Pandemie-Ausschuss Wie glaubwürdig kann eine Corona-Aufarbeitung des BSW sein?
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23. Oktober 2024, 11:00 Uhr
Was haben die möglichen Mitglieder eines Corona-Untersuchungsausschusses eigentlich selbst während der Pandemie gemacht? Die Frage richtete sich bei der MDR-Sendung Fakt ist! auch an das BSW. Beim gesundheitspolitischen Sprecher Stefan Wogawa geht es um seinen früheren Job im Ministerium.
Die Corona-Pandemie sorgt wieder für Gesprächsstoff, auch am Montag bei Fakt ist! aus Erfurt. Es geht um einen Antrag von Abgeordneten des Bündnis Sahra Wagenknecht und der CDU: Sie wollen die Corona-Pandemie und die Schutzmaßnahmen aufarbeiten mit einem Untersuchungsausschuss im neuen Thüringer Landtag.
Ich sehe es skeptisch, wenn die Beteiligten in dem Untersuchungsausschuss vielleicht vorher involviert waren.
Kathrin Wolff-Peter aus Floh-Seligenthal, Besucherin bei Fakt ist!, äußerte gleich zu Beginn eine Sorge zu einem solchen Ausschuss: "Ich sehe es skeptisch, wenn die Beteiligten in dem Untersuchungsausschuss vielleicht vorher involviert waren. Das muss ein vollkommen unabhängiger Ausschuss sein mit Fachkräften, die davon auch Ahnung haben.“
Abgeordnete mit Vorgeschichte
Allerdings besteht ein Untersuchungsausschuss immer nur aus Landtagsabgeordneten, anders als eine Enquete-Kommission, in der auch Expertinnen und Experten sitzen. Der Vorteil eines Untersuchungsausschusses: Er kann Zeugnisse von den Behörden erzwingen, also zum Beispiel die Herausgabe von Akten und E-Mails. Das Ziel ist, Missstände in der Vergangenheit aufzudecken. Oder wie es das BSW im konkreten Fall fordert: "Fehler" aufzuarbeiten, "die von Behörden in Thüringen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie gemacht worden sind".
Die Thüringer BSW-Vorsitzende Katja Wolf spricht rückblickend von "behördlicher Willkür". Auch sie hat damals Verantwortung getragen und musste als Eisenacher Oberbürgermeisterin schwere Abwägungen treffen angesichts der akuten Bedrohung durch das Virus.
Behördenfehler und Behördenmitarbeiter
Auch Stefan Wogawa, gesundheitspolitischer Sprecher des BSW und aussichtsreicher Kandidat für eine Mitgliedschaft im Untersuchungsausschuss, hat bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie in Thüringen mitgearbeitet. Wogawa war von 2017 bis 2024 Referent im Thüringer Sozial- und Gesundheitsministerium (TMASGFF).
Während der Pandemie hat er im Referat 4B1 gearbeitet, zuständig für "Krankenhauswesen, Bevölkerungsschutz und E-Health". Das Ministerium schreibt auf Anfrage: "Das Krankenhausreferat war ein zentrales Referat bei der Bewältigung der Pandemie und über den gesamten Zeitraum extrem belastet."
Wogawas Referat hat unter anderem Krankenhausbetten koordiniert, Beatmungsgeräte beschafft, Impfstoffe in Krankenhäusern verteilt und Kontakt mit Experten gehalten. Er selbst stand nach internen Angaben auch mit dem wissenschaftlichen Beirat in Kontakt, der direkt bei der Staatskanzlei angesiedelt war und die Landesregierung in zentralen Fragen der Pandemie beraten hat.
Fragen an die ehemaligen Chefs?
Menschen, die in dieser Zeit innerhalb und außerhalb des Gesundheitsministeriums mit Stefan Wogawa zu tun hatten, beschreiben ihn als unauffälligen, sachorientierten Bearbeiter. Allerdings: Sein Wechsel in die aktive Politik und seine prominente Rolle bei der Beantragung des Corona-Untersuchungsausschusses sorgt bei manchen für Unverständnis: "Ich würde Herrn Wogawa heute gerne einmal tief in die Augen gucken."
Solche Sätze fallen, wenn der Eindruck entsteht, dass das BSW jetzt die ehemals Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen will. Das BSW und Wogawa sprechen davon, dass "handelnde Behördenleiter" und auch die Gesundheitsministerin vor einem zukünftigen Untersuchungsausschuss aussagen sollen.
