Bilanz nach Amtsantritt Fünf Monate neuer Thüringer Umweltminister: Viel Arbeit für mehr Tempo bei der Energiewende
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09. Juli 2023, 21:10 Uhr
Was kann ein Umweltminister leisten, der nur wenig Zeit zur Verfügung hat? Bernhard Stengele verantwortet seit dem 1. Februar 2023 die Bereiche Umwelt, Energie und Naturschutz in der Thüringer Landesregierung. Gemeinsame Nenner findet er schnell bei seinen Gesprächen im Land. Greifbare Erfolge für die Energiewende erweisen sich dagegen als Kraftakte.
Montag, 19. Juni 2023, Handwerkskammer Erfurt. Die Kammerspitze hat den neuen Energieminister zum Kennenlernen ins Ausbildungszentrum nach Erfurt-Alach eingeladen. Kammer-Geschäftsführer Thomas Malcherek begrüßt seinen Gast und hält den unverbindlichen Smalltalk kurz. "Man hat ja den Eindruck, wenn man da nicht alles richtigmacht, kommt man gleich unters Fallbeil", sagt er provokant.
Das ist sie wieder, die Prügel für das Heizungsgesetz der Berliner Ampel-Koalition. Seit Wochen geht das schon so. Bernhard Stengele bleibt gelassen. Er hält kurz inne, bevor er entgegnet, zu diesem Gesetz seien falsche Informationen und viel übertriebene Aufregung in der Welt. Schaut seinen Gastgeber dabei sehr freundlich an. Von Missstimmung zwischen den beiden Männern ist beim anschließenden Rundgang nichts zu spüren.
Zuhören und anknüpfen
Stengele hat das Amt des Ministers fünfeinhalb Wochen nach der Rücktrittsankündigung von Anja Siegesmund übernommen - nach drei Jahren als Co-Landessprecher der Thüringer Grünen. Über die Qualifikation des ehemaligen Schauspielers, Regisseurs und Theaterchefs für Regierungsverantwortung in den Bereichen Umwelt, Energie und Naturschutz wurde zu Beginn spekuliert.
Doch ganz schnell demonstrierte der 60-Jährige, welche Fähigkeiten aus seinen Lebensjahrzehnten er einbringt, die seine Vorgängerin auch nach Jahren in Parlament und Regierung nicht hatte. Egal mit wem er redet - ob Befürworter oder gnadenlose Kritikerin, Mitarbeiter, Verbandsvertreter oder Ministerkollegin: Stengele erspürt im offenen Gespräch Anknüpfungspunkte, hört aktiv zu, findet einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Brücken bauen kann er. Auch dort, wo Fronten erst mal verhärtet sind.
Bauern loben Sacharbeit
Den Präsidenten des Thüringer Bauernverbands hat er damit überzeugt. Nachdem der Gesprächsfaden zwischen Verband und Ministerium unter Anja Siegesmund zuletzt "nur noch ein Gesprächsfädchen war", wie Klaus Wagner es formuliert, war Stengele gleich nach Amtsantritt auf die Bauern zugegangen.
"Wir waren sehr angenehm überrascht, dass die Initiative für ein Gespräch von Herrn Stengele ausgegangen ist und es war ein sachorientiertes Gespräch, das uns zuversichtlich macht für die weitere Zusammenarbeit", sagt Wagner.
Die ersten Früchte sind bereits gereift. Der Verbandschef lobt die Ergebnisse einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, in der sich Bauern und Ministerium mit dem Schutz des Grundwassers vor Nitrat aus Düngemitteln beschäftigen. Und hofft, dass beide Seiten nach diesem Vorbild auch zum Thema Pflanzenschutzmittel und Artenvielfalt an einen Tisch finden.
Wirtschaft erwartet weniger Bürokratie
Die Thüringer Wirtschaft erlebt den Minister ebenfalls als gesprächsbereit, aufgeschlossen und interessiert an ihren Kernproblemen. Doch die Sprecherin vom Verband der Wirtschaft Thüringens, Ute Zacharias, drängt auf Ergebnisse. Klimawende, erneuerbare Energien, Dekarbonisierung - das seien die großen Themen für die Betriebe.
