Fakt ist! aus Erfurt Weniger Parteimitglieder - viele Demos: Welchen Einfluss haben Proteste auf die Gesellschaft?
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30. Januar 2024, 08:00 Uhr
Viele Menschen gehen auf die Straße - aber nicht in die Parteien. Sind Straßenproteste die neue Form der politischen Teilhabe? Um ihre Auswirkungen auf die politische Kultur und die Demokratie in Deutschland ging es am Montag bei Fakt ist! aus Erfurt.
Bundesweit gehen derzeit Zehntausende Menschen auf die Straße. Die einen protestieren für Demokratie und gegen den Faschismus, andere gegen die Streichung von Agrar-Subventionen oder generell die aktuelle Politik. Doch was bringen solche Proteste? Darüber sprachen Andreas Menzel und Lars Sänger mit Politikern, Aktivistinnen und Wissenschaftlern.
Seit Beginn des Jahres 2024 haben sich so viele Menschen an Demonstrationen beteiligt wie lange nicht. Das Meinungsbarometer MDRfragt hat sich in seiner bisher letzten Umfrage mit diesem Thema beschäftigt, mehr als 30.000 Menschen haben daran teilgenommen. Von den Teilnehmenden an dieser Befragung waren 19 Prozent in den vergangenen Wochen bei Demos dabei.
Der Politikwissenschaftler Andreas Braune spricht von einer "demo-affinen Zeit". Neu ist aus seiner Sicht, dass sich immer mehr politische Lager an den Demonstrationen beteiligen. Waren es früher hauptsächlich Linke, gibt es heute auch immer mehr Teilnehmer aus dem konservativen und rechten Lager.
Gleichzeitig beobachtet der Wissenschaftler aber, dass die Bindung an Parteien nachlässt: "Die Zeit der großen Volksparteien ist vorbei". Auch bei Wahlen ändern Menschen heute häufiger ihre Meinung. "Die Menschen wollen einfach wahrgenommen werden", so Braune. Allerdings macht ihm Sorgen, dass die Mittel immer radikaler werden.
Laut Braune hat man ja bei der Wahl denen ein Mandat erteilt, die politische Entscheidungen treffen. Deshalb irritiere es ihn, dass immer wieder gegen Institutionen oder Politiker demonstriert wird.
"Demokratie lebt von Auseinandersetzung"
Dass aber Protest ein wichtiges Mittel der Meinungsbildung ist, dass Konflikte zur Demokratie gehören - darüber waren sich alle Studiogäste einig. Die Gründe für den Protest sind allerdings sehr verschiedene.
Petra Hofmann aus Bad Salzungen beispielsweise hatte wegen der Corona-Politik angefangen, regelmäßig zu demonstrieren. Durch viele Gespräche auf diesen Demos, so sagt sie, sei sie immer kritischer und skeptischer geworden. "In der Politik läuft es nicht so, der Kontakt zur Basis ist verlorengegangen."
In der Politik läuft es nicht so, der Kontakt zur Basis ist verlorengegangen.
Sie habe das Gefühl, die Politiker hätten den Kontakt zu den Menschen verloren, kein Interesse mehr an deren "kleinen" Problemen. Inzwischen habe sie sich entschlossen, mehr zu tun. Sie will als Parteilose für Stadtrat und Kreistag kandidieren.
Parteien für viele Menschen keine Option
Von einer "Parteienmüdigkeit" spricht auch Marc Stichert. Er ist nach 27 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten. Einer von mehreren Gründen waren für ihn die Wahl-Listen. In "Hinterzimmern" werde ausgehandelt, wer auf welchem Listenplatz steht und der Wähler könne darauf keinen Einfluss nehmen. Er könne nur eine Partei wählen, nicht einzelne Kandidaten. "In der Bevölkerung gärt seit Jahren das Misstrauen."
Darüber hinaus, sagt Frank Wolfram aus Umpferstedt im Weimarer Land, gibt es zu wenig echte Diskursräume in der Gesellschaft. Man könne nicht alle Probleme nur in Sozialen Medien diskutieren. Auf der Gemeinderatsebene funktioniere das noch gut. Wenn die Entscheidungen im Dorf nicht gut ankämen, sagten das die Nachbarn sofort. "Aber die Politiker in Berlin sind einfach zu weit weg, ist ja klar."
