Gefängnis in Hoheneck Musik-Performance bringt Gedichte aus DDR-Gefängnis auf die Bühne
Hauptinhalt
15. November 2024, 03:00 Uhr
Eine neue Musik-Performance in Leipzig erzählt vom Gefängnis-Alltag in der Strafvollzugseinrichtung in Hoheneck. Dort wurden in der DDR auch politisch verfolgte Frauen inhaftiert. Die Performance nutzt Gedichte der damals eingesperrten Frauen, neue Kompositionen und Klänge aus dem Gefängnis. Auch Zeitzeuginnen werden im Anschluss auf der Bühne interviewt. Erst im Sommer wurde in Stollberg im Erzgebirge die Gedenkstätte Hoheneck eröffnet.
- In Leipzig wird eine neue Musik-Performance mit Gedichten von in der DDR inhaftierten Frauen gezeigt.
- Mit Neuer und Alter Musik soll der Alltag im Gefängnis Hoheneck bei Chemnitz auf der Bühne greifbar gemacht werden.
- Die Performance und eine neue Gedenkstätte sollen mehr Aufmerksamkeit auf das Unrecht im zentralen DDR-Frauengefängnis lenken.
Komponist Philipp Rücker war auf der Suche nach Stoff für eine neue künstlerische Arbeit zur DDR-Geschichte. Eher zufällig stieß er dabei auf Gedichte von Frauen, die in den 1950er-Jahren in der DDR in Haft waren. Bei der Mutter seines Schwagers, die selbst in der Strafvollzugseinrichtung in Hoheneck inhaftiert war, fiel ihm ein Band mit Lyrik von Inhaftierten in die Hände.
"Ich habe das gelesen und musste direkt ein bisschen weinen, weil es total anrührende Texte sind", erinnerte sich Philipp Rücker im MDR-Interview. "Und ich dachte: Das ist ein total spannender Stoff, damit muss ich etwas machen." So stammt auch der Titel seiner neuen Musik-Performance "Ich bin mir selber fremd geworden" aus einem Gedicht von Traute Mühltaler.
Ich habe das gelesen und musste direkt ein bisschen weinen.
Musik zwischen Gegenwart und Barock
Philipp Rücker hat Teile der Gedichte vertont oder auch indirekt in instrumentalen Stücken verarbeitet. Gemeinsam mit Leonie Sowa bildet er das Produktions-Duo "Schatz & Schande", mit dem er ein Programm zusammengestellt hat, in dem seine Kompositionen auf Musik aus dem 16. und 17. Jahrhundert treffen. Genau auf diese Kombination aus Alter und Zeitgenössischer Musik ist das Ensemble Neue Kammer spezialisiert, das für die Performance auf der Bühne steht.
Performance über Gefängnis-Alltag in Hoheneck
Reizvoll wie auch herausfordernd ist für Bratschisten Florian Giering, dass er als Teil des Ensembles Neue Kammer nicht nur sein Instrument spielt, sondern auch zum Darsteller auf der Bühne wird. Schemenhaft wird der Gefängnisalltag im sächsischen Hoheneck gezeigt: Gewalt, Enge, Isolation und Zwangsarbeit.
"Wir haben Gitterbetten auf der Bühne, wir haben Nähmaschinen auf der Bühne. Es gibt zwei Stücke, die für Nähmaschine und Ensemble komponiert sind. Das heißt, wir sind ganz stark auch Schauspieler*innen auf der Bühne", so der Musiker. Die Frauen in Hoheneck produzierten im Dreischichtsystem Strumpfhosen und Bettwäsche. Die wurden von der DDR für Devisen an namhafte Firmen im Westen verkauft. Schlechtes Essen, Krankheiten und Prügel prägten den Alltag.
Mehr Aufarbeitung des DDR-Kapitels Frauengefängnis
"Das Schlimmste war nicht die Haftzeit in Hoheneck", erzählte Ariane Zabel dem MDR. Sie führt seit zehn Jahren für Museen und Gedenkstätten Zeitzeugeninterviews. "Das Schlimmste war der Tag der Verhaftung, wo ihnen das Kind weggenommen wurde und sie nicht wussten: Wo ist es untergebracht? Werde ich das Kind jemals wiedersehen?"
Aus dem Gedicht "Grüß mir mein Kind" von Käthe Kirchner
Weh‘, weh‘ Wind
grüß mir mein Kind
fange mein Bübchen
küss ihm die Grübchen
sag ich bin so allein
möchte so gern bei ihm sein.
Die Geschichten dieser Frauen, und auch ihrer Familien, seien noch viel zu wenig bekannt, so Ariane Zabel. Die Eröffnung der Gedenkstätte in Hoheneck im Sommer 2024 war ein lang ersehnter und wichtiger Schritt für die Aufarbeitung: "Dadurch, dass dieser Gedenkort bis jetzt nicht existiert hat, hat da auch wahnsinnig wenig stattgefunden. Weil vieles mit so einem Gedenkort verknüpft ist, wo man das zeigen kann, wo es eine Ausstellung gibt."
Historisches Thema mit aktueller Relevanz
Ariane Zabel hofft, dass über die Gedichte und die Musik dieses Kapitel DDR-Geschichte für mehr Menschen zugänglich gemacht wird. Sie wird im Anschluss an die Aufführungen jeweils eine Zeitzeugin auf der Bühne interviewen.
Initiator Philipp Rücker sieht das Projekt auch im aktuellen Kontext: "Es geht um Diktatur. Es geht um politische Haft. Gerade in dieser Zeit, wo es so viele autoritäre Tendenzen gibt, muss man sagen: Stopp mal, wisst ihr eigentlich, was Diktatur bedeutet?"
Gerade in dieser Zeit, wo es so viele autoritäre Tendenzen gibt, muss man sagen: Stopp mal, wisst ihr eigentlich, was Diktatur bedeutet?
Mehr Informationen
"Ich bin mir selber fremd geworden"
Stimmen aus dem Frauenzuchthaus Hoheneck (DDR)
Musik-Performance von Schatz & Schande und Ensemble Neue Kammer
Adresse:
ZiMMT – Zentrum für immersive Medienkunst, Musik und Technologie
Torgauer Straße 80
04318 Leipzig
Termine:
15. November 2024, 20 Uhr
16. November 2024, 20 Uhr
Adresse:
Gedenkstätte Bautzner Straße
Bautzner Straße 112A
01099 Dresden
Termine:
17. November 2024, 17 Uhr
Im Anschluss an die Aufführungen sind Gespräche mit Zeitzeuginnen geplant.
Für Februar 2025 sind zwei weitere Veranstaltungen geplant: in der Gedenkstätte Hoheneck in Stollberg und im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis Chemnitz.
redaktionelle Bearbeitung: ths, sg
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 15. November 2024 | 07:10 Uhr