Exactly-Reportage Ackern mit Perspektive: Wer will überhaupt noch Landwirt werden?
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15. Mai 2024, 10:17 Uhr
Massive Proteste, Wut auf die Politik und immer mehr Höfe, die sterben: Die Stimmung in der Landwirtschaft könnte besser sein. Wer hat da noch Lust auf den Job? Die neue MDR-Reportage Exactly begleitet einen jungen Erfurter, der Bauer werden will. Und ein Paar in Südthüringen, das einen Viehbetrieb übernommen hat.
Ludwig Saitz hat einen Plan. Ende März steht der 18-jährige Erfurter vor dem großen Wohnhaus eines Landwirtschaftsbetriebs in der Magdeburger Börde in Sachsen-Anhalt und klingelt. "Ludwig, grüß' dich mein Lieber", empfängt ihn Carl-Albrecht Bartmer. "Jetzt willst du also ernst machen?"
Ludwig will. Gerade macht er sein Abitur und ist an diesem Sonntag zu Bartmer gereist, um seinen Ausbildungsvertrag zu unterschreiben. "Von Kindesbeinen an wollte ich immer Landwirt werden", sagt Ludwig. Ein Jahr lang wird er ab Juli auf dem Betrieb wohnen und lernen. Im Jahr darauf folgt Teil zwei - dann wird Ludwig nach Norddeutschland gehen und für weitere zwölf Monate in einem großen Milchviehbetrieb mitarbeiten.
Die Technik ist super.
Ludwigs zukünftiger Chef Bartmer bewirtschaftet etwa 1.600 Hektar Ackerland - selbst in Sachsen-Anhalt, wo die Betriebe laut einer Berechnung von MDR Data deutschlandweit mit 278 Hektar am größten sind, ist das eine Hausnummer. Die dafür notwendigen Maschinen - Mähdrescher oder Gabelstapler - sind dabei genau das, was für Ludwig den Reiz an der landwirtschaftlichen Arbeit ausmachen.
"Die Technik ist super", schwärmt er. "Aber auch allein die Sonnenuntergänge, wenn man im Trecker sitzt. Die Tiere, die man sieht. Und dann allein das Zusammenspiel: Die Körner in die Erde zu bringen und dann zu sehen, wie sie wachsen und man sie am Ende ernten kann - das ist super."
Stabile Ausbildungszahlen trotz mehr Wunsch nach Work-Life-Balance
Ludwigs Begeisterung schlägt sich auch in der Statistik wieder: Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge beim Beruf Landwirt ist in Thüringen stabil, beziehungsweise sogar leicht steigend. 2023 schlossen laut Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum (TLLLR) 200 junge Menschen einen Vertrag ab - ein Plus von neun Prozent.
Der Thüringer Bauernverband (TBV) beobachtet: "Der Beruf Landwirt/in ist ein gesellschaftlich wertgeschätzter Beruf hinsichtlich der Erzeugung von Nahrungsmitteln und Marktfrüchten sowie der Energiewirtschaft. Nur schlägt sich diese nicht in der Akzeptanz von für Landwirte kostendeckenden Preisen für Lebensmittel nieder. Gekauft wird nach wie vor das Billigste. Die Schere von Sagen und Kaufen geht weit auseinander."
Noch stärker ist das Interesse beim Berufsbild "Tierwirt" gestiegen (ein Plus von 37,5 Prozent) und bei den Forstwirten (86 Prozent von 2022 auf 2023). Das Thüringer Landwirtschaftsministerium vermutet, "dass nach der Corona-Pandemie naturnahe, praktische Berufe für Jugendliche wieder interessanter geworden sind". Umfragen unter Azubis in den sogenannten Grünen Berufen hätten ergeben, dass die wichtigsten Entscheidungsfaktoren bei der Wahl des Ausbildungsplatzes familiär bedingt sind.
