
Kriminalstatistik Sachsen Zahlen, Balken und Säulen mit eingeschränkter Aussagekraft
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01. April 2025, 14:17 Uhr
Zusammen mit dem Landeskriminalamt hat das Innenministerium Sachsen am Dienstag die Kriminalstatistik 2024 vorgestellt. Jedenfalls einige wenige Zahlen daraus, die das Innenministerium wohl für besonders berichtenswert hielt. Zusammenhänge und Erläuterungen fehlten jedoch größtenteils - die möchte MDR SACHSEN hiermit nachliefern.
Der polizeiliche Straftatenkatalog umfasst 1.137 verschiedene Schlüsselnummern zur statistischen Erfassung von Straftaten: von der "Störung einer Bestattungsfeier" über versuchten oder vollendeten Mord bis zur "fehlerhaften Herstellung einer kerntechnischen Anlage" (2023: bundesweit 0 Fälle).
Ein paar davon zu den im Berichtsjahr 2024 abgeschlossenen Fällen (das bedeutet aufgeklärt oder wohl nicht mehr aufzuklären) sind am Dienstag vorgestellt worden.
Die Gesamtzahl der Straftaten bewegt sich knapp über dem Vorjahresniveau, relativ deutlich über dem der Jahre 2018 bis 2022, aber klar unterhalb der Zahlen von 2015 bis 2017. Die Aufklärungsquote war die Zweitbeste der vergangenen zehn Jahre.
Bei der Gesamtzahl der Straftaten ist es vollkommen unerheblich, ob in einem Jahr beispielsweise besonders viele Ladendiebstähle und "Schwarzfahrten" erfasst wurden und in einem anderen möglicherweise sehr viel mehr Gewaltdelikte. Es findet also keine Gewichtung der Schwere der Straftaten statt.
Zur Aufklärungsquote tragen auch Ladenmitarbeiter bei, Fahrkartenkontrolleure und Bundespolizeibeamte bei Grenzkontrollen. Diese liefern der Landespolizei überwiegend bereits "gelöste" Fälle zu: also Tatverdächtige zu Straftaten wie Ladendiebstählen, "Schwarzfahrten" und unerlaubten Grenzübertritten.
In den vergangenen fünf Jahren gab es nach einer "Corona-Delle" einen Anstieg der Fälle der Gewaltkriminalität, dazu gehören vor allem Mord und Totschlag, Raub, Vergewaltigung, gefährliche und schwere Körperverletzung sowie Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr.
Wie viele Personen bei diesen polizeilich erfassten Straftaten tatsächlich verletzt, vergewaltigt oder gar getötet wurden, bleibt dabei vollkommen unklar. Dafür bräuchte es mindestens eine Unterscheidung zwischen versuchten und vollendeten Fällen, was auch möglich gewesen wäre. Oder besser: die seit vielen Jahren angekündigte, aber noch immer nicht umgesetzte Erfassung von "Verletzungsgraden" von unverletzt, über leicht bis schwer oder tödlich verletzt.
Anstieg und Rückgang bei Delikten tatverdächtiger Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche (also im Alter von 0-17 Jahren) wurden 2024 deutlich seltener als Tatverdächtige erfasst für "einfache Ladendiebstähle" als im Vorjahr: Rückgang um 22,7 Prozent bei Kindern und um 14,5 Prozent bei Jugendlichen.
Dafür gab es mehr Anzeigen gegen Angehörige dieser Altersgruppe wegen Beleidigungen, Bedrohungen und sogenannten "einfachen" Körperverletzungen. Der prozentual größte Anstieg lag bei der Gewaltkriminalität: um 34,6 Prozent bei Kindern und um 16,5 Prozent bei Jugendlichen.
Unterscheidung zwischen sogenannter einfacher und gefährlicher Körperverletzung
Eine "einfache Körperverletzung" zählt zu den sogenannten Aggressionsdelikten unterhalb der Gewaltkriminalität. Beispielsweise: ein (auch nur versuchter) Tritt gegen das Schienbein, sofern dieser vom Opfer angezeigt wird. Hat der "Schienbeintreter" jedoch Verstärkung, auch wenn diese nur bedrohlich daneben steht, wird aus einer "einfachen Köperverletzung" wegen der gemeinschaftlichen Begehungsweise schnell eine "gefährliche Körperverletzung". Und die gehört zur "Gewaltkriminalität".
Maßgeblich für den Anstieg können also sein: eine häufigere, gemeinschaftliche Begehungsweise, eine steigende Anzeigebereitschaft beispielsweise bei Lehrern und Betreuern oder Ermittlungserfolge jugendspezifischer Sonderkommissionen.
