MDRfragt EU soll mehr für die Bauern tun – und die fürs Tierwohl
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15. Mai 2024, 03:00 Uhr
Wenn es nach der MDRfragt-Gemeinschaft geht, dann sollte die EU die Landwirtschaft stärker als bisher unterstützen. Gleichzeitig sollte es für Bauern mehr Auflagen geben, um Umwelt und Tiere zu schützen. Das sind zwei Ergebnisse des aktuellen MDRfragt-Stimmungsbildes aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
- Wenn Handelsunternehmen Marktmacht bei Lebensmitteln ausnutzen, soll der Staat eingreifen.
- Mehr Tierwohl wollen sehr viele, aber nur wenige kaufen entsprechend ein.
- Viele sind unsicher, ob sich der Aufpreis für Bio für sie und für die Umwelt lohnt.
Eine große Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer findet, Bauern müssten in der Europäischen Union stärker unterstützt werden. Mehr als drei Viertel der fast 21.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen teilen diese Ansicht.
Zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) befürworten grundsätzlich, dass die Landwirtschaft in der Europäischen Union mit Steuergeldern unterstützt wird. In den Kommentaren machen aber viele MDRfragt-Teilnehmende deutlich, dass aus ihrer Sicht das bisherige System der Agrarsubventionen überarbeitet werden muss.
Felix (33) aus Erfurt beispielsweise hat den Eindruck, dass die Unterstützung inzwischen als völlig selbstverständlich angesehen wird: "Meiner Meinung nach sollten Subventionen aber vor allem zur Förderung innovativer Zukunftsvisionen eingesetzt werden und nicht zur dauerhaften Versorgung einer etablierten Branche mit der Gießkanne." Konrad (59) aus dem Landkreis Greiz schlägt Subventionen nur vor „für eine nachhaltige Bewirtschaftung und nicht zum Aufbau von Überproduktion. Unterstützt werden sollten nur Betriebe, die den Preisvorgaben der Lebensmittelkonzerne nichts entgegensetzen können."
Was Bauern selbst zur EU-Agrarhilfe sagen
An der aktuellen Befragung haben fast 1.400 Menschen teilgenommen, die nach eigenen Angaben derzeit Landwirte sind oder es früher waren. Einer von ihnen ist Winfried (67), Biobauer aus Nordsachsen. Er schreibt, bei den Agrarsubventionen müsse eine Umverteilung stattfinden: "Kleine Betriebe sind in der Lage, tierartgerecht zu arbeiten. Die riesigen Landwirtschaftsbetriebe wiederum sind mit weniger Subventionen in der Lage, den Betrieb zu halten, da die Arbeitsleistung je Arbeitskraft aufgrund der Größe der Flächen und Maschinen sehr viel höher als in kleinen Betrieben."
Falk (55) aus dem Landkreis Meißen spricht einen Punkt an, der sich in vergleichsweise vielen Kommentaren fand: "Wir bräuchten keine 'Subventionen', wenn Verbraucher anstelle der zu hohen Steuerabgaben, mit denen die Ausgleichszahlungen finanziert werden, das Geld für teurere Lebensmittel ausgeben könnten und gleichzeitig der Import von Billigware begrenzt wird."
Wir bräuchten keine 'Subventionen', wenn Verbraucher anstelle der zu hohen Steuerabgaben, mit denen die Ausgleichszahlungen finanziert werden, das Geld für teurere Lebensmittel ausgeben könnten.
Zur Einordnung: Mit den sogenannten Bauern-Protesten haben viele Landwirtinnen und Landwirte auf hohe Auflagen und viele bürokratische Vorgaben aufmerksam gemacht und gegen den Wegfall von finanziellen Erleichterungen protestiert. Als Reaktion darauf hat die Europäische Union jetzt Entlastungen für Landwirte auf den Weg gebracht: So können kleinere Betriebe von Kontrollen befreit oder generell Umweltauflagen gelockert werden. Die müssen Bauern erfüllen, um EU-Agrarsubventionen zu erhalten.
