Analyse Was die Ergebnisse der Kommunalwahl 2024 für Thüringen bedeuten
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13. Juni 2024, 17:22 Uhr
Die Stimmen sind ausgezählt und alle Ämter und Mandate vergeben - die Thüringer Kommunalwahl 2024 ist vorbei. Was aber bedeuten die Ergebnisse für Thüringen und was kann man von ihnen für die Landtagswahl 2024 ableiten? Eine eher düstere Analyse mit einem optimistischen Fazit von Andreas Kehrer.
Neunmal angetreten, neunmal gescheitert - das ist die Bilanz der AfD bei den Stichwahlen in Thüringen. Am Montag war es die Nachricht, die nicht nur viele bundesweite Medien hervorhoben. Auch Thüringer Politiker wie Mario Voigt und Georg Maier bemühten sich, die Stichwahlergebnisse zu einem "Riesenerfolg" der CDU oder zum Signal der "starken kommunalpolitischen Kraft" der SPD umzudeuten. Es hatte etwas von Zweckoptimismus.
Denn in Summe hat die CDU auf höchster kommunaler Ebene in Thüringen nur ein Verwaltungsamt hinzugewonnen. Dem Verlust des Landratsamtes in Hildburghausen konnten die Christdemokraten durch die Erfolge in Erfurt und Gera verschmerzen. Nimmt man aber die Stagnation der CDU in den kommunalen Parlamenten hinzu, scheint "Minimalziel erreicht" eine passendere Beschreibung zu sein.
Und von welcher "starken kommunalpolitischen Kraft" Georg Maier geträumt hat, bleibt ein Rätsel. Die SPD hat mit Erfurt und dem Unstrut-Hainich-Kreis nicht nur zwei Verwaltungsämter eingebüßt, sondern auch fast zwei Prozentpunkte im Vergleich zur Kommunalwahl 2019 verloren.
Was nehmen wir also, nun da auch die Stichwahlen durch sind, aus der Thüringer Kommunalwahl 2024 mit? Was bedeuten die Ergebnisse für Thüringen und was lässt sich für die Landtagswahl 2024 ableiten? Es drängen sich vor allem fünf Erkenntnisse auf:
- Der Rechtsruck in Thüringen geht weiter
- Die AfD wird erst noch Stichwahl-tauglich
- Die Kommunalpolitik wird sich verändern
- Die politischen Säulen Thüringens erodieren
- Die politische Dauerkrise hält an
Diese fünf Erkenntnisse mögen im ersten Moment bitter wirken. Trotzdem ist es möglich, optimistisch in die Landtagswahl zu gehen und sie als Chance zu begreifen. Aber dazu kommen wir noch.
Der Rechtsruck in Thüringen geht weiter
Die Kommunalwahl 2024 hat die AfD landesweit gestärkt. Auch wenn die rechtsextreme Partei bei den Stichwahlen leer ausging und das Ergebnis insgesamt hinter den Erwartungen zurückblieb, so bleibt am Ende doch ein Plus von 8,1 Prozentpunkten in allen Thüringer Kommunalparlamenten. Flankiert von dem Europawahlergebnis, wo die AfD in Thüringen stärkste Kraft wurde, muss man konstatieren: Der Rechtsruck in Thüringen geht weiter.
Das gilt umso mehr, weil auch das Bündnis Sahra Wagenknecht Achtungserfolge erzielen konnte. Bei der Kommunalwahl, wo es nur in einzelnen Kreisen antrat, gelang dem BSW beispielsweise im Landkreis Gotha mit 12,4 Prozent ein respektabler Einstand. Auch das Ergebnis der Europawahl in Thüringen war mit 15 Prozent überaus stark. Hier zeigte eine Untersuchung von infratest-dimap, dass das BSW vor allem Stimmen unzufriedener Linke- und SPD-Wähler einsammelt. Auch diese Wählerwanderung ist ein Rechtsruck - nur einer, der sich ganz links vollzieht.
Auch beim Blick auf die anderen Parteien wird deutlich, dass Thüringen politisch weiter nach rechts neigt. Für Linke, Grüne und FDP lief die Kommunalwahl besonders schlecht. In den Kommunalparlamenten büßten sie noch größere Stimmanteile ein als die SPD. Vielerorts laufen linke und liberale Parteien Gefahr, politisch marginalisiert zu werden. FDP und Grüne sind in vielen Räten schon gar nicht mehr zu finden.
