Riebeckstraße 63 Neuer Gedenkort in Leipzig erinnert an "Tripperburg" und Zwangsarbeit
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14. Februar 2025, 16:17 Uhr
Die Riebeckstraße 63 ist ein Ort mit dunkler Geschichte: 1892 als städtische Zwangsarbeitsanstalt eröffnet, war das Gelände im Zweiten Weltkrieg ein NS-Sammellager mit Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie. In der DDR wurde der Ort als venerologische Station genutzt – in diesen "Tripperburgen" wurden Mädchen und Frauen gegen ihren Willen gynäkologisch behandelt. Ein Verein kämpft für die Aufarbeitung der Geschichte und hat nun eine Ausstellung eröffnet. Doch die Finanzierung des Projektes steht auf der Kippe.
- In der ehemaligen städtischen Arbeitsanstalt erinnert nun eine Gedenkstätte mit einer Ausstellung an die Geschichte des Ortes.
- Über Jahrzehnte und alle Systeme hinweg wurden hier Menschen stigmatisiert und gegen ihren Willen festgehalten.
- Obwohl noch viel Forschungsarbeit nötig ist, steht die Weiterführung des Projektes schon jetzt vor dem Aus.
Leipzig hat eine neue Gedenkstätte. Im kleinen Pförtnerhäuschen in der Riebeckstraße 63 ist eine Ausstellung zu sehen, die sich der Geschichte des Ortes widmet. Annkathrin Richter, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins "Riebeckstraße 63", bezeichnet die Schau als "Werkstattausstellung", weil sie die ersten Ergebnisse der Forschung zur umfangreichen Geschichte des Ortes zeige.
Eine Geschichte der Ausgrenzung
Das Gelände der Riebeckstraße 63 wurde 1892 als städtische "Zwangsarbeitsanstalt" errichtet. In der Weimarer Republik wurde der Ort als ein Obdachlosenasyl genutzt. Im Nationalsozialismus wurden hier Sinti, Roma, Juden und als "Asoziale" verfolgte Menschen festgehalten.
Die Ausstellung "Ausgrenzung, Arbeitszwang und Abweichung" widmet sich dem Schicksal der Menschen, die hier meist unter widrigen Bedingungen zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen wurden. Im Nationalsozialismus festgehaltene Menschen wurden teilweise in Konzentrationslager deportiert und dort umgebracht, so Richter weiter. Die Belege dafür sind vorhanden, müssten aber noch aufgearbeitet werden.
Das Wort 'asozial' wird noch heute ungeachtet seiner Geschichte gedankenlos gebraucht.
An der Wand des kleinen Museumsraums steht das Wort "asozial". Gedankenlos und ungeachtet der Geschichte werde es noch heute oft gebraucht, sagt Markus Streb vom Verein "Riebeckstraße 63". Wie schnell dieses Wort in vergangenen Systemen zu Ausgrenzungen von Menschen führte, darüber wolle man in der Ausstellung aufklären.
Auch die Frage nach dem Wert von Arbeit soll beispielsweise Schulkindern in pädagogischen Angeboten gestellt werden. Denn in der Riebeckstraße seien immer wieder Menschen gelandet, die "arbeitsscheu" gewesen seien. Ein problematischer Begriff, so Streb. Er zeige aber gut, wie Menschen durch alle Systeme hindurch immer wieder als gesellschaftsuntauglich gebrandmarkt worden seien. Ebenso sollten hier Prostituierte "umerzogen" werden.
DDR: Gynäkologische Zwangsuntersuchungen in der "Tripperburg"
In der DDR wurde auf dem Gelände eine geschlossene venerologische Station eröffnet, im Volksmund "Tripperburg" genannt. Mädchen und Frauen wurden darin täglich unter Zwang auf Geschlechtskrankheiten untersucht. "Wir mussten uns auch gegenseitig untersuchen bis wir blutig waren", erzählt Anke Blum, die all das am eigenen Leib erfahren musste. Die 54-Jährige sagt, sie sei 1987 ohne erkennbaren Grund in die Riebeckstraße 63 gebracht worden.
Man hat mir meine Jugend genommen, meine Lehre, man hat mir alles kaputtgemacht.
Blum berichtet, ihr sei neben der Lehre die ganze Jugend genommen worden, ihr komplettes Leben sei bis heute von den damaligen Geschehnissen überschattet. Normalität kenne sie nicht, Sex beispielsweise habe sie nur unter Alkoholeinfluss ertragen, sie sei arbeitsunfähig, könne das Haus wegen massiver Angststörungen nur äußerst selten verlassen, all das seien Indizen einer schweren Traumatisierung.
Rehabilitiert worden sei sie bis heute nicht, erklärt Blum nicht ohne Bitterkeit. Trotzdem ist sie voller Hoffnung, eines Tages noch eine angemessene Entschädigung für das ihr angetane Unrecht zu erhalten.
Junge Gedenkstättenarbeit in Gefahr
Annkathrin Richter bekräftigt Blums Aussagen: Ein Gedenkort in der Riebeckstraße 63 sei schon lange überfällig und müsse unbedingt bestehen bleiben. Orte wie dieser könnten erinnern, mahnen und seien außerdem Orte der Bildung.
Viele Geschichten von Menschen, die in der Riebeckstraße festgehalten wurden, liegen noch im Dunkeln. In den kommenden Jahren sollte hier geforscht und die Ausstellung erweitert werden. Doch die Finanzierung ist derzeit wegen des ausstehenden sächsischen Haushalts ungewiss, wie Richter berichtet. Ab März mache man hier ehrenamtlich weiter. Damit könne man lediglich die Ausstellung öffnen, Forschung und pädagogische Angebote lägen damit auf Eis.
Weitere Informationen
Ausstellung "Ausgrenzung, Arbeitszwang und Abweichung"
Pförtnerhäuschen
Riebeckstraße 63
04317 Leipzig
Öffnungszeiten:
donnerstags von 14 bis 18 Uhr
Der Eintritt ist frei.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. Februar 2025 | 06:30 Uhr