Es reicht nicht, alle paar Jahre mal ein paar Kulis auf dem Markt zu verteilen. Man muss mit den Menschen reden.
Das sieht auch André Becker so. Er spricht sogar von einer "Elitenbildung" in der Politik. Politiker haben aus seiner Sicht ein völlig falsches Bild von der Realität. "Bevor die irgendwo hinkommen, wird erstmal saubergemacht."
Sich selber zu engagieren sei für viele Menschen aber auch nicht so einfach: "Es ist ein Ehrenamt, sehr zeitintensiv und oft auch sehr komplex." Er selbst arbeitet aber dennoch im Gemeinderat mit. "Es reicht nicht, alle paar Jahre mal ein paar Kulis auf dem Markt zu verteilen. Man muss mit den Menschen reden", so Becker.
Allen Angebote machen, sich einzubringen
Auch die Erfurter Campact-Aktivistin Annika Liebert weiß, dass immer mehr Menschen unzufrieden sind mit den bestehenden Parteien. Sie will möglichst vielen von ihnen die Möglichkeit geben, "sich Gehör bei der Politik zu verschaffen".
Sie organisiert unter anderem Online-Petitionen, Straßenproteste, motiviert Menschen, ihre Abgeordneten anzusprechen. Die Demos weisen aus ihrer Sicht ganz klar auf Missstände hin. "Wir erleben gerade die größte Massenprotestbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik für wehrhafte Demokratie, gegen aufkeimenden Faschismus. Das macht schon etwas mit der Gesellschaft."
Proteste werden unterschiedlich wahrgenommen
Warum aber in der Gesellschaft die verschiedenen Proteste so unterschiedlich wahrgenommen werden, konnte die Diskussion nicht klären. Während die Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Letzten Generation viel Kritik einstecken müssen, würden die protestierenden Bauern in den Städten bejubelt und unterstützt, erzählt Klaus Wagner, Präsident des Thüringer Bauernverbandes. "Die Leute haben uns sogar Tee gebracht, das kam ganz unerwartet."
Mit den Ergebnissen ihrer Proteste allerdings sind die Bauern bisher nicht zufrieden. "Die fehlende Sicherheit, die fehlende Perspektive hemmt uns", so Wagner. "Auch unsere Gesprächsangebote hat die Regierung größtenteils ignoriert."
Dass sich inzwischen auch andere Unternehmer, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, den Bauernprotesten anschließen, findet Wagner gut. Wie man verhindern kann, dass die Demos nicht von Rechten "gekapert" werden, bleibt dagegen offen.
Demokratie braucht Meinungsbildung an verschiedenen Orten
Auch Sebastian Striegel findet die Bauernproteste legitim. Striegel sitzt für die Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt. Er ist oft auf Demos, kommt dort mit den Menschen ins Gespräch. Und auch wenn ihm dort manchmal Wut und Aggression entgegenschlagen, findert er, das müsse er als Abgeordneter aushalten. "Ich kann mich ja nicht in mein Büro setzen und warten, wer kommt. Ich muss zu den Leuten gehen und mit ihnen reden."
Ich kann mich ja nicht in mein Büro setzen und warten, wer kommt. Ich muss zu den Leuten gehen und mit ihnen reden.
Für ihn tut konstruktiver Streit der Demokratie gut. Aber er bedauert, dass viele Bürger zwar ihre Meinung lautstark kundtäten, an den mühsamen Aushandlungsprozessen um Lösungen in den Parlamenten jedoch kein Interesse hätten.
Dem stimmt auch Wagner zu. Die Bauern wollten einfach ihre Sicht der Dinge in den Diskurs einbringen. "Ich kann nicht immer nur sagen 'die da müssen was machen' und zweimal im Jahr zur Demo gehen." Deshalb ist er selbst in die CDU eingetreten und kandidiert bei der nächsten Wahl für den Thüringer Landtag. Denn auch darüber war sich die Runde einig: Demonstrationen sind ein wichtiges Grundrecht. Doch für die Demokratie ist es auch wichtig, wählen zu gehen.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 29. Januar 2024 | 22:10 Uhr
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