Oberlandesgericht Dresden Lina E.-Prozess: Plädoyers unterbrochen, neuer Beweisantrag
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20. April 2023, 18:32 Uhr
Seit 2021 muss sich die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. mit drei Mitangeklagten vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. Der Vorwurf: Sie sollen eine linksextremistische, kriminelle Vereinigung gegründet und mehrere Rechtsextreme schwer verletzt haben. Am Donnerstag sind in dem Prozess die Plädoyers der Verteidigung unterbrochen worden. Das Gericht zweifelt an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Nun geht die Beweisaufnahme weiter.
- Nach Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen verzögert sich der Lina E. Prozess in Dresden.
- Der Kronzeuge soll in einem anderen Verfahren abweichende Angaben gemacht haben.
- Die Verteidigung spricht von einer Vorverurteilung von Lina E. und einer gemeinsamer Front von Gericht und Bundesanwaltschaft.
Das Ende des Lina E.-Prozesses vor dem Oberlandesgericht Dresden verzögert sich. Grund sind Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Die Plädoyers der Verteidigung wurden deshalb am Donnerstag unterbrochen. Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats stieg wieder in die Beweisaufnahme ein. Am 10. und 11. Mai sollen zunächst weitere Zeugen gehört werden. Ursprünglich war an diesen Tagen mit dem Urteil gerechnet worden. Das Gericht setzte nun vorsorglich Termine bis zum 22. Juni an. Schlüter-Staats äußerte aber die Hoffnung, das Verfahren noch im Mai abzuschließen.
Kronzeuge soll abweichende Angaben gemacht haben
Die Verzögerung kam zustande, weil der Kronzeuge in einem anderen Verfahren Ende Februar in Meinigen zu einem Sachverhalt andere Angaben gemacht haben soll als im Dresdner Prozess. Vor dem Oberlandesgericht Dresden erklärte er, die vier Angeklagten hätten gezielt für Angriffe auf Rechtsextreme trainiert. Vor einem Gericht in Meiningen soll er nun gesagt haben, es habe sich lediglich um normales Kampfsporttraining zur körperlichen Ertüchtigung und Pflege sozialer Kontakte gehandelt. Dieser Ungereimtheit wird nun nachgegangen.
Gezieltes Training oder nur Sport mit Freunden?
Schlüter-Staats will deshalb nun den Staatsanwalt und den Richter aus dem Meiningener Prozess als Zeugen laden. Die Aussage des Kronzeugen ist deshalb von Bedeutung, weil ein gezieltes Training ein Beleg für die Annahme der Bundesanwaltschaft ist, dass die Beschuldigen Mitglieder einer kriminellen Vereinigung waren. Der Kronzeuge war im Februar für seine Beteiligung an einem Überfall auf eine rechte Szene-Kneipe in Eisenach zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt worden.
Anwalt von Lina E. spricht von "politischer Justiz"
Zuvor hatte die Verteidigung der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E. am Mittwoch im Schlussplädoyer schwere Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft und den Senat am Oberlandesgericht Dresden erhoben. Verteidiger Ulrich von Klinggräff sprach von "politischer Justiz" und einer Vorverurteilung seiner Mandantin von Anfang an. Es habe einen Schulterschluss von Gericht und Bundesanwaltschaft gegeben. Beide hätten eine "gemeinsame Front" gegen die Beschuldigten aufgebaut.
Vorwurf: Indizien aus minimalen Anhaltspunkten gebastelt
Nach den Worten des Verteidigers beruht die Anklage auf Mutmaßungen. "Hypothesen ersetzen für die Bundesanwaltschaft die Beweise", so der Vorwurf. Alternative und entlastende Annahmen würden außer Acht gelassen. Zugleich warf er der Anklagebehörde "Rosinenpickerei" vor. Sie habe aus minimalen Anhaltspunkten Indizien gebastelt, das heraus gepickt, was in die eigene Anschauung passe. Jedoch würden "schwache Beweisführungen nicht besser, wenn sie kumulativ aufgeführt werden".
Zum Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats sagte von Klinggräff, die Verteidigung habe zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gewonnen, dass der Senat eine kritische Würdigung der Beweise und der polizeilichen Arbeit vorgenommen habe. Immer, wenn es Kritik an der Arbeit der Sonderkommission Linksextremismus gab, habe sich der Vorsitzende dazwischengeworfen, als hätte er die Kritik persönlich genommen.
Bewährungsstrafe für Überfall in Eisenach erwartet
Anders als die Bundesanwaltschaft, die acht Jahre Haft für Lina E. gefordert hat, wollte die Verteidigung von Lina E. kein konkretes Strafmaß nennen. Sie geht davon aus, dass Lina E. von fast allen vorgeworfenen Straftaten freigesprochen werden müsse und im Falle eines Überfalls auf eine rechte Szene-Kneipe in Eisenach lediglich eine Bewährungsstrafe in Frage käme.
Die Verteidigung führte zudem strafmildernde Umstände an, zum Beispiel die zweieinhalb Jahre währende Untersuchungshaft und eine Rheuma-Erkrankung von Lina E., die sich in Haft verschlechtert habe.
Vorwurf der kriminellen Vereinigung und anderer Straftaten
Die Bundesanwaltschaft wirft der Leipziger Studentin Lina E. sowie drei Männern vor, eine linksextremistische kriminelle Vereinigung gegründet und mehrere Rechtsextreme schwer körperlich verletzt zu haben.
Lina E. wird gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und räuberischer Diebstahl vorgeworfen. Als Rädelsführerin hat die heute 28-Jährige laut Staatsanwaltschaft zusammen mit ihrem untergetauchten Verlobten, der vermutlich erst im Februar an Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest beteiligt war, prägenden Einfluss auf die Gruppe ausgeübt.
Die Gruppe um Lina E. soll zwischen 2018 und 2020 mehrere Überfälle auf Angehörige der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach geplant und verübt haben. Lina E. war Ende 2020 festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen die vier Angeklagten hat im September 2021 begonnen.
Bundesanwaltschaft fordert acht Jahre Haft
Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang April für Lina E. eine achtjährige Haftstrafe gefordert. Für die drei angeklagten Männer beantragte die Bundesanwaltschaft Freiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten, drei Jahren und drei Monaten sowie drei Jahren und neun Monaten. Die drei mitbeschuldigten Männer aus Leipzig und Berlin sind derzeit auf freiem Fuß.
MDR (phb/mst/sth)/epd/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 21. April 2023 | 13:30 Uhr