"Da erwarten wir von dem Ministerium und auch von Herrn Stengele, dass er weiter an den Rahmenbedingungen arbeitet. Das heißt: Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren bei Windkraftanlagen, bei Solaranlagen. Da ist der Bürokratieaufwand immer noch sehr hoch." Vor allem die Windbranche drängt, dass der schleppende Ausbau endlich Fahrt aufnimmt.
Ich habe gerade einen Erlass herausgegeben, dass erneuerbare Energien tatsächlich herausragenden Vorrang haben.
Neue Windräder schneller genehmigen
Stengele kennt die Hürden, drängt selbst auf mehr Tempo und fängt hier nicht bei Null an. 14 Monate dauert es in Thüringen im Schnitt, bis die Landkreise Windräder genehmigen. Schon über die Tatsache, dass zuständige Ämter mehrfach Unterlagen nachfordern und derweil Anträge auf die Seite legen, stört den Minister mächtig. Gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern plant er eine Art Beratungsinfrastruktur, wo Unterlagen für Anträge geprüft und dann garantiert vollständig eingereicht werden.
Seiner Auffassung nach braucht es einen Standard für den Ablauf der Genehmigungsverfahren. Maximal sieben Monate sollen die Verfahren dann dauern. "Ich habe gerade einen Erlass herausgegeben, dass erneuerbare Energien tatsächlich herausragenden Vorrang haben. Das heißt, dass schnell bearbeitet wird. Die Zeit, bis eine Anlage genehmigt wird und die in Thüringen im Moment besonders lang ist, kann dadurch verkürzt werden", sagte Stengele kürzlich beim Besuch eines Windparks. Sein Ziel: Maximal sieben Monate.
Windkraftanlagen zum Vorteil der Bürger
Bisher ist 2023 in Thüringen noch kein einziges neues Windrad gebaut worden. Der Umweltminister sieht in der Akzeptanz der Anlagen die Schlüsselfrage für Wohl und Wehe des Ausbaus. Im März hat er im Bundesrat die Stimmen aller Bundesländer bekommen für eine Thüringer Initiative pro "Energy Sharing". Sie fordert die Bundesregierung auf, Regeln in Kraft zu setzen, nach denen Haushalte und Kommunen vor Ort direkt und preiswert Strom kaufen können von den Betreibern der Wind- und Solarparks. Ohne teure Netzentgelte.
Und sein zwischen Koalitionsfraktionen und Opposition gerade heiß diskutiertes Windenergie-Beteiligungsgesetz soll Bürgern die Chance geben, von den Gewinnen aus dem Betrieb von Windrädern zu profitieren.
"Damit die Leute Windkraft wollen, müssen sie wissen: Was habe ich davon, wenn die Anlage gebaut wird? Und wenn sie wissen: Ah, meine Gemeinde verdient damit Geld, wir finanzieren den Kindergarten, wird es die Genehmigungsverfahren beschleunigen", ist Stengele optimistisch.
Viele Themen und wenig Zeit bis zur Wahl
Fünf Monate sind nicht viel Zeit, um politische Akzente zu setzen. Der Energieminister wird vor allem vom Zeitdruck getrieben, der sich immer weiter aufbaut für die Energiewende. Davon, ob sie mit klimaneutralem Strom produzieren, hängt für die Firmen in Thüringen immer mehr ab. Es bleiben nur weitere 15 Monate bis zur nächsten Landtagswahl. Und die Palette der weiteren Themen ist riesig zwischen Reparaturbonus und Artensterben, Wasservorräten und Rohstoffverbrauch.
Stengele ist sehr bewusst, wie sehr er da für den Erfolg seiner Arbeit das Team im Hintergrund braucht. Auch im Umgang mit seinen Mitarbeitern bleibt er ansprechbar, legt Wert auf Augenhöhe. "Im Ministerium gibt es viele Tische und die haben immer ganz bestimmte Sitzordnungen. Und ich wollte unbedingt einen Raum haben, wo wir die Hierarchie auflösen und wo jeder und jede einfach beiträgt, seine Meinung sagt und wo es nicht so top down ist", erklärt er das Möbelrücken in seinem Büro. Das ist jetzt dieser Raum, den er sich wünscht. Den rechteckigen Tisch seiner Vorgänger hat er durch einen runden ersetzt.
MDR (log/dr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 30. Juni 2023 | 19:00 Uhr
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