Generell beobachtet das Ministerium aber auch, dass die "Ansprüche an eine ausgeglichene Work-Life-Balance, an Freizeitaktivitäten und für Familienzeit zugenommen haben. Diesen Ansprüchen insbesondere auch im ländlichen Raum gerecht zu werden, stellt die Betriebe bei der gärtnerischen und witterungsbedingten Produktionsweise vor Herausforderungen."
Zum Aufklappen: So wird man Bauer
Wer in Thüringen Landwirt werden möchte, geht in der Regel den klassischen Weg: In einer dualen, normalerweise dreijährigen Ausbildung suchen sich die Azubis einen Ausbildungsbetrieb. In der staatlichen "Überbetrieblichen Ausbildungsstätte für Agrarwirtschaft Schwerstedt" im Weimarer Land lernen die angehenden Bäuerinnen und Bauern theoretisches Fachwissen.
Unter www.gruene-berufe-thueringen.de hat der Freistaat Thüringen Informationen zusammengestellt - nicht nur zum Job als Landwirt, sondern auch zu den anderen Grünen Berufen wie Tierwirt, Forstwirtin oder Winzer.
Gleichzeitig massives Höfesterben
Während die Zahl der Azubis stabil wirkt, sinkt seit Jahren die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe. Waren es in Thüringen laut Landesamt für Statistik 2005 noch mehr als 5.000 Betriebe, sank die Zahl bis 2020 auf gut 3.700. Deutschlandweit zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die DZ Bank geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass bis 2040 mehr als die Hälfte der Höfe sterben wird. Ein Problem: Es finden sich keine Nachfolger, die die Betriebe übernehmen wollen oder können.
Junges Paar übernimmt Viehwirtschaft
Linda und Ansgar Herten schwimmen gegen den Trend. Vor vier Jahren haben sie die Viehhaltung eines Betriebes in Haufeld im Kreis Saalfeld-Rudolstadt übernommen. Auf ihrem Hof herrscht buntes Treiben: Die beiden kümmern sich um Schweine, Schafe oder auch Rinder, während sie gleichzeitig zwei Kinder großziehen.
Sie genießen die Arbeit an der frischen Luft, sagen sie. "Es ist was ganz anderes, als acht oder zehn Stunden im Büro zu sitzen", erklärt Linda. "Man hat mehr vom Körper, vom Leben. Das kann man nicht vergleichen. Dein Tag endet ganz anders." Die beiden wissen, wovon sie sprechen - früher haben sie in Berlin gelebt. Linda ist gelernte Hotelfachfrau.
Es fühlt sich nicht wie Arbeit an.
In Südthüringen haben die Hertens gefunden, wovon sie geträumt haben. Die Arbeit auf dem Hof "fühlt sich nicht wie Arbeit an", sagt Linda. "Wir haben am Ende des Tages nicht das Gefühl: Boa, ich brauch' unbedingt Urlaub. Das hast du nicht - es ist wirklich so, als würdest du dein Hobby ausleben."
Die Hertens haben sich gegen Milchviehhaltung entschieden, was nämlich mit noch mehr Arbeit wegen des Melkens verbunden gewesen wäre. Stattdessen verkaufen sie das Fleisch ihrer Tiere, Jungtiere geben sie an andere Betriebe weiter.
"Glücksfall" für Altbauern im Ort
Wolfgang Knauer hätte sich das alles nicht besser vorstellen können. Er hat die Tiersparte seines Betriebes an das junge Paar abgegeben. "Es war ein Glücksfall", sagt der gebürtige Bayer, der im Ort den Betrieb nach der Wende aufgebaut hat. "Jetzt mach' ich nur noch den Ackerbau. Ich will nicht mehr ganz so viel arbeiten", erzählt der Altbauer.
Knauer beobachtet, dass es gerade Biobauern nicht leicht hätten, Nachfolger zu finden. "Bei so ledigen Eigenbrötlern, da ist es schwer, jemanden zu finden. Das ist oft ein Lebensstil, den nicht alle übernehmen wollen."
