Andreas Steiner, Schulleiter der Fichtenberg-Oberschule im Berliner Steglitz, schreibt an der Tafel das Wort "Demokratie".
Wie viel Politik passt in den Schulunterricht? Diese Frage bewegt in Sachsen viele Lehrerinnen und Lehrer. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Lisa Ducret

Wahljahr Verunsicherte Lehrer: Wie politisch darf oder muss Schule sein?

14. Mai 2024, 12:05 Uhr

Wir stecken mittendrin in einem Superwahljahr. Die politischen Auseinandersetzungen nehmen zu. Das macht auch vor den Schulen nicht Halt. Doch welche Rolle darf oder soll Politik im schulischen Alltag, im Unterricht spielen? Viele Lehrer und Lehrerinnen sind verunsichert, gibt es doch ein Neutralitätsgebot für staatliche Stellen. Experten allerdings meinen: Dies bedeutet nicht, dass Lehrkräfte neutral sein müssen.

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Robby Schellenberg unterrichtet seit sieben Jahren am Beruflichen Schulzentrum in Eilenburg angehende Erzieher und Heilerziehungspfleger. Auf seinem Stundenplan stehen unter anderem Kommunikation, Anatomie oder Krankheitslehre. Politische Bildung ist nicht Bestandteil des Lehrplans. Wo es sich anbietet, versucht der Berufsschullehrer aber trotzdem mit seinen Schülern und Schülerinnen über Politik zu sprechen.

Der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet

Politisch neutral will er dabei bewusst nicht sein: "Wir haben uns ja alle der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet mit der Unterschrift unter unseren Arbeitsvertrag und damit darf ich gar nicht neutral sein. Ich muss natürlich Haltung zeigen und auch die demokratische Grundordnung verteidigen."

Ich muss Haltung zeigen.

Robby Schellenberg Lehrer in Eilenburg

Beispielsweise wenn ein Schüler einen anderen mit den Worten "bist du behindert?" beleidigen will. Die Würde eines Anderen werde damit verletzt. Zudem sei ein solcher Ausspruch diskriminierend, versuche er dann den Schülern zu erklären, erzählt Schellenberg. Außerdem geht der Lehrer durchs Schulhaus oder die nähere Umgebung und entfernt Aufkleber mit rechtsextremen Sprüchen.

Staatliche Programme gegen Diskriminierung

Unterstützt wird Robby Schellenberg in seinem Engagement auch durch das staatliche Programm "Starke Lehrer - starke Schüler". Dieses bietet Weiterbildung und Beratung für Lehrkräfte, die mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus in ihrem Arbeitsalltag zu tun haben.

Benjamin Winkler ist als solcher Berater im Auftrag der Kultusverwaltung unterwegs. Und er ist zunehmend gefragt. Immer mehr Schulen würden Vorfälle melden: das Zeigen des Hitlergrußes, das Einritzen von Hakenkreuzen in die Schulbank beispielsweise. Dies seien Fälle, bei denen Haltung der Lehrkräfte gefragt sei, so Winkler. Das sei so sowohl durch das sächsische Schulgesetz als auch die sächsische Verfassung gedeckt und sogar gefordert: "Im Schulgesetz steht beispielsweise, dass Schüler dazu zu erziehen sind, Vorurteile zu reflektieren und keine Diskriminierung anzuwenden. Wir wissen aber, dass das für viele Lehrkräfte im Alltag eine große Herausforderung darstellt. Deshalb wollen wir Lehrkräfte unterstützen, das auch tun zu können, auch in alltäglichen Situationen."

Kultusminister über falsch verstandene Neutralität

Viele Lehrer und Lehrerinnen scheuen auch ganz generell davor zurück, im Unterricht eine politische Haltung oder Meinung zu zeigen. Das weiß auch Sachsens Kultusminister Christian Piwarz. Der CDU-Politiker ist überzeugt davon, dass das auch ein Überbleibsel der Friedlichen Revolution ist. Nachdem das DDR-System politisch sehr einseitig gebildet habe und auch Meinungen vorgegeben habe, wollten viele Politik komplett aus der Schule fernhalten, würden denken, dass das mit Neutralität gemeint sei.