Im letzten Jahr wurden von der EU etwas mehr als 40 Milliarden Euro an Subventionen an Landwirte direkt gezahlt. Die Subventionen sollen sicherstellen, dass Bauern ein Einkommen haben und weiter Lebensmittel herstellen, auch wenn die Lebensmittel-Preise die Kosten mitunter nicht decken. Die Subventionen sind aber auch wieder an Auflagen geknüpft.
Klare Mehrheit fordert Vorgaben für Handel, damit Erlöse für Bauern steigen
Als die Bauern-Proteste zu Beginn dieses Jahres besonders präsent waren, wurde viel darüber diskutiert, ob der Staat mit seinen Subventionen die finanzielle Lage der Landwirte regeln sollte - oder andere Akteure und die Preispolitik das Problem sind.
Ein Vorwurf: Supermärkte und Discounter nutzen ihre Marktmacht und setzen bei Erzeugern niedrige Preise durch. Landwirte bekommen für einen Teil der Produkte nicht ausreichend hohe Erlöse und sind auch deshalb auf Subventionen angewiesen.
Es darf nicht zu gelassen werden, dass der Handel so mit den Erzeugern umgeht.
Eine klare Mehrheit bei MDRfragt findet: Dieses Dauerproblem sollte mit Gesetzen gelöst werden. Acht von zehn Befragten (82 Prozent) fordern, der Staat sollte stärker in die Preisgestaltung von Lebensmitteln eingreifen und beispielsweise verbieten, dass landwirtschaftliche Produkte für weniger als den Erzeugerpreis verkauft werden.
"Es darf nicht zugelassen werden, dass der Handel so mit den Erzeugern umgeht. Wenn die Mechanismen des 'freien Marktes' zu schädlichen Folgen für die ansässige Erzeugerstruktur und die Bevölkerung führen, muss mehr eingegriffen werden", findet Oliver (40) aus dem Landkreis Meißen. Marco (26) aus dem Erzgebirgskreis gehört zu den MDRfragt-Teilnehmenden, die sich gegen zusätzliche Regeln für den Lebensmittelhandel aussprechen: "Regularien erhöhen die Preise ohne Effizienzgewinn. Die Landwirte sollten versuchen, sich Vertriebswege außerhalb der Lebensmittelkonzerne zu suchen und diese gemeinschaftlich zu bewerben."
Verbraucher sind für mehr Tierwohl, aber nur wenige kaufen die entsprechenden Lebensmittel
Die aktuelle Befragung zeigt auch deutlich, dass eine Mehrheit der Teilnehmenden nicht nur will, dass Bauern stärker unterstützt und entlastet werden sollen als bisher.
Gleichzeitig sollen Landwirte aus Sicht der MDRfragt-Gemeinschaft auch mehr leisten, besonders bei Tier- und Umweltschutz. Acht von zehn Befragten (83 Prozent) wünschen sich beispielsweise ein Ende der Käfighaltung bei Schweinen, Kaninchen, Geflügel und anderen Tieren. Das will die EU schrittweise durchsetzen.
Diese sehr klare Haltung zum Tierwohl passt allerdings nicht zum aktuellen Verkaufsverhalten von Verbrauchern. In deutschen Supermärkten und Discountern verkaufen sich Lebensmitteln aus artgerechter Tierhaltung nach einer aktuellen Studie von der Universität Bonn und der TU München zurzeit eher mäßig.
Laut der Untersuchung kommen nur 13 Prozent der angebotenen Fleischprodukte aus Haltungsbedingungen, die die gesetzlichen Mindestvorgaben überschreiten. Dabei gibt zusätzlich zu Bio-Siegeln seit mehreren Jahren schon die Haltungsform-Kennzeichnung.
MDRfragt-Mitglied Frank (64) aus Magdeburg merkt dazu an: "Höhere Auflagen zum Beispiel für das Tierwohl sind das Eine. Auf der anderen Seite muss dann aber auch strikt überwacht und kontrolliert werden. Ansonsten machen höhere Auflagen kaum Sinn."