Diese Tendenz nach rechts offenbart sich auch in der Schwäche der Linkspartei bei den Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen. Nicht ein Amt hat die Linke erobern oder verteidigen können. Keiner ihrer Kandidaten und Kandidatinnen schaffte es über den ersten Wahlgang hinaus. Stattdessen duellierten sich hier zumeist die Kandidaten von AfD und CDU. Letztere hat mit Erfurt, Gera und der großen Kreisstadt Eisenach drei wichtige Städte in Thüringen gewonnen, die vorher von SPD, Linke oder von parteilosen Kandidaten regiert wurden.
Es zeigt sich also, dass Thüringen, auch wenn es bei der Kommunalwahl nicht auf einen Schlag blau geworden ist, politisch weiter nach rechts gerückt ist. Auch das ist ein Erfolg der AfD, die diesen gesellschaftlichen Stimmungswandel für ihre Politik dringender braucht als Landratsposten.
Die AfD wird erst noch Stichwahl-tauglich
Zumal es nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte, bis die Höcke-Partei auch diese Ämter gewinnt. Die Kommunalwahl 2024 hat gerade dafür die Voraussetzungen geschaffen. Die vielen Mandate, die die AfD nun auf kommunaler Ebene verteilen kann, wird sie nutzen, um ihre Parteikader weiter zu schulen und in Stellung bringen. Denn bei den Stichwahlen fehlten der AfD aufgrund ihrer noch immer relativ jungen Parteiengeschichte vor allem die etablierten Köpfe.
Die neun Kandidaten und Kandidatinnen der AfD, die jetzt bei den Stichwahlen verloren haben, können selten mehr als fünf Jahre partei- und kommunalpolitische Erfahrung vorweisen. Landratswahlen sind aber Personenwahlen. Die Parteizugehörigkeit fällt hier weniger ins Gewicht als die Bekanntheit der Kandidaten in ihrem Kreis. Hier haben CDU und SPD bisher große Vorteile, da sie viele in der Kommunalpolitik bekannte Gesichter in ihren Reihen haben.
Beispielhaft zeigt das die Landratswahl in Greiz. Hier trat Kerstin Müller für die AfD an. Die 39-Jährige ist seit 2018 Parteimitglied, seit 2019 Stadtratsmitglied in Gera und seit 2022 stellvertretende Kreis-Sprecherin. Ihr Kontrahent war der nur zwei Jahr ältere Ulli Schäfer, der jedoch seit 25 Jahren CDU-Mitglied ist und seit 20 Jahren Kommunalpolitik macht. Ein anderes Beispiel ist das Altenburger Land. Hier erwehrte sich Landrat Uwe Melzer trotz Amtsbonus und 20-jähriger kommunalpolitischer Erfahrung nur knapp dem AfD-Emporkömmling Heiko Philipp, der mit seinem Parteieintritt 2023 erstmals politisch aktiv wurde.
Ein so deutlicher Vertrauens- und Erfahrungsvorsprung lässt sich in der Kommunalpolitik nur schwer innerhalb weniger Jahre aufholen. 2029 könnte das aber schon anders aussehen, denn dann sind fünf weitere Jahre ins Land gegangen, in denen AfD-Politiker ihre Kreise, Städte und Gemeinden mitgestaltet haben.
Die Thüringer Kommunalpolitik wird sich verändern
Denn das wird auf kommunalpolitischer Ebene kaum noch zu verhindern sein. Im Gegensatz zur Landes- und Bundespolitik, die stark durch das Prinzip von Koalition und Opposition geregelt ist, werden Entscheidungen in Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte größtenteils unabhängig vom Parteibuch gefällt. Die Belange der Kommune stehen in der Regel über den Parteiinteressen.
Eine fundamentaloppositionelle Haltung ergibt auf kommunaler Ebene bei den meisten Themen genauso wenig Sinn, wie die grundsätzliche Ablehnung von Oppositionsvorschlägen durch die Regierungskoalition. Ob ein Spielplatz gebaut, eine Schule saniert oder ein Freibad geschlossen wird, ist keine parteipolitische Entscheidung. Niemand kann seinen Wählerinnen und Wählern eine kaputte Schule als Erfolg der eigenen Parteipolitik verkaufen. Vielmehr bilden sich kommunale Mehrheiten entlang finanzieller Abwägungen: Soll das Freibad erhalten oder ein neuer Spielplatz gebaut werden?
Bisher war es bei solchen Fragen in vielen Thüringer Kommunen möglich, eine Entscheidung ohne die rechtsextreme AfD zu treffen. Nach dieser Kommunalwahl dürfte das weit schwieriger werden. Über acht Prozentpunkte legte die Partei thüringenweit zu. In vielen Räten wird sie künftig die stärkste oder zumindest zweitstärkste Fraktion stellen. Selbst wenn die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte nicht der AfD angehören, so wird es ihnen vielerorts doch fast unmöglich sein, Mehrheiten ohne die AfD zu bilden.
