Tarifstreit Warnstreiks in Sachsen legten Nahverkehr in Großstädten lahm
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03. März 2023, 16:55 Uhr
Volle Mülltonnen, vergebliches Warten auf Bus und Bahn sowie verschlossene Türen in Kitas und Verwaltungen - darauf müssen sich die Menschen in Teilen Sachsens in diesen Tagen einstellen. Die Gewerkschaft Verdi hat ihre Mitglieder zum Streik für höhere Tariflöhne aufgerufen. Bereits seit Donnerstag streikt die Müllabfuhr in Chemnitz. Heute waren die Verkehrsbetreibe vor allem in den großen Städten Sachsens betroffen. Zehntausende gelangten zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit oder Schule.
Im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes haben am Freitag Warnstreiks den Nahverkehr in fünf sächsischen Städten lahmgelegt. Laut Gewerkschaft Verdi waren Fahrgäste von Bussen und Bahnen mehrerer kommunaler Verkehrsbetriebe in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Plauen betroffen. Der Nahverkehr habe "komplett still" gestanden, hatte der Landesbezirksfachbereichsleiter der Gewerkschaft Verdi, Paul Schmidt am Freitagmorgen berichtet. Demnach seien keine großen Ansammlungen von Wartenden an den Haltestellen beobachtet worden. Die Gewerkschaft habe rechtzeitig über die Aktion informiert.
Verdi-Chef begeistert über große Beteiligung
Verdi-Chef Frank Werneke sprach am Freitagnachmittag von einer "Wahnsinnsbeteiligung". Nahezu alle Beschäftigten, die Verdi zum Warnstreik aufgerufen hatte, seien dem Aufruf gefolgt, sagte er auf der Landesbezirkskonferenz der Gewerkschaft in Leipzig. Laut Verdi beteiligten sich bundesweit etwa 60.000 Menschen. Sie forderten deutlich höhere Löhne für den Öffentlichen Dienst.
Ministerpräsident will sich in Tarifkonflikt nicht einmischen
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat am Freitag als Gast auf der Verdi-Landesbezirkskonferenz in Leipzig an die Verantwortung der Gewerkschaft Verdi appelliert. Seinen Worten zufolge sei es für die Gewerkschaft nicht einfach, einerseits für einen Lohnausgleich zur Inflation zu sorgen - und andererseits "darauf zu achten, dass keine Lohn-Preis-Spirale entsteht, durch die das Land an wirtschaftlicher Kraft und Wettbewerbsfähigkeit verlieren" könnte. In den Tarifstreit wolle er sich aber nicht einmischen, so Kretschmer.
ÖPNV in Dresden steht still, nur jeder fünfte Bus fuhr
Falk Lösch, Sprecher der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), sagte am Morgen, dass in der Landeshauptstadt sämtliche Straßenbahnen und vier Fünftel des Busverkehrs ausfallen würden. Lediglich einige wenige Busse, die von Subunternehmen betrieben werden, seien unterwegs.
Die Auswirkungen des Streiks machten sich in der Landeshauptstadt vor allem an den Taxiständen bemerkbar. "Vorbestellungen nehmen wir für den Freitag gar keine mehr entgegen. Aber wer direkt losfahren will, kann es beim Taxistand probieren", sagte Ralf Udtke, Taxifahrer aus Dresden MDR SACHSEN. Für den Streik habe er Verständnis.
Einige Pendler sehen den Streik kritisch. Geanixon Rigoni, Angestellter aus Dresden, erzählt MDR SACHSEN, er müsse sich für den Rückweg von der Nachtschicht ein E-Bike oder ein Fahrrad leihen. "Ich wusste zwar, dass gestreikt wird, aber ich finde das schlecht für alle, die zur Arbeit müssen. Es müsste für die Fahrt Alternativen geben, nicht überall fahren Züge oder S-Bahnen."
