Menschen auf dem Marktplatz in Leipzig. 6 min
Passanten betrachten den Kubus auf dem Marktplatz. Im Inneren werden die Zustände einer Einzelhaftzelle simuliert. Bildrechte: Phil Dera
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Eine Kunstaktion auf dem Leipziger Markt macht aktuell auf unschuldig inhaftierte Frauen weltweit aufmerksam. So simuliert die Installation etwa eine Einzelzelle. Ole Steffen im Gespräch mit Szenografin Shahrzad Rahmani.

MDR KULTUR - Das Radio Di 27.08.2024 18:39Uhr 06:25 min

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Kunstaktion Leipzig: Installation macht auf politische Verfolgung von Frauen aufmerksam

28. August 2024, 12:55 Uhr

Es war die letzte öffentliche Hinrichtung in Leipzig: Am 27. August 1824 wurde der Soldat Johann Christian Woyzeck geköpft. Später diente der Fall als Vorbild für Georg Büchners gleichnamiges Drama. Jetzt wird mit einem Kunstprojekt die Brücke in die Gegenwart geschlagen: Am Ort der Exekution erinnert ein Kubus an das Schicksal inhaftierter Frauen in autoritären Regimen. Durch die Installation kann das Publikum die Zustände in einer Einzelhaftzelle nachempfinden.

Auf dem Leipziger Markt wird derzeit mit einer Installation auf die Situation politischer Häftlinge weltweit aufmerksam gemacht. Wie die Szenografin Shahrzad Rahmani bei MDR KULTUR sagte, liegt der Fokus dabei auf weiblichen Gefangenen, die zu Unrecht inhaftiert worden seien. Unter Verwendung von Briefen und Berichten aus Gefängnissen in der Türkei, Kurdistan oder Belarus werde die Situation der Einzelhaft und die damit oft verbundene Angst vor einer Hinrichtung beschrieben.

Es geht vor allem darum, dass die Stimmen von Frauen, die zu Unrecht in Gefangenschaft sind, gehört werden.

Szenografin Shahrzad Rahmani

Laut Rahmani wurde dazu ein großer Kubus auf dem Leipziger Marktplatz aufgestellt, an dem Passantinnen und Passanten rund um Uhr Briefe lesen können, die Frauen in Einzelhaft geschrieben hätten. Außerdem werde im Kubus eine Einzelhaftzelle akustisch wie räumlich simuliert.

Menschen stehen um einen Kubus auf dem Marktplatz in Leipzig.
Direkt vor dem Leipziger Rathaus werden die Passanten auf die Schicksale vieler unschuldig eingesperrter Frauen hingewiesen. Bildrechte: Phil Dera

Großes Interesse am Thema Verfolgung

Die Kunstaktion sei bisher auf großes Interesse gestoßen, so Rahmani. "Die Leute bleiben stehen und lesen sich wirklich genau diese Briefe durch, auch für einen längeren Zeitraum – einige, obwohl sie gerade den Platzes durchqueren."

Menschen auf dem Marktplatz in Leipzig.
Ein Teil der Installation: Betrachter können Briefe der Inhaftierten lesen. Bildrechte: Phil Dera

Es gäbe viel Gesprächsbedarf seitens der Betrachter und viele würden sich, wie die Szenografin schildert, auch trauen, den Raum im Inneren zu betreten. "Was auch nochmal mehr Mut benötigt, um das dann auch zu tun." Man könne dann die Tür schließen und für sich alleine in einer Zelle sein, gibt Rahmani zu bedenken.

Mit der Kunstinstallation will die Schaubühne Lindenfels in Kooperation mit dem Stadtgeschichtlichen Museum und Amnesty International nach eigenen Angaben "Opfern von Willkür und Unrecht" eine Stimme geben. Bis zum 4. September kann die Installation auf dem Marktplatz besichtigt werden.

Der Titel "Hab keine Angst - Stimmen des Widerstands" erinnere an Worte, die ein politischer Häftling im berüchtigten iranischen Evin-Gefängnis in die Wand seiner Einzelzelle geritzt habe.

"Hab keine Angst" ist in Metall geritzt.
Der Schriftzug, der an die Häftlinge in Gefängnissen erinnern soll. Bildrechte: Phil Dera

Installation erinnert auch an letzte öffentliche Hinrichtung in Leipzig

Der Kubus befindet sich nach Angaben der Veranstalter an jener Stelle auf dem Markt, an dem sich vor 200 Jahren die letzte öffentliche Hinrichtung in Leipzig abspielte: die Exekution Johann Christian Woyzecks. Für die Installation habe man die Rekonstruktion des Woyzeck-Schafotts weiterentwickelt, das bereits 2017 im Rahmen des Büchner-Festivals auf dem Markt zu sehen war.

Auch in der aktuellen Installation, so Rahmani, spiele Woyzeck eine Rolle. In einem 20-minütigem Hörspiel, das ebenfalls 2017 entwickelt wurde, werde seine Hinrichtung sowohl historisch, als auch in Büchners gleichnamigem Theaterstück rekonstruiert.

Woyzeck: Schuldig oder unzurechnungsfähig?

Vor 200 Jahren wurde am 27. August 1824 Woyzeck auf dem Leipziger Marktplatz hingerichtet. Grund war die Ermordung von Johanna Christiane Woost. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung eines Menschen in der Stadt und sie lockte 5.000 Schaulustige an – so viel Publikum, dass sogar Hausdächer abgedeckt wurden, damit die zahlenden Zuschauer das Ereignis von dort betrachten konnten.

Doch an der Schuldfähigkeit gab es schon damals Zweifel. Woyzeck litt unter Symptomen psychischer Erkankungen. Der Veteran der napoleonischen Kriege zeigte Anzeichen von Angstzuständen und Verfolgungswahn. Trotzdem wurde die Todesstrafe verhängt.

Johann Christian Woyzeck, beschrieben mit "I. C. Woyceck geboren in Leipzig Ao. 1780.
Eine historische Abbildung Woyzecks. Unterschrieben ist das Porträt mit "I. C. Woyceck geboren in Leipzig Ao. 1780." Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Berühmtes Drama von Georg Büchner

Georg Büchner nutzte die Geschichte des Woyzeck als Vorlage für sein berühmt gewordenes, gleichnamiges Drama. Darüber schrieb der Theaterkritiker Karl Kraus: "Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle herumtrampeln, somit ein Behandelter, nicht ein Handelnder, somit ein Kreisel, nicht eine Peitsche, somit ein Opfer, nicht ein Täter."

Hinrichtung Woyzek Leipzig Marktplatz 1824 40 min
1824 wird der Soldat Woyzeck wegen Mordes an seiner Geliebten hingerichtet. Sein Tod löste heftige psychiatrische und juristische Debatten über Wahnsinn und verminderte Schuldfähigkeit aus. Mehr dazu hören Sie im Audio von Linda Schildbach und Hartmut Schade. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Dieser Perspektivwechsel ist es, der Büchners "Woyzeck" so revolutionär erscheinen ließ und lässt. Ein Stück Weltliteratur, geschöpft aus einem ganz realen Fall in Leipzig vor 200 Jahren – und nun Anlass für die Beschäftigung mit unschuldigen Frauen in den Gefängnissen dieser Welt.

Quelle: MDR KULTUR (Hartmut Schade, Stefan Petraschewsky, Ole Steffen), Schaubühne Lindenfels
Redaktionelle Bearbeitung: op, tis, bh

Weitere Informationen

Ausstellung im Kubus

29. August bis 4. September.

Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr

Der Eintritt ist frei.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. August 2024 | 06:10 Uhr

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