Schwierig wird es vermutlich in Nordhausen werden, wo die AfD im neuen Kreistag mit 15 von 46 Sitzen ein erhebliches Mitspracherecht bekommt. Gleiches könnte in Saalfeld-Rudolstadt gelten, sollten sich die beiden AfD-Listen aussöhnen - was aber wohl eher unwahrscheinlich ist. Auch im Kyffhäuser-, Saale-Orla-Kreis und dem Landkreis Sömmerda könnte die AfD im Kreistag großen Einfluss bekommen.
In Gera wird es besonders interessant, wie sich der neue CDU-Oberbürgermeister Kurt Dannenberg verhalten wird. Seine CDU hat nur 7 von 42 Sitzen im Stadtrat. Die AfD hat 15. Sie hat vor der Stichwahl dazu aufgerufen, Dannenberg zu wählen. Ähnlich äußerte sich der stadtbekannte Rechtsextremist Christian Klar. Kurz vor der Wahl berichteten mehrere Medien über eine mögliche Whats-App-Absprache zwischen Dannenberg und Klar. Dannenberg dementierte das - für viele zu halbherzig.
Verbessert hat sich die Lage für Robert Sesselmann im Landkreis Sonneberg. Bisher konnte der Kreistag den einzigen AfD-Landrat im Zaum halten, zum Beispiel als er die Gelder für das Bundesprogramm "Demokratie leben" zusammenstreichen wollte. Nun hat die AfD hier 14 von 40 Sitzen. Nicht genug, um durchzuregieren, aber mit der CDU (10 Sitze), den Freien Wählern (2 Sitze) und der Interessensgemeinschaft Pro Sonneberg (5 Sitze) hat Sesselmann gleich mehrere Möglichkeiten, sich Mehrheiten zu beschaffen.
Die Kommunalpolitik wird sich in Thüringen durch die Stärke der AfD verändern. Am Ende dürfte der CDU-Politiker Michael Brychcy, der 2023 noch einen Shitstorm geerntet hatte, als er für eine politische Zusammenarbeit mit der AfD warb, womöglich Recht behalten. Er warnte, dass man in Sachfragen auf kommunaler und Landesebene ohne die AfD im Osten sonst überhaupt nicht mehr vorankäme.
Die politischen Säulen erodieren
Denn um im Land voranzukommen, braucht es verlässliche Mehrheiten. Seit 1990 waren dafür drei Parteien maßgeblich verantwortlich: CDU, SPD und Linke (früher PDS). Sie waren so etwas wie die tragenden Säulen der Thüringer Demokratie. Bis 2014 holten diese drei Parteien bei allen Kommunal- und Landtagswahlen zuverlässig zwischen 75 und 90 Prozent aller Stimmanteile. Damit konnten in der Regel zwei der drei Parteien eine Mehrheit bilden, während die verbliebene Partei eine starke Opposition darstellte.
Natürlich gab es auch damals Ausnahmen, aber die blieben auf kommunaler Ebene und bestätigten eher die Regel. In den 2020er-Jahren scheint der politische Ausnahmezustand in Thüringen zur Regel geworden zu sein. Längst haben sich viele Thüringer daran gewöhnt, dass Linke, SPD und Grüne ohne Mehrheit versuchen, das Land zu regieren, während die CDU beinah launisch zwischen konstruktiver und fundamentaler Opposition hin und her wechselt. Es ist auch beinah normal geworden, dass die FDP in Thüringen jede staatstragende Verantwortung ablehnt und die AfD versucht, alle anderen Beteiligten gegeneinander auszuspielen, um die Demokratie verächtlich zu machen.
Aber der Thüringer Status Quo ist kein politischer Normalzustand. Er ist eine langanhaltende politische Krise und Folge der Erosion in der traditionellen Parteienlandschaft. Nach der Wende haben CDU, SPD und Linke dem Land zwei Jahrzehnte lang politische Stabilität gebracht. Doch mindestens zwei der drei politischen Säulen sind brüchig geworden und auch die dritte weist wenigstens Risse auf. Die Parteienlandschaft hat sich zerfasert. Bei der Kommunalwahl 2024 kamen CDU, SPD und Linke zusammen auf nur noch 47,9 Prozent aller Stimmenanteile. Stabilität ist nur möglich, wenn sich die Parteien für neue politische Konstellationen öffnen.
Die politische Dauerkrise ist noch nicht vorbei
Nach der Landtagswahl 2019 haben Mike Mohring und Bodo Ramelow genau das versucht: Die Brandmauer einzureißen und Thüringen mit einer Koalition aus CDU und Linkspartei zu regieren. Die Idee scheiterte. Die Mitglieder beider Parteien waren nicht bereit, die Jahrzehnte alten Grabenkämpfe hinter sich zu lassen. Die CDU entzog Mohring das Vertrauen und Ramelow nahm eine Minderheitsregierung auf, die das Land zwar verwalten, aber kaum gestalten konnte.