Auch bei Bio-Lebensmitteln klaffen Wunsch und Realität auseinander
Sechs von zehn Befragten (58 Prozent) unterstützen die Pläne der EU für Biolebensmittel. Diese sehen vor, die Fläche für ökologische Landwirtschaft zu vergrößern und durch gezielte Förderung die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln zu steigern. Deren Anteil am Umsatz aller Lebensmittel lag in Deutschland zuletzt bei etwas über sechs Prozent.
Teilnehmende aus der MDRfragt-Gemeinschaft legen durchaus Wert auf nachhaltig erzeugte Lebensmittel, wie viele Kommentare verdeutlichen. Sie sind sich aber nicht immer sicher, welchen Gütesiegeln sie wirklich trauen können und ob es Unterschiede bei Bio-Produkten aus Deutschland und solchen aus dem Ausland gibt. "Mit 'Bio' ist das so ein zweischneidiges Schwert. Wer prüft denn nach, ob ein Produkt, welches über die halbe Erde reist, tatsächlich 'Bio' ist? Ich denke, Bio kann nur regional erzeugt werden", schreibt Doris (63) aus dem Landkreis Görlitz.
"Wer kontrolliert eigentlich das Bio-Rinder- oder -Lammsteak aus Texas oder Australien. Und ist es eine gute Öko- und Klimabilanz, wenn das Fleisch um die halbe Welt geflogen oder verschifft wird?", fragt Marlis (69) aus Suhl.
Wer prüft denn nach, ob ein Produkt, welches über die halbe Erde reist, tatsächlich 'Bio' ist?
Für fast alle Befragten (94 Prozent) ist nach eigenen Angaben wichtig, dass Lebensmittel möglichst in ihrer Nähe, also regional, erzeugt werden. Auch dafür müssten landwirtschaftliche Betriebe bei der Erzeugung, beim Transport und auch bei der Vermarktung umstellen.
"Auf Importprodukte versuche ich weitgehend zu verzichten. Bei einigen Produkten wie Kaffee, die nicht regional angebaut werden können, achte ich auf Bio und fair", schreibt David (44) aus Chemnitz. Karin (53) aus dem Harz kauft häufiger direkt auf dem Markt ein: "Mit den Händlern kann man sprechen, einzelne Produkte auswählen."
"Obst und Gemüse aus anderen Kontinenten werden von uns generell zu keiner Zeit im Jahr erworben. Ebenso hier vor Ort nicht saisonale Agrarerzeugnisse aus Anbaugebieten in Spanien, den Niederlanden und Italien", kommentiert Veit (54) aus Erfurt. Aus den Kommentaren wird aber auch der Wunsch nach mehr Transparenz deutlich, wenn es um die regionale Erzeugung von Lebensmitteln geht. Nicht selten legen Erzeuger und Händler den Begriff "Aus der Region" eher weit aus. Die Verbraucherzentralen fordern daher eine Kennzeichnungspflicht.
Sibylle (57) aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen schreibt: „Fast alle Sachverhalte in diesem Bereich sind für mich undurchsichtig, obwohl ich interessiert bin! Es gibt scheinbar immer nur Entweder-Oder, Fakten und Fachbegriffe werden aber wenig kommuniziert.“ Ihr fehlt es wie vielen anderen MDRfragt-Teilnehmern an fachlich sauberen, aber verständlichen Informationen zur Landwirtschaft und den Auflagen und Subventionen in Europa.“ Damit fasst Sibylle zusammen, was in zahlreichen Kommentaren zu dieser Befragung immer wieder anklingt.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 6. bis 10. April 2024 stand unter der Überschrift: "EU-Landwirtschaft - übersubventioniert oder unterschätzt?".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 20.749 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht. Darunter sind 1.358 aktuelle und ehemalige Landwirte (Haupt- und Nebenerwerb).
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 15. Mai 2024 | 20:45 Uhr