Der S-Bahnverkehr rund um Dresden sei vom Streik aber nicht betroffen, erzählt Alena Hegedüs. Sie ist am Morgen aus der Sächsischen Schweiz mit der S-Bahn nach Dresden gefahren. Die sei pünktlich und etwas voller als normal gewesen, sagt sie. "Eine Kollegin fährt mich das letzte Stück vom Bahnhof weiter zur Arbeit. Den Streik finde ich total in Ordnung. Wenn sich die Arbeitnehmer organisieren, sollen sie für ihre Rechte streiken."
Streik auch in Leipzig
Auch in Leipzig streiken die Mitarbeitenden der Verkehrsbetriebe (LVB) seit dem Freitagmorgen. Der Linienverkehr der Straßenbahnen und Busse ist eingestellt, teilten die LVB mit. Auf ihrer Internetseite kündigte die LVB Verkehrseinschränkungen bis Samstagmorgen an. Ein LVB-Mitarbeiter sagte MDR SACHSEN, man wolle die Forderungen der Gewerkschaft durchsetzen. "Wir sind hier alle sehr streikwillig!"
Druck im Tarifstreit aufbauen
Verdi will mit den Warnstreiks den Druck im Tarifkonflikt für den öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes erhöhen. In den Verhandlungen fordert die Gewerkschaft 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat.
Diese Streikaufrufe sind bislang für die Regionen Sachsens bekannt:
Region Chemnitz, Zwickau, Plauen
- Die Beschäftigten der Abfallentsorgung in Chemnitz (ASR Chemnitz) sind schon seit Donnerstag im 48-stündigen Warnstreik.
- Aufruf der Beschäftigten und Azubis zum ganztägigen Warnstreik am Freitag ab Dienstbeginn bei den Verkehrsbetrieben in Chemnitz und Zwickau sowie der Plauener Straßenbahn. Einzelne Busse und Bahnen von Subunternehmen in Chemnitz sowie die Citybahn sind in Betrieb.
- Am Dienstag, 7. März, sollen in Chemnitz und im Erzgebirge Warnstreiks in Arbeitsagenturen und den Kommunalverwaltungen folgen, kündigte Verdi an. Verdi-Mitglieder unter den Beschäftigten der Sparkasse Chemnitz könnten am Dienstag ebenfalls streiken.
- Am Mittwoch, 8. März, ist Streiktag in Kitas in Chemnitz, im Vogtland und Zwickau sowie in den Verwaltungen von Kommunen und Landkreisen.
- Alle Streiktermine und betroffenen Betriebe/Einrichtungen finden Sie hier.
Region Dresden, Meißen, Pirna
- Am Freitag Warnstreik der Beschäftigten und Azubis im Nahverkehr Dresden (DVB). Eine Übersicht über die betroffenen Linien und weitere Informationen gibt es auf der Internetseite der DVB.
- Am Dienstag, 7. März, Aufruf zu Warnstreiks der Mitarbeiter der Kommunalverwaltung in Pirna, der Jobcenter sowie der Sparkassen in Dresden und Meißen und Zivilbeschäftigte der Bundeswehr.
- Am Mittwoch, 8. März, Streikaufruf an die Beschäftigten des Kita-Eigenbetriebs Dresden und des Städtischen Klinikums in Dresden. Dazu soll es eine große Demonstration in der Innenstadt geben.
- Alle Streiktermine und betroffenen Betriebe/Einrichtungen finden Sie hier.
Stadtgebiet Leipzig
- Ganztägiger Warnstreik (seit Freitagmorgen 3 Uhr bis Sonnabend 5 Uhr) bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB).
- Auch Fußball-Fans von RB Leipzig in Dortmund müssen sich am Freitag auf Schwierigkeiten einstellen, denn auch in Nordrhein-Westfalen wird der Nahverkehr bestreikt.
- Am Mittwoch, 8. März, Streikaufruf an die Beschäftigten der kommunalen Kitas in Leipzig.
Ausblick auf die Region Weißwasser und Niesky
- Am Freitag noch keine Warnstreiks in Ostsachsen.
