Kunstaktion Leipzig: Installation macht auf politische Verfolgung von Frauen aufmerksam
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28. August 2024, 12:55 Uhr
Es war die letzte öffentliche Hinrichtung in Leipzig: Am 27. August 1824 wurde der Soldat Johann Christian Woyzeck geköpft. Später diente der Fall als Vorbild für Georg Büchners gleichnamiges Drama. Jetzt wird mit einem Kunstprojekt die Brücke in die Gegenwart geschlagen: Am Ort der Exekution erinnert ein Kubus an das Schicksal inhaftierter Frauen in autoritären Regimen. Durch die Installation kann das Publikum die Zustände in einer Einzelhaftzelle nachempfinden.
- Eine Kunstaktion erinnert an das Schicksal politisch verfolgter Frauen in Ländern wie der Türkei oder Belarus.
- Laut der Szenografin Shahrzad Rahmani stoßen die Haftbriefe und eine simulierte Einzelzelle auf großes Interesse.
- Die Installation erinnert zudem an einen historischen Fall: Die Hinrichtung von Johann Christian Woyzeck.
Auf dem Leipziger Markt wird derzeit mit einer Installation auf die Situation politischer Häftlinge weltweit aufmerksam gemacht. Wie die Szenografin Shahrzad Rahmani bei MDR KULTUR sagte, liegt der Fokus dabei auf weiblichen Gefangenen, die zu Unrecht inhaftiert worden seien. Unter Verwendung von Briefen und Berichten aus Gefängnissen in der Türkei, Kurdistan oder Belarus werde die Situation der Einzelhaft und die damit oft verbundene Angst vor einer Hinrichtung beschrieben.
Es geht vor allem darum, dass die Stimmen von Frauen, die zu Unrecht in Gefangenschaft sind, gehört werden.
Laut Rahmani wurde dazu ein großer Kubus auf dem Leipziger Marktplatz aufgestellt, an dem Passantinnen und Passanten rund um Uhr Briefe lesen können, die Frauen in Einzelhaft geschrieben hätten. Außerdem werde im Kubus eine Einzelhaftzelle akustisch wie räumlich simuliert.
Großes Interesse am Thema Verfolgung
Die Kunstaktion sei bisher auf großes Interesse gestoßen, so Rahmani. "Die Leute bleiben stehen und lesen sich wirklich genau diese Briefe durch, auch für einen längeren Zeitraum – einige, obwohl sie gerade den Platzes durchqueren."
Es gäbe viel Gesprächsbedarf seitens der Betrachter und viele würden sich, wie die Szenografin schildert, auch trauen, den Raum im Inneren zu betreten. "Was auch nochmal mehr Mut benötigt, um das dann auch zu tun." Man könne dann die Tür schließen und für sich alleine in einer Zelle sein, gibt Rahmani zu bedenken.
Mit der Kunstinstallation will die Schaubühne Lindenfels in Kooperation mit dem Stadtgeschichtlichen Museum und Amnesty International nach eigenen Angaben "Opfern von Willkür und Unrecht" eine Stimme geben. Bis zum 4. September kann die Installation auf dem Marktplatz besichtigt werden.
Der Titel "Hab keine Angst - Stimmen des Widerstands" erinnere an Worte, die ein politischer Häftling im berüchtigten iranischen Evin-Gefängnis in die Wand seiner Einzelzelle geritzt habe.
Installation erinnert auch an letzte öffentliche Hinrichtung in Leipzig
Der Kubus befindet sich nach Angaben der Veranstalter an jener Stelle auf dem Markt, an dem sich vor 200 Jahren die letzte öffentliche Hinrichtung in Leipzig abspielte: die Exekution Johann Christian Woyzecks. Für die Installation habe man die Rekonstruktion des Woyzeck-Schafotts weiterentwickelt, das bereits 2017 im Rahmen des Büchner-Festivals auf dem Markt zu sehen war.
Auch in der aktuellen Installation, so Rahmani, spiele Woyzeck eine Rolle. In einem 20-minütigem Hörspiel, das ebenfalls 2017 entwickelt wurde, werde seine Hinrichtung sowohl historisch, als auch in Büchners gleichnamigem Theaterstück rekonstruiert.
Woyzeck: Schuldig oder unzurechnungsfähig?
Vor 200 Jahren wurde am 27. August 1824 Woyzeck auf dem Leipziger Marktplatz hingerichtet. Grund war die Ermordung von Johanna Christiane Woost. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung eines Menschen in der Stadt und sie lockte 5.000 Schaulustige an – so viel Publikum, dass sogar Hausdächer abgedeckt wurden, damit die zahlenden Zuschauer das Ereignis von dort betrachten konnten.
Doch an der Schuldfähigkeit gab es schon damals Zweifel. Woyzeck litt unter Symptomen psychischer Erkankungen. Der Veteran der napoleonischen Kriege zeigte Anzeichen von Angstzuständen und Verfolgungswahn. Trotzdem wurde die Todesstrafe verhängt.
Berühmtes Drama von Georg Büchner
Georg Büchner nutzte die Geschichte des Woyzeck als Vorlage für sein berühmt gewordenes, gleichnamiges Drama. Darüber schrieb der Theaterkritiker Karl Kraus: "Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle herumtrampeln, somit ein Behandelter, nicht ein Handelnder, somit ein Kreisel, nicht eine Peitsche, somit ein Opfer, nicht ein Täter."
Dieser Perspektivwechsel ist es, der Büchners "Woyzeck" so revolutionär erscheinen ließ und lässt. Ein Stück Weltliteratur, geschöpft aus einem ganz realen Fall in Leipzig vor 200 Jahren – und nun Anlass für die Beschäftigung mit unschuldigen Frauen in den Gefängnissen dieser Welt.
Quelle: MDR KULTUR (Hartmut Schade, Stefan Petraschewsky, Ole Steffen), Schaubühne Lindenfels
Redaktionelle Bearbeitung: op, tis, bh
Weitere Informationen
Ausstellung im Kubus
29. August bis 4. September.
Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Der Eintritt ist frei.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. August 2024 | 06:10 Uhr