Wie steht es um Ermittlungserfolge bei Tatverdächtigen?
Als drittes "Schwerpunktthema" nach der Gewaltkriminalität und den minderjährigen Tatverdächtigen präsentiert das Innenministerium Sachsen Zahlen zu ermittelten Tatverdächtigen (ohne ausländerrechtliche Verstöße) in den Jahren 2015, 2019 und 2024.
Demnach ist die Zahl der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass deutlich gestiegen, die der deutschen Tatverdächtigen gesunken.
Vollkommen unklar ist dabei, wie viele der nichtdeutschen Tatverdächtigen überhaupt in Sachsen wohnhaft oder beispielsweise Durchreisende waren. Im benachbarten Brandenburg gehörten im vergangenen Jahr weniger als die Hälfte der nichtdeutschen Tatverdächtigen zur ansässigen Bevölkerung. Somit verbietet sich ein Vergleich aller Nichtdeutscher unter den Tatverdächtigen mit dem Ausländeranteil der Wohnbevölkerung – auch in Sachsen.
Ebenso unklar: Für wie viele Straftaten in Sachsen macht die Polizei Nichtdeutsche verantwortlich? Im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt waren 23,7 Prozent der Tatverdächtigen Nichtdeutsche, der Anteil der von Nichtdeutschen begangenen Straftaten lag jedoch bei nur 12,5 Prozent.
Informationen über mehrfach tatverdächtige Zuwanderer
Als sogenannte "MITA" erfasst die sächsische Polizei Mehrfach-Tatverdächtige mit Fluchtkontext, aber auch mehrfachtatverdächtige, visumpflichtige Personen, die kein gültiges Visum vorweisen können.
Sogar EU-Ausländer können darunterfallen, wenn ihnen wegen einer früheren Verurteilung die Freizügigkeit für Deutschland entzogen wurde.
Daten für 2024
- 8.639 Straftaten (ohne ausländerrechtliche Verstöße) durch MITA erfasst
- 1.524 MITA im Freistaat erfasst (2023 waren es 1.415)
- 321 MITA in Haft und weitere 133 MITA zur Festnahme ausgeschrieben
- 55 MITA abgeschoben
- 1.477 männliche und 47 weibliche Tatverdächtige
- Top 5 der Staatsangehörigkeiten: Syrien, Tunesien, Libyen, Afghanistan und Georgien
Polizeiliches Auskunftssystem Sachsen mit Datenbestand vom 3. Januar 2025
Die Gruppe der "Zuwanderer" als Teilmenge der Nichtdeutschen ist die einzige, bei der in Sachsen ein mehrfacher Tatverdacht statistisch ausgewiesen wird. Zuletzt vor neun Jahren wurde in Sachsen auch für deutsche Tatverdächtige angegeben, wenn diese schon wegen vorher begangener Straftaten "polizeibekannt" waren. In der Kriminalstatistik 2015 betraf das 47.310 Deutsche.
So hat sich die politisch motivierte Kriminalität entwickelt
Auf gleich vier der dreizehn Grafiken widmen sich Innenministerium und Landeskriminalamt der "Politisch motivierten Kriminalität": von der vergleichsweise niedrigen Aufklärungsquote (nur jede dritte Straftat), über das Rekordhoch bei der Gesamtzahl (größter Anstieg und die häufigsten Delikte sind rechtsmotiviert) bis zur Altersstruktur der Tatverdächtigen und den Gewalttaten.
Vom bekritzelten Wahlplakat bis zur schweren Gewalttat
In der Gesamtzahl von rund 8.000 politisch motivierten Straftaten zählt ein bekritzeltes Wahlplakat genauso als ein Delikt wie eine schwere Gewalttat. Die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität nach Phänomenbereichen" werden zwar in einer weiteren Grafik aufgeführt. Aber die Definition von "Gewaltkriminalität" ist in der PMK weiter gefasst als in der PKS.
Nur unter politisch motivierte Gewalttaten fallen beispielsweise auch Widerstandsdelikte wie das Einhaken beim Nebenmann in einer Sitzblockade, um den Polizeibeamten das Wegtragen zu erschweren - wenn diese eine entsprechende Anzeige stellen.
Fazit: Eine polizeiliche Kriminalstatistik ist ein Tätigkeitsnachweis der Polizei – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Gerade bei einer fehlenden Einordnung der Zahlen kritisieren Kriminologen seit vielen Jahren die beschränkte Aussagekraft einer solchen Statistik.
MDR (sme)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 01. April 2025 | 19:00 Uhr