- Am Dienstag, 7. März, Warnstreiks in den Stadt- und Gemeindeverwaltungen in Weißwasser, Schleife, Krauschwitz, Rothenburg und Niesky, Streiks in Kitas/Horte der Kommunen Weißwasser, Schleife, Krauschwitz, Rothenburg und Niesky.
- Aufruf zum Streik in Wirtschafts-/Bauhöfen der Weißwasser, Niesky, Schleife, bei der Feuerwehr und den Stadtwerken Weißwasser sowie Streik in Teilen Landratsamtes Görlitz mit Sitz in Weißwasser und Niesky und des Jobcenters.
- Alle Streiktermine und betroffenen Betriebe/Einrichtungen finden Sie hier.
Wo und warum die Warnstreik-Aufrufe?
Betroffen sind neben Sachsen bislang die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz. Der Verdi-Sprecher in Sachsen, Jörg Förster, begründete dies vor allem mit der gewerkschaftlichen Durchdringung innerhalb der Unternehmen, also den Verdi-Mitgliedszahlen in den einzelnen Bundesländern. "Die Kolleginnen und Kollegen in Sachsen sind etwas rebellischer als beispielsweise in Thüringen und Sachsen-Anhalt", sagte er.
Angebot von Bund und Kommunen
Verdi verlangt für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Das lehnt die Arbeitgeberseite als "unwirtschaftlich" ab. Bund und Kommunen haben eine steuerfreie Inflationsausgleichszahlung von 2.500 Euro angeboten und 5 Prozent mehr Lohn. Die Erhöhung solle ab Oktober in zwei Schritten erfolgen.
Verdi: "Indiskutables Angebot"
Ein "völlig indiskutables Angebot", bewertete die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle den Vorschlag. Nun wolle man mit erneuten Warnstreiks weiteren Druck auf die Arbeitgeber ausüben.
Laut Gewerkschafter Förster geht es den Streikenden am Freitag jedoch nicht nur um die bundesweiten Tarifverhandlungen, sondern auch um ein lokales Problem. Die Regelungen in Sachsen lägen oft weit unter dem bundesweiten Tarif und auch innerhalb des Freistaats gebe es Unterschiede. "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe in Leipzig, Plauen und Zwickau bekommen weniger Geld als ihre Kolleginnen und Kollegen in Chemnitz und Dresden", sagte er. Auch diesen Umstand müsse man dringend beheben. Vorige Woche gab es dazu schon Warnstreiks im Nahverkehr in Leipzig.
Fridays for Future unterstützen Streiks
Zeitgleich hat auch die Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future zu Protesten für eine Verkehrswende aufgerufen - mit einem globalen Klimastreik. Aktionen und Demonstrationen will sie an etwa 150 Orten in Deutschland durchführen und dabei die Warnstreiks der Gewerkschaft unterstützen. In Dresden demonstrierten mehrere Tausend Unterstützerinnen und Unterstützer der Klimabewegung. Nach Angaben der Veranstalter kamen 5.000 Menschen. Sie versammelten sich nach Angaben der Polizei am Mittag auf dem Neumarkt zu einer Auftaktkundgebung und zogen anschließend gemeinsam durch die Stadt.
"Die Emissionen des Verkehrssektors steigen immer weiter. Doch anstatt Ausbau und Finanzierung des ÖPNV anzugehen, investiert Verkehrsminister Wissing in neue Autobahnprojekte. Aber Menschen können nur die Infrastruktur nutzen, die ihnen geboten wird. Damit wurden nicht nur bisher alle Klimaziele dieses Sektors gerissen, wir rennen auch jetzt absehbar in ein Desaster", kritisierte Lou Töllner vom Bündnis Fridays for Future.
Laut Verdi-Vertreter Förster ist die Unterstützung von Fridays vor Future ein "Novum" in Sachsen. Es habe zwar schon früher Unterstützung gegeben, erstmals aber beteiligen sich die vor allem jüngeren Menschen an einem Warnstreik.
MDR (sho/kk/ben/kbe/wim)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 02. März 2023 | 19:00 Uhr