Kommentar zur Kommunal- und Europawahl Steht die Brandmauer auch gegen eine AfD light?
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10. Juni 2024, 11:17 Uhr
Die CDU siegt bei den Stichwahlen in den Thüringer Kommunen, die AfD bei EU-Wahl - was bedeutet das für die Landtagswahl im Herbst?
Die Wahlen hinterlassen zwiespältige Gefühle. Der große AfD-Durchmarsch beim Kampf um Rathäuser und Landratsämter fand nicht statt, ist gescheitert mangels vorzeigbarer Kandidaten und ernsthafter Herausforderer. Dafür hat die Rechtsaußenpartei bei den Europawahlen kräftig zugeschlagen. In den Kommunalvertretungen hat sie dazugewonnen und ist nur knapp hinter der CDU gelandet. Was bedeutet das für die Landtagswahl im Herbst?
Ausgerechnet Europa! Spionageverdacht? Geld aus Russland für AfD-Spitzenkandidaten? Welche Riesenbedeutung Europa für Entwicklung und Wohlstand in Thüringen hat? Das hat fast ein Drittel der heimischen Wählerschaft nicht interessiert - sie verpassten der etablierten Politik einen Denkzettel, machten ihr Kreuz bei einer EU-feindlichen Partei und veranstalteten eine Protestwahl. Die Bundesregierung straften sie bei der Gelegenheit gleich mit ab. Neu ist so ein Verhalten für eine Europawahl nicht, aber eine Landtagswahl tickt noch ein bisschen anders.
Kommunalwahl-Ergebnisse speziell
Auch die Landräte- und Oberbürgermeisterwahlen taugen als Indikatoren nur bedingt. In Erfurt wollten die Menschen den Wechsel. In der Landeshauptstadt lassen sich jetzt die Stunden zählen, bis sich SPD-Wahlverlierer Andreas Bausewein als "Wagenknecht" neu erfindet und eine zweite Karriere beim BSW startet - da sind noch fast alle Direktkandidaturen für den Landtagswahlkampf zu haben. Wahrscheinlich ärgern sich gerade in diesem Moment diejenigen Sozialdemokraten schwarz, die "Bausi" zum Bleiben überredet haben, als der Wechsel zum BSW schon einmal anstand. Und die Wahlergebnisse von Jena und Gera sind zu speziell, um sie landesweit auszudeuten. Und so weiter.
Trotzdem freut sich die CDU. Unter dem Strich haben die Christdemokraten mit Erfurt, Gera und Eisenach große Städte dazu gewonnen und ihre Position in den Landkreisen behauptet. Dazu sind sie vor zwei Wochen, wenn auch ziemlich knapp, stärkste Kraft in den Kommunalvertretungen geworden. Die CDU ist damit die einzige Partei, die der AfD auf dem Land Paroli bieten kann.
Ein Schluck Selbstbewusstsein für die CDU
Als wackerer Christdemokrat kann man daraus Selbstbewusstsein ziehen und sich tapfer den nächsten Angriffen aus dem blau-braunen Lager stellen - wenn man zum Beispiel im Landtag und auf den Marktplätzen wieder einmal als "Merkel-Knecht", Volksverräter oder -verderber beschimpft wird. Viele Christdemokraten, und gerade auch ihre Leistungsträger, tun genau das.
Die Abgrenzung zur AfD steht. Aber wie lange noch? Was passiert eigentlich, wenn bei der Thüringer AfD eines Tages doch einmal so etwas wie politisch-strategische Vernunft einkehrt? Bislang ist kein AfD-Landesverband so radikal wie der Thüringer. Damit ist die Partei nicht koalitionsfähig und damit auch nicht mehrheitsfähig im Landtag.
Was wäre mit einer AfD ohne den Höcke-Extremismus?
Aber was wäre mit einer AfD ohne Björn Höcke, ohne diesen oft genug öffentlich vorgetragenen Extremismus, ohne diese zwanghafte Faszination der NS-Zeit? Andere rechtsextreme Parteien in Europa machen diesen Entradikalisierungskurs gerade vor, Giorgia Meloni in Italien oder Marine le Pen in Frankreich. Die hat dafür sogar ihren eigenen Vater aus der Partei gedrängt. Steht dann die Brandmauer noch? Wie weit reicht die Autorität von CDU-Spitzenmann Mario Voigt wirklich?
BSW kannibalisiert die Linke
Und die Thüringer Regierungspartei? Bei der Europawahl kommen Linke und BSW zusammen in etwa auf so viele Prozente, wie die Linke in den letzten Umfragen hatte. Es scheint, als hätte die Wagenknecht-Truppe die Linke von Bodo Ramelow gründlich kannibalisiert. Der stand weder bei der Europa- noch bei den Kommunalwahlen auf dem Stimmzettel - die Linken-Wahlkämpfer können also für die Landtagswahl am 1. September noch mit einem "Bodo-Faktor" rechnen. Aber wie stark wird der sein?
Zu den Kommunalwahlen und zur Europawahl können Sie auch mitdiskutieren - die Kommentare haben wir in diesem Artikel geöffnet.
MDR (seg/dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 10. Juni 2024 | 12:00 Uhr