Leipziger Theater Lofft Mit Weltoffenheit und Inklusion zum Theaterpreis des Bundes
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12. Oktober 2023, 05:01 Uhr
Das Theater Lofft aus Leipzig ist mit dem Theaterpreis des Bundes 2023 ausgezeichnet worden. Kulturstaatsministerin Claudia Roth überreichte die mit 100.000 Euro dotierte Auszeichnung am Mittwochabend in Berlin. Lofft steht für Leipziger Off-Theater. Es wurde vor 25 Jahren als Aufführungsort für freie Theaterprojekte gegründet, ist mittlerweile auf dem Gelände der Baumwollspinnerei beheimatet. Den Theaterpreis erhielt das Lofft vor allem für seine gelebte Weltoffenheit und Inklusion. Künftig will die Leiterin Anne-Cathrin Lessel das Lofft noch mehr zu einem Theater für alle entwickeln.
- Das Lofft-Theater in Leipzig ist mit dem Theaterpreis des Bundes in der Kategorie "Freie Produktionshäuser" ausgezeichnet worden.
- In Zukunft möchte das Lofft ein noch breiteres Publikum ansprechen.
- Theater für alle Bevölkerungsgruppen könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, findet Lofft-Leiterin Anne-Cathrin Lessel.
MDR KULTUR: Anne-Cathrin Lessel ist Leiterin des Lofft-Theaters, jetzt ausgezeichnet mit dem Theaterpreis des Bundes in der Kategorie "Freie Produktionshäuser". Was sind freie Produktionen - wie arbeitet ihr Haus?
Anne-Cathrin Lessel: Wir arbeiten beispielsweise nicht mit einem eigenen Schauspielensemble, sondern mit verschiedenen Künstler*innen-Gruppen. Sie kommen für eine bestimmte Zeit zu uns - für ihre Endproben und die Aufführung. Danach gehen sie an die Partnerhäuser, an denen weitere Vorstellungen stattfinden.
Viele verschiedene freie Theaterhäuser produzieren also ein künstlerisches Projekt zusammen. So haben wir um die 450 Künstler*innen im Jahr bei uns zu Hause. Wir tragen unseren Teil dazu bei, dass dieses Kunstprojekt realisiert werden kann. Es ist aber nicht nur bei uns verortet, sondern man kann man das Stück auch an anderen Theatern in Deutschland sehen.
"Hervorzuheben aus dem vielfältigen künstlerischen Programm ist insbesondere die in den letzten Jahren gegründete hauseigene Forward Dance Company" - so heißt es auch in der Jurybegründung. Das scheint ausschlaggebend für den Preis gewesen zu sein...
Das ist unsere Besonderheit. Wir haben seit 2020 ein eigenes Tanzensemble für Menschen und Tänzer*innen mit und ohne Behinderung, die professionell arbeiten. Meiner Kenntnis nach ist das einmalig in Deutschland, dass das in unserer Trägerstruktur als Theater passiert.
Das Thema Inklusion ist nicht erst seit der Gründung dieser Company bei uns ein Thema, sondern schon sehr viele Jahre. Seit 2008 produzieren wir einmal im Jahr mit dem Tanzlabor Leipzig, einem soziokulturellen Tanzprojekt, ein Projekt. Wir haben auch ein eigenes internationales Tanzfestival zu dem Thema veranstaltet, wie Menschen mit und ohne Behinderung zusammen professionell künstlerisch arbeiten.
Das hat sich über die letzten 15 Jahre durch unser Programm gezogen und ist in der Company-Gründung gemündet - auch mit der Zielsetzung ein eigenes Ensemble zu haben, das wie andere Tanzensembles auch arbeitet.
Die künstlerische Perspektive für das Lofft: Wo soll das Haus in zehn Jahren stehen? Gibt es eine Vision?
Wir haben mit dem Standort in der Baumwollspinnerei erstmal sehr gute Bedingungen. Natürlich ist immer die Frage: Wachstum, mehr Internationalität? Das steht auch bei uns auf der Agenda für die nächsten Jahre. Gleichzeitig ist es mir sehr wichtig, dass man seine Anbindung im Hinterkopf hat: Wo ist man verortet? Für wen macht man die Kunst? Wer sitzt in den Vorstellungen? Das heißt nicht, dass man nicht auch internationale Sachen machen kann.
