Fakt ist! aus Erfurt Streitfall Gendern - zwischen Freiwilligkeit und Verbot
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26. September 2023, 00:19 Uhr
Wie wichtig ist Gendern, wie freiwillig in der Realität und wie sollte sich die Politik verhalten? Das und mehr diskutierten unsere Gäste bei Fakt Ist! aus Erfurt.
Gendern und der Umgang damit zwischen Leitlinien, Freiwilligkeit und Verbot - alle waren sich eigentlich einig, dass es eigentlich keines der ganz wichtigen Themen ist, aber eigentlich stritten alle bei "Fakt Ist!" aus Erfurt vehement, teilweise sehr vehement für ihre Positionen.
Gesetzentwurf will Gendern unterbinden
Angestoßen hatte die jetzige Debatte die CDU-Landtagsfraktion mit einem Gesetzesentwurf ("Korrekte-Sprache-Gesetz"), das Gendern bei staatlichen Stellen Thüringens zu unterbinden. Es sei aber kein Verbotsantrag, sagte die CDU-Abgeordnete Beate Meißner. Die Fraktion fordere in ihrem Entwurf ja nur, dass die Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung umzusetzen sei: Kein Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen als Teil des amtlichen Rechtschreib-Regelwerks.
Natürlich sei das dann ein Verbot per Gesetz, wenn auch durch die Hintertür, widersprach ihr sofort Madeleine Henfling, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Landtagsfraktion. Aus ihrer Sicht ist ein Verbot unnötig, denn Sprachentwicklung sei ein "Aushandlungsprozess". Selbst bei den Grünen werde niemand "verhauen", der das generische Maskulinum verwende, wie "Richter" im Sinn von "Richter und Richterinnen." Ein Verbot bringe dagegen schnell auch Probleme, etwa bei der Verwendung von Lehrmaterial mit gegenderten Inhalten.
Bei uns wird niemand verhauen, der das generische Maskulinum verwendet.
Spätestens in der Schule, vor allem der Grundschule, funktioniere Aushandlung nicht, widersprach Meißner: "Man muss doch erst die deutsche Sprache lernen." Abgesehen davon grenze es Menschen zusätzlich aus, die der deutschen Sprache noch nicht so mächtig seien.
Gendern verkompliziere, sagte auch ein Schüler aus einer Gruppe des Erfurter Ratsgymnasiums im Publikum. Er und die anderen nannten Gendern "nicht so wichtig", wenden es aber teilweise in Arbeiten an - freiwillig.
Ist Gendern wirklich freiwillig?
Dass Gendern, wie von seinen Befürwortern verteidigt, wirklich immer freiwillig sei, bestritt der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder vehement: Seit fünf bis drei Jahren sei der Druck dazu durch Leitlinien der Abnehmer "immens" geworden. Das habe nichts mehr mit Freiheit zu tun.
Manchmal ließen sich Kompromisse finden, doch er habe inzwischen auch zwei Auftraggeber verloren. Uwe Cantner, Vizepräsident der Friedrich-Schiller-Universität sah diesen Druck an der Jenaer Hochschule nicht: "Wir zwingen niemand." Mehr als drei Fälle außerhalb Thüringens mit Verpflichtungen zu Gendern seien ihm nicht bekannt.
Meißner entgegnete, dass ihr durchaus Fälle aus Jena bekannt seien, in denen Gendern vorausgesetzt werde. Es blieb aber offen, ob das auch bewertungsrelevant geworden sei. Aus Sicht von Cantner ist die Intensität der Diskussion eine ganz normale Reaktion auf Veränderungen und Unsicherheit.
Eine Frage des Weltbildes
Hinter dem Streit stehe schon auch eine Frage von konservativeren oder progressiveren Weltbildern, sagte Henfling. Gendern solle alle Menschen mitnehmen, egal wie klein eine Gruppe sei. "Wenn ich will, dass alle sichtbar sind, muss ich mich um alle kümmern." Es gebe Menschen, die sich durch das generische Maskulinum nicht angesprochen fühlten.
Wissenschaftsjournalist Schröder konnte damit so wenig anfangen, dass er sie innerhalb eines Satzes wieder und wieder unterbrach, bis Henfling ihn erst mit "Wertschätzung ist auch, dass man den anderen ausreden lässt" stoppen konnte. Begriffe wie "Richter" stammten aus einer Zeit, als es noch keine Richterinnen gab und erzeugten eben nicht ein Bild von Richtern und Richterinnen. Sie bekräftigte aber, dass es um "Aushandlung" gehe.
"Gleichberechtigung braucht keine Sternchen oder Unterstriche", sagte Meißner, die die Verbotsabsicht auch mit breitem Unwillen gegen Gendern begründete. Sie wehrte sich gleichzeitig dagegen, die Debatte durch die Frage nach einem möglichen erneuten gemeinsamen Abstimmen der CDU mit der AfD zu überlagern. In der Beratung sei auch ein Kompromiss mit den Fraktionen der Minderheitsregierung möglich.
Zuletzt hatten es bei einer MDRfragt-Umfrage 85 Prozent als richtig oder eher richtig bezeichnet, dass Genderzeichen an Schulen nicht mehr verwendet werden dürften, wobei die Ablehnung mit dem Alter stieg. Bei den unter 30-Jährigen waren es nur 65 Prozent.
Auch aus dem Publikum kam teils deftige Kritik von "Sprachvergewaltigung" bis zu "finde es furchtbar". Schröder sagte, er finde es übergriffig, wenn ihm jemand erkläre, dass er falsch formuliere. Bei Erwachsenen funktionierten solche Belehrungen nicht.
Erwachsene Menschen belehren geht immer nach hinten los.
Gelassener Uni-Vize
Erheblich weniger konfrontativ klang es bei Jenas Uni-Vize Cantner: "Sprache verändert sich, den Prozess machen wir gerade durch." Das sei relativ normal. Schon der Wechsel vor Jahren zu Anreden wie "Frau Professorin" habe das Bewusstsein geschärft. Er fände es nicht gut, wenn die Politik jetzt regulierend eingreife. Irgendwann würden Lösungen ausgehandelt sein, die breitere Akzeptanz als derzeit fänden - und der Streit sich dann auflöse. "Es wird irgendwann verpuffen."
MDR (csr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | FAKT IST! aus Erfurt | 25. September 2023 | 22:10 Uhr
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