Es muss deutlich werden, dass Meinungsvielfalt vermittelt wird.

Christian Piwarz Kultusminister Sachsen

Christian Piwarz (CDU), Kultusminister von Sachsen, nimmt an einer Pressekonferenz anlässlich des bevorstehenden Schuljahresbeginn 2023/24 teil.
Kultusminister Christian Piwarz sagt, Lehrerinnen und Lehrer dürften durchaus ihre eigene Meinung auch vertreten. Wichtig sei die Vielfalt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Der Kultusminister aber will die Lehrer im Freistaat ermutigen, politische Diskussionen zuzulassen und zu führen: "Natürlich ist Schule in der Gänze zur Neutralität verpflichtet. Das heißt aber nicht, dass die einzelne Lehrkraft sich politischer Diskussionen zu enthalten hat, keine eigene Meinung haben darf oder diese nicht artikulieren darf. Es muss nur in Gänze deutlich werden, dass politische Meinungsvielfalt an Schule vermittelt wird und dass wir Schülern auch unterschiedliche Meinungen zugänglich machen müssen."

Genauso sei auch der sogenannte Beutelsbacher Konsens zu verstehen, der die Richtlinien für politische Bildung im Unterricht vorgibt, erläutert der Kultusminister. Danach dürfen Schüler nicht mit Meinungen überwältigt werden. Und es muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, eine politische Situation und die eigene Interessenlage zu analysieren. Dennoch sei auch der Beutelsbacher Konsens wertegebunden. Er mahne, demokratische Werte wie Pluralismus und Menschenrechte in den Mittelpunkt von Bildungsprozessen zu stellen, so Christian Piwarz.

Gesellschaftlicher Druck nimmt Einfluss

Doch auch unabhängig von der Frage, was der Beutelsbacher Konsens im Unterricht genau bedeutet, sorgt gesellschaftlicher beziehungsweise politischer Druck für Verunsicherung in Sachsens Lehrerzimmern. Zwar hat die AfD in Sachsen ihr Lehrermeldeportal, auf dem jeder vermeintliche Verletzungen des Neutralitätsgebotes von Lehrer melden konnte, wohl mangels Rücklauf wieder abgeschaltet. Aber dennoch sorgt die AfD mit kleinen Anfragen im Landtag zu Schulprojekten der politischen Bildung für Gesprächsstoff. Dazu kommen Kampagnen in sozialen Medien. Die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen hatten unlängst in ihrem Telegram-Kanal gegen einen Schulleiter mobil gemacht, der privat auf einer Demonstration gegen Rechtsextremismus unterwegs war. Außerdem wird hinter vorgehaltener Hand berichtet, dass offen mit der AfD-sympathisierende Eltern bei sächsischen Schulleitern Sturm laufen, wenn Lehrer über die AfD im Unterricht sprechen.

Grundgesetz als Maßstab

Natürlich müsse ein Lehrer parteipolitisch auf Neutralität achten, sagt Demokratie-Berater Benjamin Winkler, aber wenn eine Partei mit dem Grundgesetz in Konflikt gerate, dürften Lehrer das auch im Unterricht thematisieren: "Die AfD ist in Sachsen durch den Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft worden. (…) Wenn Schüler danach fragen, warum die Partei so eingestuft wurde, darf ein Lehrer darüber aufklären, warum die AfD möglicherweise die Werte unserer Verfassung nicht erfüllt."

Das sächsische Kultusministerium arbeitet gerade an der Aktualisierung eines Leitfadens, um den Lehrkräften für solche und andere Themen Argumentationshilfen an die Hand zu geben. "W wie Werte" heißt das Papier, das in den kommenden Wochen veröffentlicht werden soll.

MDR (ben)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 14. Mai 2024 | 19:00 Uhr

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