Knauer beobachtet mit Freude, wie Linda und Ansgar den Betrieb führen und die Verantwortung für die Tiere und den Hof übernommen haben. Er selbst habe in den vergangenen Jahrzehnten zwei Beziehungen kaputtgemacht, "weil ich immer den Fehler gemacht hab, dass ich meinen Traum allein verwirklicht habe. Und ich glaube, die beiden machen das wesentlich besser, als wenn der Partner nur das fünfte Rad ist. Sie leben das gemeinsam und entscheiden gemeinsam."
Ohne Subventionen geht es nicht
Um wirtschaftlich stabil dazustehen, haben sich Linda und Ansgar breit aufgestellt. Sie probieren aus, mit welchen Produkten sie gut über die Runden kommen. In dieser Aufbauphase des Betriebs helfen ihnen aber vor allem auch die Subventionen, schildert Ansgar. "Zwei Drittel unseres Einkommens sind aktuell Subventionen." Zukünftig wollen sie auch eine Direktvermarktung vor Ort aufbauen, aber momentan gehe es nicht ohne die öffentlichen Gelder.
Wie gehen die Hertens mit dem Vorwurf um, dass die Bauern stets jammern, während sie relativ viel Geld von den Steuerzahlern bekommen? "Es wird in der Bevölkerung zu wenig Geld für Lebensmittel ausgegeben", entgegnet Ansgar. "Die Preise passen nicht. Und wenn die wieder passen… Wenn die Ausgleichszahlungen wegfallen, müssen sich Preise wieder anpassen. In dem Rahmen bewegen wir uns."
Wie umgehen mit Stress im Betrieb?
Linda und Ansgar beschäftigen einen Mitarbeiter auf halber Stelle - ansonsten machen sie alles selbst. Der Job könne deshalb auch "super belastend" sein, sagt Linda. "Sei es, weil ein Tier verendet, weil du einen Fehler gemacht hast - das ist natürlich ganz schlimm." Einmal habe sie auch einen kleinen Fehler bei der Antragstellung für die EU-Subventionen gemacht. 50.000 Euro fehlten dem Betrieb daraufhin.
Um sich innerlich zu schützen, um langfristig gesünder zu leben, sei ihnen deshalb wichtig, immer wieder einen Ausgleich zu finden. "Und auch einfach mal mit den Kindern zwei Stunden auf den Spielplatz zu gehen, während andere schon wieder auf dem Feld sind und was eindrillen, so wie Wolfgang. Könnten wir jetzt auch machen - wir könnten noch viel, viel mehr machen. Machen wir aber nicht, weil wir hoffen, dass das die Lösung ist."
Ludwig will mal einen großen Hof
Anders als Linda und Ansgar ist für Ludwig klar, dass er später einmal nicht auf einem kleinbäuerlichen Betrieb arbeiten möchte. Nach der Ausbildung und einem Studium strebt er lieber eine Laufbahn in einem größeren Betrieb an, wo er beispielsweise auch als Geschäftsführer arbeiten könnte.
Nicht zuletzt, "weil ich da mit größeren Maschinen arbeiten kann. Das macht natürlich mehr Spaß. Und weil ich dann auch mehr Möglichkeiten habe, mehr Geld zu verdienen. Bei kleinen Höfen hast du weniger Erträge. Und kannst weniger Geld verdienen."
Fehlt fürs Erste nur noch der Ausbildungsvertrag: Am Küchentisch von Carl-Albrecht Bartmer unterschreiben beide die Papiere. Hände werden geschüttelt. "Ich freu mich auf dich", sagt Ludwigs zukünftiger Ausbilder. Sind die Abiturprüfungen geschafft, geht es für den Erfurter fast nahtlos weiter. Auf Schulbank folgt Treckersitz.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exactly: "Erschöpft und frustriert - Bauern am Limit?" | 15. Mai 2024 | 20:15 Uhr
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