Der Redakteur | 13.11.2023 Wer entscheidet über eine Ausweisung?
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13. November 2023, 18:35 Uhr
Angezündete Solidaritätszettel an einer Synagoge in Erfurt. Die mutmaßlichen Täter: Zwei Libyer, alkoholisiert, aber erwachsen. Die Empörung ist groß, auch seitens der Politik. Doch wie groß sind die Konsequenzen?
Zunächst müssen wir uns mit den Begrifflichkeiten auseinandersetzen. Schon da wird deutlich, dass ein "einfaches Abschieben" eben nicht so einfach möglich ist. Zunächst ist eine Ausweisung nötig, das ist ein Verwaltungsakt und letztlich das amtliche Schreiben der Ausländerbehörde, in dem die Ausreisepflicht des Ausländers begründet wird. Dagegen sind Rechtsmittel möglich, mit unterschiedlich kurzen Fristen, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Bei einer Ablehnung des Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" beträgt die Ausreisefrist nur eine Woche.
Die Abschiebung ist letztlich dann der Vollzug dieser Ausreisepflicht, sollte die Person nicht freiwillig ausreisen. Klingt alles sehr deutsch und kompliziert und das ist es auch. Und dass mitunter ein Amt auf das andere und dessen Entscheidung guckt, wirkt von außen auch nicht gerade optimal.
In der Praxis ist es nämlich so, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über den Widerruf der Flüchtlingszuerkennung entscheidet, erklärt Migrationsexperte Thomas Oberhäuser. Die Ausländerbehörde befindet sich dann hier oft in der Warteschleife.
Die Ausländerbehörden warten in der Regel, was das Bundesamt macht. Und wenn das die Flüchtlingszuerkennung widerruft, kann die Ausländerbehörde einfacher ausweisen.
Welche Gründe führen zu einer Ausreisepflicht?
Nicht jedes Vergehen oder jede Straftat kann eine Ausreisepflicht nach sich ziehen. Im Paragrafen 54 des Aufenthaltsgesetzes sind aber einige Dinge genannt, die das Ausweisungsinteresse des Staates noch verstärken. Dazu gehören diverse Straftaten aus dem Katalog des Strafgesetzbuches, die Haftstrafen nach sich ziehen.
Aber auch Aufrufe zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder ethnische Gruppen können ausreichen oder schlicht falsche Angaben in einem Verwaltungsverfahren. Das bedeutet: Wenn Ausländer Rechtsverstöße begehen, kann die Ausländerbehörde sehr wohl das Aufenthaltsrecht entziehen. Und zwar in der Regel, nachdem eine eventuelle Haftstrafe in Deutschland abgesessen wurde. Die Ausländerbehörde kann aber auch Aktionen zum Anlass nehmen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören könnten.
Hier kommen wir dem Fall der Erfurter Synagoge schon näher, auch wenn Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser von der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im DAV "tendenziell eher nicht" daran glaubt, dass dieser Vorfall alleine ausreicht. Anders sieht es aus, wenn bereits eine Ausreisepflicht besteht, die vollzogen werden kann. Die Abschiebung von Straffälligen können die Bundesländer dann auch beschleunigen und wenn eine Gefahr besteht, gibt es auch das Mittel der Abschiebehaft. Bei allen Entscheidungen über die Ausreisepflicht spielen aber nicht nur die besonderen Interessen des Staates nach § 54 Aufenthaltsgesetz eine Rolle, sondern auch die des Betroffenen laut § 55.
Das sogenannte Bleibeinteresse wiegt zum Beispiel schwer, wenn jemand in Deutschland geboren ist oder schon länger als fünf Jahre rechtmäßig hier lebt, Minderjährige werden ebenfalls besonders behandelt und auch das Wohl des Kindes eines Betroffenen ist zu berücksichtigen. Und: Straftaten sind in Deutschland strafbar, egal ob sie ein Ausländer oder Deutscher begeht.
Wenn sie ein Ausländer begeht, führt das dazu, dass er nicht nur bestraft, sondern auch ausgewiesen werden kann.
Müssen schärfere Gesetze her?
Der Ruf nach Gesetzesverschärfung ist so alt wie unser Asylrecht. 2019 wollte die CSU die Angelegenheit voranbringen, damals stellte sie den Innenminister, in Person von Horst Seehofer. Am Ende war es die Geschichte mit dem Bettvorleger und dem Tiger. Auch die im Rahmen des aktuellen Asylkompromisses ausgehandelten Schritte sind nur kleinerer Natur. So sollen Abschiebungen in der Nachtzeit erleichtert werden und generell auch nicht mehr mit einer einmonatigen Frist angekündigt werden, wenn die vorhergehende Duldung widerrufen wurde.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Hans Vorländer beklagte schon Anfang Oktober in einem dpa-Interview den politischen Diskurs, in dem bisweilen suggeriert werde, es gäbe einfache Lösungen, mit denen sich die Zahl der Schutzsuchenden stark reduzieren lasse. Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein hat zwar Verständnis für die politisch starken Worte von Ministerpräsident Bodo Ramelow, der in einer Reaktion auf den Vorfall an der Erfurter Synagoge meinte, die Täter könnten sich "auf Schutzgewährung nicht mehr berufen." Aber als Jurist würde er es anders formulieren.
Gerade in den Phasen, in denen es darum geht, dass politischer Druck auszuhalten ist, bewährt sich der Rechtsstaat.
Vor diesem Hintergrund könnte man es auch positiv bewerten, dass die Interviewanfragen an die beiden ins Thema involvierten Thüringer Ministerien für Inneres und Migration mit Schweigen beantwortet wurden. Denn zuständig ist - wie eingangs beschrieben - die Ausländerbehörde, deren Bescheid bei Bedarf gerichtlich überprüft werden kann. Deswegen dürfte dann doch Rechtssicherheit vor "Zeichen setzen" gehen.
Abgesehen davon: Der Gesetzgeber könnte natürlich im Rahmen unserer Verfassung die Regeln verschärfen. Wobei es eben nicht so einfach ist, dies rechtssicher und nach dem Gleichheitsgrundsatz zu verwirklichen. Fragen Sie Herrn Seehofer.
Die Regeln des Rechtsstaats gelten für alle
Am Ende muss sich der Staat an seine eigenen Regeln halten. Dazu gehört, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist, auch jeder Täter und nicht einmal ein Mörder seine Menschenrechte verliert. Auch darf in der EU und auch in Deutschland niemand abgeschoben werden, dem Tod oder Folter drohen. Jeder Fall ist ein Einzelfall und auch so zu behandeln, so Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser. "Niemand hat alles verwirkt, nur weil er Blödsinn gemacht hat".
Dazu gehört auch, die Vorgänge genau aufzuklären, als Beispiel nannte er die Möglichkeit, dass nur einer gezündelt haben könnte und der andere hat versucht, ihn davon abzuhalten. Man könne andere Gründe nicht ausblenden, nur weil man diese Tat verurteilt, so Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser. Und unser Rechtsprinzip ist schließlich auch "Im Zweifel für den Angeklagten" und nicht, "Alle in einen Sack…" In diesem Spannungsfeld steht Justitia auch 2023 mit verbundenen Augen und Waage in der Hand und das hoffentlich stabil. Denn bei allen aufgezeigten Schwächen des Systems, die Alternativen "Par ordre du mufti" oder "Zahn um Zahn" überzeugen auch nicht wirklich.
Wir können nicht unsere gesamte Grundordnung über Bord werfen, nur weil wir jetzt gerade ein Problem haben.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 13. November 2023 | 16:40 Uhr