Nach der Landtagswahl 2024 werden wir vermutlich erneut vor der Situation stehen, dass Mehrheiten nur zwischen der Mitte und den Rändern zustande kommen können. Insbesondere Mario Voigt und die CDU müssen dann dringend staatspolitische Verantwortung übernehmen. Zwar hofft Voigt darauf, eine CDU-geführte Landesregierung mit Stimmen von SPD und BSW bilden zu können, aber diese Rechnung beinhaltet noch viele Unbekannte.
Zum einen steht es derzeit schlecht um die Sozialdemokratie in Thüringen, die es vielleicht nicht mal zu einem zweistellig Ergebnis bringen könnte. Die MDR-Umfrage im März sah die SPD bei nur neun Prozent. Mitunter würde ein Bündnis aus CDU, BSW und SPD dann gar nicht für eine Mehrheitsbildung reichen. Die CDU wäre dann auf die Linkspartei angewiesen oder müsste ein anderes Wagnis eingehen: ein Viererbündnis, das Grüne oder FDP integriert - so es eine von beiden überhaupt in den Landtag schafft.
Die andere Unbekannte ist nach wie vor das BSW, das sich in Thüringen zwar weit weniger populistisch gibt als auf Bundesebene - eine Garantie, dass das so bleibt, gibt es aber nicht. Denn die Partei ist nach wie vor im Aufbau begriffen und wird auf Bundesebene von Gründerin Sahra Wagenknecht im Stile einer populistischen Oppositionspartei geführt. Wie sollte es auch anders sein, Wagenknecht hat in ihrer langen politischen Karriere schließlich nie Regierungsverantwortung getragen. Zugleich ist der Einfluss Wagenknechts auf das BSW in Thüringen nicht zu unterschätzen. Der Landesverband hat sich noch nicht von seiner Bundesvorsitzenden emanzipiert, die zum Beispiel bei der Mitgliederaufnahme noch immer das letzte Wort hat. Es bleibt die Frage: Ist das BSW in Thüringen überhaupt regierungstauglich?
Im Zweifelsfall steht die CDU und Mario Voigt im Herbst 2024 dann doch wieder vor der Debatte, welche ihrer Brandmauern vielleicht geopfert werden könnte. Fest steht eigentlich nur eins: Weder die Kommunal- noch die Europawahl-Ergebnisse machen echte Hoffnung darauf, dass die politische Dauerkrise in Thüringen nach dem 1. September endlich ein Ende findet.
Ein (zweck-)optimistisches Fazit
Und wer bei dieser letzten Erkenntnis angekommen ist, kann dem Zweckoptimismus von Mario Voigt und Georg Maier dann vielleicht doch etwas abgewinnen. Versuchen wir es einmal:
Bei der Kommunalwahl haben die Thüringer die Amtsinhaber größtenteils bestätigt. Das zeugt vom Vertrauen, das die Wähler noch immer in viele Landräte und Oberbürgermeister haben. Wechsel gab es vor allem da, wo die Amtsinhaber nicht mehr antreten wollten oder aus Altersgründen nicht mehr durften. Und wo Wechsel stattfanden, setzte sich die AfD nicht durch.
Außerdem fasst mit dem BSW in Thüringen gerade eine neue Partei Fuß, die vielen enttäuschten Wählern eine politische Option jenseits des Rechtsextremismus bietet. Diese Partei kann bei einem Einzug in den Landtag nicht nur neue politische Optionen schaffen, sie kann der AfD auch Stimmen streitig machen. Das verringert die Chance, dass die rechtsextreme AfD mehr als ein Drittel aller Sitze im Landtag erringt, womit sie eine Sperrminorität hätte.
Zu guter Letzt sind da noch die Thüringer und Thüringerinnen selbst: Bei der Kommunal- und Europawahl haben jeweils rund 650.000 Menschen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Würden sie einer Partei all ihre Stimme geben, hätte diese aus dem Stand eine absolute Mehrheit im Parlament und wäre doppelt so stark wie die AfD. Dieses Potenzial sollte allen Menschen, die unsere freiheitliche Demokratie schätzen, vor Augen führen, wie viel Gespräche mit Freunden, Bekannten und Familie über Politik wert sein können. Denn einen Nicht-Wähler vom Wählen zu überzeugen, ist womöglich leichter als einen überzeugten AfD-Wähler zurückzugewinnen.
MDR (ask)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Thüringen Journal | 09. Juni 2024 | 19:00 Uhr
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