Ausgrenzungserfahrung Mehr als jeder Zweite in Sachsen erlebt laut Studie Diskriminierung
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20. Februar 2023, 17:02 Uhr
Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Aussehen, Geschlecht oder anderen Faktoren sind weit verbreitet. Mehr als die Hälfte der Befragten gab in einer am Montag vorgestellten Studie des sächsischen Justizministeriums an, dass sie schon mal eine solche Erfahrung in den letzten Jahren gemacht hätte. Die Studie gehört zu den ersten Untersuchungen dieser Art, die viele verschiedene Formen der Ausgrenzung in den Blick nimmt.
- Wahrgenommene Diskriminierung zeigt sich laut einer neuen Studie besonders in der Bildung und bei Behörden.
- Regelmäßige Ausgrenzungserfahrungen stellen die Demokratie vor ein Legitimationsproblem.
- Die Studie empfiehlt unter anderem ein Antidiskriminierungsgesetz auf Landesebene.
Diskriminierungserfahrungen sind bei Menschen in Sachsen sehr geläufig. In einer repräsentativen Umfrage, die im Rahmen einer neuen Studie durchgeführt wurde, gaben 55 Prozent der Befragten an, dass sie zwischen 2019 und 2021 schon einmal ausgegrenzt oder benachteiligt worden sind. Damit liegt Sachsen auf Bundesniveau. Auch in den restlichen Bundesländern gaben rund 55 Prozent der Bevölkerung an, derartige Diskriminierungen erlebt zu haben.
Negative Erfahrungen besonders in der Bildung und bei Behörden
"Diskriminierung ist kein Phänomen von Minderheiten. Stattdessen es ist ein Phänomen, was sich in der breiten Gesellschaft widerspiegelt", sagte Steffen Beigang vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) während eines Pressetermins, bei der die Umfrageergebnisse vorgestellt wurden.
Die Studie, die im Auftrag des sächsischen Justizministeriums durchgeführt wurde, fragte erstmals nach verschiedenen Formen von Diskriminierungserfahrungen in Sachsen entlang der Kategorien Geschlecht, religiöse Zugehörigkeit, äußere Erscheinung, Lebensalter, Behinderung, sexuelle Orientierung, rassistische Zuschreibungen, Herkunft und sozioökonomischer Status. Insgesamt nahmen 5.937 Personen an der Studie mit dem Namen "Diskriminierung erlebt?! Diskriminierungserfahrungen und diskriminierungsrelevante Einstellungen in Sachsen" teil.
Besonders häufig hätten die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen in der Justiz, bei Behörden und im Bildungsystem verschiedene Formen der Ausgrenzung erfahren. So sagte jede dritte bis vierte Person, dass sie in diesem Bereich in den letzten zwei Jahren entsprechende Erfahrungen gemacht hätte. 16 Prozent erlebten nach eigenen Aussagen in diesem Zeitraum mindestens einen Fall von sexueller Belästigung, neun Prozent sprachen sogar von körperlicher Gewalt, die ihnen wiederfuhr.
Diskriminierung Problem für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Die Studie setzt sich aus drei Befragungen mit jeweils anderen Schwerpunkten zusammen. So kontaktierte man mithilfe von Verbänden und Vereinen auch gezielt Personen, die Minderheiten angehören wie trans Menschen oder Homosexuelle.
Dabei ging es weniger um die rechtliche Frage nach Diskriminierung, sondern darum, was subjektiv als diskriminierend wahrgenommen wird. "Wir haben gesehen, dass es häufig diskriminierende Erfahrungen gibt, die so sehr Alltag sind, dass sie gar nicht mehr als solche angegeben werden. Ein Beispiel wäre Sexismus", sagt Lara Kronenbitter vom DeZIM.
Viele Betroffene würden darüber hinaus ein Gefühl der Resignation empfinden und nehmen die Diskriminierung als unveränderlich wahr. Für Steffen Beigang vom DeZIM zeige sich hier ein Demokratieproblem. "Wenn über die Hälfte der Menschen in Sachsen die Erfahrung gemacht hat, keine gleichen Chancen zu haben, dann ist das eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt."
Soll Sachsen ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz bekommen?
Als erste Konsequenz empfiehlt die Studie unter anderem, Interessensverbände flächendeckend besser zu unterstützen und ein Antidiskriminierungsgesetz auf Landesebene einzuführen, ähnlich zu Berlin. So könne man die Probleme im Bildungswesen sowie in Behörden angehen und das Personal entsprechend schulen.
Bundesweit wurde dafür 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erlassen. 76 Prozent der Befragten in Sachsen gaben jedoch in der Studie an, dass der gesetzliche Schutz vor Diskriminierung nicht ausreichend umgesetzt werden würde.
Wie die sächsische Landesbeauftragte für Antidiskriminierung, Andrea Blumtritt, erklärt, sind bereits weitere Maßnahmen für die Zukunft geplant. "Wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, die die rechtlichen Lücken im Diskriminierungsschutz schließen soll. Ein großes Thema wird dabei sein, ob eine Ombudsstelle eingerichtet wird, an die sich Personen wenden können", sagt Blumtritt.
Die Studie mit weiteren Umfragen und Analysen des sächsischen Justizministeriums mit Beteiligung des Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung kann online kostenlos abgerufen werden.
MDR (mad)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 20. Februar 2023 | 19:00 Uhr