Das bedeutet auch: Wogawa würde als Ausschussmitglied seine ehemaligen Vorgesetzten kritisch befragen, mit denen er selbst unmittelbar zusammengearbeitet hat. Es ist sogar theoretisch denkbar, dass er selbst als Zeuge infrage kommt.
Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht
Eine solche Doppelrolle - Ermittler und Zeuge - ist nach dem Thüringer Untersuchungsausschussgesetz durchaus möglich. Allerdings müsste das Ausschussmitglied in dieser Zeit seine Tätigkeit ruhen lassen. Und noch etwas steht im Untersuchungsausschussgesetz in Paragraf 7: "Ein Mitglied des Landtags, das an den zu untersuchenden Vorgängen beteiligt ist oder war, darf dem Untersuchungsausschuß nicht angehören."
Fraglich ist allerdings, was "beteiligt" genau bedeutet. Ein Untersuchungsausschuss ist ein politisches Gremium und kein Gericht. Im Gesetz gibt es keine Regeln zur Befangenheit, wie etwa bei Richtern oder gerichtlichen Sachverständigen.
BSW: Wir wollen kein Tribunal
In diesem Sinne betonte Stefan Wogawa in der Fakt-ist!-Sendung: "Es wird in allen Fraktionen Menschen geben, die an der Bekämpfung der Pandemie beteiligt waren. Ich glaube, es wäre weltfremd, etwas anderes zu verlangen." Tatsächlich haben viele andere Angeordnete in der Corona-Pandemie Verantwortung getragen. Viele waren bereits Landtagsabgeordnete, so wie etwa die gesundheitspolitischen Sprecher von AfD, CDU, SPD und der Linken. Andere waren vorher in Ministerien, wie etwa die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Innen-Staatssekretärin Katharina Schenk.
Ich kann verstehen, dass man damals richtig Angst hatte. Das sollte man im Untersuchungsausschuss berücksichtigen und nicht gleich in den Wahlkampfmodus schalten.
Eine andere Frage ist, ob es politisch glücklich und glaubwürdig ist, wenn ehemalige Ministeriumsmitarbeiter mögliche eigene Fehler aufarbeiten. Stefan Wogawa betont, er habe im Ministerium nicht an der konkreten Ausarbeitung von Corona-Verordnungen mitgearbeitet. Und noch etwas beteuert das BSW immer wieder, auch in der Fakt ist!-Sendung: Man wolle kein Tribunal, keine Schuldzuweisungen, sondern für die Zukunft lernen. Doch das scheinen einige der jungen Partei noch nicht zu glauben.
Im Wahlkampfmodus
Margarethe Brandt aus Erfurt war als Besucherin bei Fakt-ist! und meinte: "Ich kann verstehen, dass man damals richtig Angst hatte. Das sollte man im Untersuchungsausschuss berücksichtigen und nicht gleich in den Wahlkampfmodus schalten."
Tatsächlich war das Thema Corona-Aufarbeitung ein zentrales Wahlkampfthema des BSW. Die Stoßrichtung im Wahlprogramm war eindeutig: Dort geht es um "Bevormundung und Ausgrenzung", "experimentelle" Impfstoffe, deren Nutzen "massiv übertrieben" gewesen sei, und Maßnahmen, die "mehr Schaden als Nutzen brachten".
Untersuchungsausschuss - aber wie?
Die Opfer der Corona-Pandemie und die Langzeitfolgen von Long Covid spielten im Programm keine Rolle und kommen auch im Fragenkatalog für den zukünftigen Untersuchungsausschuss nur am Rande vor.
Der Anteil der Verstorbenen an den Corona-Infizierten war in Thüringen sehr hoch. Das muss eine Rolle spielen.
Auf Nachfrage schlägt das BSW ausgewogenere Töne an. So erklärt Wogawa: "Der Anteil der Verstorbenen an den Corona-Infizierten war in Thüringen sehr hoch. Das muss eine Rolle spielen." Im Corona-Untersuchungsausschuss könnte also auch die Frage gestellt werden, ob Todesfälle hätten verhindert werden können.
Und dann gibt es ja ganz aktuell noch eine andere Frage: Gibt es womöglich zwei Untersuchungsausschüsse? Denn die AfD, stärkste Fraktion und erkennbar auf Konfrontation aus, hat schon ihren eigenen Antrag angekündigt.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 21. Oktober 2024 | 22:10 Uhr
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