Wir sind, neben dem Ballett, die Bühne, die sehr viel Tanz zeigt in Leipzig. Gleichzeitig ist wichtig, dass wir Projekte machen, zu denen noch mehr Menschen in unser Publikum und in unser Theater kommen, die bisher noch nicht kommen - die vielleicht schon mal etwas von uns gehört haben, aber sich nicht trauen zu kommen. Wir müssen diese Barrieren abbauen, also wirklich ein Ort für die Leipziger*innen werden.
Anne-Cathrin Lessel, Sie beschäftigen sich in verschiedenen Gremien mit der Zukunft von Theater, auch wissenschaftlich, zum Beispiel in dem Papier "Kultur nach Corona" des sächsischen Kulturrats. In dem Papier steht die Stärkung partizipativer künstlerischer Formate. Auf die Begegnung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen haben Sie einen starken Fokus gelegt, empfehlen das als wichtiges Ziel für die Zukunft. Wie kommen Sie denn zu dieser Empfehlung?
In erster Linie muss man sagen, dass man Theater nicht für den Selbstzweck macht, sondern es braucht immer ein Gegenüber. Wer ist eigentlich mein Gegenüber? Und wer ist vielleicht auch nicht mein Gegenüber im Theater, sprich im Publikum?
Wir reden in Sachsen von der Spaltung der Gesellschaft. Der gesellschaftliche Zusammenhalt schrumpft. Da muss man sich natürlich auch als Theater fragen: Welche Rolle hat man in der Gesellschaft, in der man gerade existiert und lebt und mitgestaltet? Es geht nicht nur darum, welchen Auftrag man sich selbst gibt, sondern auch darum, welchen Auftrag man auch dadurch bekommt, dass man öffentlich gefördert ist.
Es ist wichtig, dass wir uns als Theatermachende in den Gremien auch fragen: Für wen machen wir das eigentlich? Und was fehlt da eigentlich noch? Viele Menschen gehen nicht ins Theater und haben das in ihrer Freizeitgestaltung auch nicht als erstes Ziel.
In den großen Städten Leipzig und Dresden findet sehr viel Kultur statt. Da sind auch viele unterschiedliche Publikumsgruppen, die man erreicht.
Gleichzeitig gibt es auch den sogenannten ländlichen Raum. Da passiert auch schon an vielen Stellen mit großer Eigeninitiative von Projektinitiator*innen sehr viel. Das muss gestärkt werden. Und nicht nur durch finanzielle Unterstützung, sondern auch in der Sichtbarkeit. Die Projekte sind essenziell und wesentlich für die Region, haben aber auch Strahlkraft und Pilot-Modellcharakter für andere.
Da haben Sie jetzt so viele interessante Themen angestoßen. Was kann Theater, was kann Kunst überhaupt im ländlichen Raum? Wieviel trauen Sie denn einem Theaterensemble in der Dorfkneipe zu - an Integrationswirkung für die Gesellschaft, die Gemeinschaft vor Ort?
Wenn man sich bewusst für Kultur im ländlichen Raum entscheidet, ist das auch eine Haltungsfrage. Wir haben bei uns im Landesverband Akteur*innen, die in der Nähe von Bautzen, in Kirschau, ein eigenes Tanzstudio haben. Sie öffnen sich der Gemeinschaft dort, den umliegenden Dörfern und Gemeinden - und sind hoch frequentiert als Tanzschule.
Gleichzeitig haben sie ein künstlerisches Interesse und machen dort Produktion mit Tänzer*innen aus Indien. Dann kommen auch Menschen zusammen, die sich vorher diese Projekte vielleicht nicht angeguckt hätten. Es findet auch ein Austausch der Kulturen statt. Das sind gemeinschaftsstiftende Elemente.
Es ist wichtig, dass man nicht aus der Großstadt kommt und von außen anderen im ländlichen Raum sagt, wie es funktioniert, sondern dass man wirklich vor Ort vernetzt ist und sich die Zeit nimmt, dort Sachen zu entwickeln. Dann können das Projekte sein, die nachhaltig auch mit der Gemeinschaft der Region funktionieren und einen Effekt haben.
Natürlich ist Theater nicht das Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Herausforderungen. Aber aus meiner Sicht leisten wir einen Beitrag dazu und das sollte man sich immer wieder bewusst machen.
Das komplette Interview können Sie am Anfang des Artikels hören.
Quellen: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky, Ellen Schweda), Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Fonds Darstellende Künste
Redaktionelle Bearbeitung: hro
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Oktober 2023 | 16:10 Uhr