärpräsenz. Der wahrscheinlichste Grund ist, dass die Alliierten vom KZ Mittelbau-Dora wussten und damit sicherlich auch von der Produktion der V1 und V2 Raketen. Auch wenn die Alliierten keine Vorstellung von der Dimension der unterirdischen Tunnel hatten, so war die Anlage mit der Luftwaffe nicht zu erreichen. Vermutlich verzichteten sie auch auf den Beschuss des Lagers, weil dort vorrangig Häftlinge und Zwangsarbeiter beschäftigt waren, die man nicht töten wollte.