Prozess gegen Lina E.  im Oberlandesgericht (OLG) Dresden
Der Prozess gegen Lina E. geht in die Verlängerung. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

Lina-E.-Prozess Warum das Oberlandesgericht Dresden wieder in die Beweisaufnahme geht

23. April 2023, 07:00 Uhr

Eigentlich sollte der Linksextremismus-Prozess in Dresden jetzt in die Zielgerade gehen, wurde das Urteil im Mai erwartet. Doch nun wurde mitten in den Plädoyers die Beweisaufnahme wieder aufgenommen. Grund sind Zweifel des Gerichtes an Aussagen des Kronzeugen. Dabei kritisierte die Verteidigung dessen Aussagen von Anfang an.

Am Donnerstag hat das Oberlandesgericht Dresden die Plädoyers der Verteidigung im Lina-E.-Prozess unterbrochen und die Beweisaufnahme wiedereröffnet. Zuvor hatte die Verteidigerin des Angeklagten Lennart A. in ihrem Plädoyer auf widersprüchliche Aussagen des Kronzeugen Johannes D. zu Trainings in Leipzig in einem anderen Prozess hingewiesen. "Wenn D. in Meiningen etwas anderes zu den Trainings gesagt hat, nämlich, dass es nur Sport und eine soziale Komponente war, dann hat das natürlich Auswirkungen auf seine Glaubwürdigkeit in diesem wesentlichen Punkt", erklärte der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats.

Kronzeuge mit widersprüchlichen Aussagen

Im Dresdner Verfahren hatte Johannes D. als Kronzeuge erklärt, dass in Leipzig gezielt Angriffe auf Rechtsextreme und Neonazis geübt worden seien. In Meiningen, wo er sich wegen eines Überfalls 2019 auf einen Eisenacher Rechtsextremisten verantworten musste, sagte er einem Prozessbeobachter zufolge, er sei zwar bei seiner ersten Einladung zu einem Training mit der Erwartung nach Leipzig gefahren, dort gezielte Angriffe auf Neonazis zu üben. Tatsächlich aber sei es "nur" um Kampfsporttraining und die Vernetzung gegangen.

Verteidigung zweifelt an Glaubwürdigkeit von Johannes D.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Johannes D. hegen die Verteidiger der vier Angeklagten schon seit dessen erster Vernehmung. Grund sind beispielsweise die Aussagen des 30-Jährigen darüber, wann er das erste Mal und wie oft er über die Jahre in Leipzig mittraininert hat. Der Zeitpunkt war in den Vernehmungen vor Gericht mal 2016, mal 2018. Und die Anzahl variierte zwischen "einigen wenigen" und "20 Mal".  

Oder die Aussagen zur Struktur der mutmaßlichen kriminellen Vereinigung, ein zentraler Aspekt für das Gericht. D. erklärte seinen Vernehmern beim LKA Sachsen, dass Aktionen oftmals so ablaufen, dass ein "Projektplaner" wie bei einem "Startup" ein Projekt erstelle und die Mitarbeiter dafür aus einem Pool von Leuten mit unterschiedlichen Fähigkeiten rekrutierte. Diese Ausführungen seien für die Vernehmer aber schwer nachvollziehbar gewesen. Zur besseren Erklärung hätten sie ein Modell entwickelt, welches die Tatverdächtigen in unterschiedliche Kreise aufteilt und legten es ihm vor. Johannes D. bestätigte den Ermittlern schließlich dieses Modell, wie einer von ihnen vor Gericht erklärte. Interessant nur: Vor Gericht erklärte D. lange Zeit, er habe das Modell selbst entworfen.

Johannes D. prahlte mit Date mit Bewährungshelferin

Der MDR konnte bereits vor dem ersten Gerichtsauftritt von Johannes D. mit einem ehemaligen Freund und Mitbewohner des Kronzeugen sprechen. Damals habe er "Jojo" aufgenommen, nachdem der aus seiner alten Wohnung herausgeflogen sei, weil er betrunken die Nachbarn belästigt und bedroht haben soll, so der ehemalige Mitbewohner. Die beiden Männer haben zwischen 2016 und 2017 in Nürnberg zusammengewohnt. Der Nürnberger erzählte dem MDR damals, dass Johannes D. damit prahlte, seine damalige Bewährungshelferin daten zu wollen, um einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen. Eine Geschichte, die jetzt von einer zweiten Quelle aus dem ehemaligen persönlichen Umfeld des 30-Jährigen bestätigt werden konnte.

Spekulationen über Motivation des Kronzeugen

Immer wieder war über die Motivation von Johannes D. spekuliert worden, als Kronzeuge vor Gericht auszusagen. Als ein Grund wurde ein sogenannter Outcall angeführt. Er war auf der Szeneplattform Indymedia der Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt bezichtigt worden. 

All diese Punkte wären auch mit Blick auf die Aussagemotivation und ein mögliches Rachemotiv aufgrund des Szeneausschlusses des 30-Jährigen womöglich von Interesse gewesen, wurden vor Gericht aber nicht weiter thematisiert. Das Gericht gab sich damit zufrieden, dass die Generalstaatsanwaltschaft Berlin das Verfahren wegen Vergewaltigung gegen Johannes D. eingestellt hat. Jenes Verfahren, welches mutmaßlich zum "Outcall" geführt hat.

Außerdem gab man sich sowohl in Dresden als auch in Meiningen damit zufrieden, dass D. sein damaliges Handeln mittlerweile als falsch ansehe. Als er von einem Nebenklagevertreter am Tag seiner letzten Vernehmung in Dresden jedoch auf den Überfall auf Leon R. angesprochen wurde, entgegnete er nur kurz: "Da hat es ja den Richtigen getroffen."

Wer ist Johannes D.? Der 30-Jährige ist ein ehemaliger Weggefährte aus dem Umfeld der Angeklagten. Er hatte sich während des Prozesses dazu entschieden, mit den Behörden zusammenzuarbeiten und mehrfach Lina E. und ihren Verlobten Johann G. als zentrale Figuren rund um die Organisation von Überfällen und Angriffen charakterisiert.

Zum eigentlichen Tatgeschehen aber konnte er nur in einem Fall beitragen: Beim Überfall auf den Rechtsextremen Leon R. im Dezember 2019 in Eisenach benannte er zwei Personen als Tatbeteiligte, die den Behörden zuvor noch nicht bekannt waren.

MDR (sth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 21. April 2023 | 13:30 Uhr

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