ARD-Dokumentarfilmwettbewerb 2023 TopDocs"-Preis geht an KI-gestützte Doku zum Wahljahr
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11. Oktober 2023, 21:32 Uhr
Im Rahmen des Festivals Dok Leipzig ist am Mittwoch der Wettbewerb "TopDocs" der ARD entschieden worden. Dabei wird keine fertige Dokumentation ausgezeichnet, sondern eine Film-Idee. Der Preis ist mit 300.000 Euro dotiert und kann als Filmförderung verstanden werden. Die fertige Produktion wird außerdem bei der ARD gezeigt. Die diesjährige Siegeridee will sich ins Superwahljahr 2024 einmischen und dafür mit Künstlicher Intelligenz experimentieren.
- Beim Wettbewerb "TopDocs" stellen Filmschaffende Ideen für eine Dokumentation vor und eine Jury entscheidet über eine Förderung.
- Die Doku-Ideen sollen Themen behandeln, die Menschen 2024 bewegen.
- Die Sieger-Idee untersucht Demokratie, autokratisches Gedankengut und Künstliche Intelligenz.
Oft ist sie zu hören: die Klage über die ungeheuren Schwierigkeiten, ein Budget für anspruchsvolle Filme zusammenzukriegen. Und obwohl Dokumentarfilme in der Herstellung meist deutlich weniger kosten als Spielfilme, ist das Klagelied auch unter diesen Filmschaffenden leidlich bekannt. Deshalb ist ein satt ausgestatteter Wettbewerb für eine Filmförderung für viele eine Gelegenheit, die man nicht auslassen kann. So erklärt sich, dass in diesem Jahr gleich 30 Einreichungen für "TopDocs" zu verzeichnen waren – fünf von ihnen haben es auf die Shortlist geschafft.
Fach-Jury für Dokumentationen
Gesucht wird laut Ausschreibung des Wettbewerbs ein exklusives dokumentarisches Highlight über ein Thema, das Deutschland 2024 bewegt. In der Jury sitzen erfahrene Menschen aus den Redaktionen von BR, NDR, SWR, RBB, WDR und MDR. Den Vorsitz hat der ARD-Chefredakteur Oliver Köhr.
Dieser geballten Fachkompetenz kommt es zu, den mit 300.000 Euro dotierten Preis an einen der Shortlist-Nominierten zu verleihen. Das Prozedere dafür ist ein Pitch – jede der nominierten Filmproduktionsfirmen hat dafür zweimal sieben Minuten: Im ersten Part zeigen und erläutern sie einen Trailer, im zweiten stellen sie sich den Fragen der Jury.
Wettbewerb für Wahrheit und Sinnsuche
Schon zum zwölften Mal findet der ARD-Dokumentarfilmwettbewerb statt. Der etwas sperrige Begriff wurde inszwischen durch "TopDocs" ersetzt. Das erzählt Oliver Köhr gleich zu Beginn der Pitches im Leipziger Kino Cinestar. Zunächst aber nutzt Karola Wille in ihrer letzten öffentlichen Rede als Intendantin die Gelegenheit, noch einmal ein leidenschaftliches Plädoyer für das Genre abzugeben: "Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit, großer Umbrüche, des Wandels. Menschen suchen Orientierung, sind auf Sinnsuche."
Dokumentarische Produktionen sind im Sinn der Aufklärung immer Produktionen, die hinschauen, die Tiefenschärfe haben, die präzise sind, die auf der Suche nach der Wahrheit sind. Das macht sie so stark und deswegen sind sie wichtig für gesellschaftliche Gespräche, für Debatten. Und dafür brauchen wir auch diesen Wettbewerb.
Filme über den Zeitgeist
Im vergangenen Jahr gewann ein Projekt mit dem Titel "Final Destination" über transkontinentale Viehtransporte – vom Containerschiff zum Schlachthof. Im Jahr davor wurde "Luna und die Gerechtigkeit" prämiert. Dieser Film erzählt die Geschichte einer aus Syrien geflohenen Gefangenen, die in Deutschland den Prozess gegen die Folterer aus genau jenem Gefängnis verfolgt, in dem sie eingesperrt war.
Auch in diesem Jahr spiegeln die fünf Nominierten sehr gut den Zeitgeist, wie er unter Dokumentarfilmerinnen und Dokumentarfilmern mit ihrem Sensorium für relevante und emotionale Themen diskutiert wird.
So wundert es nicht, dass eines der ambitionierten Projekte sich mit dem Thema Migration befasst. In "Meine Heldinnen!" trifft die Moderatorin Najima El Moussaoui Frauen, die sie besonders inspirieren und die wie sie selbst noch immer durch Aussehen und Name als "fremd" gelesen werden. Sie alle haben ihre Heimat in Deutschland, gefunden und gestalten das Land auf je eigene Weise aktiv mit. Der Film will fragen, was von ihnen für das Einwanderungsland zu lernen ist.
Demokratie auf dem Prüfstand
Gleich zwei Filmprojekte beschäftigen sich mit der Gefährdung der Demokratie: Der Film "Der Autokraten-Code" erschafft in einer Experimentieranordnung mittels Künstlicher Intelligenz einen offen autokratischen Kandidaten für die Europawahl 2024. Würden die Deutschen ihn wählen – auch ohne demokratisches Feigenblatt in der Kommunikation?
Ganz ähnlich aber doch anders ist "Game over – Verspielen wir unsere Demokratie?" In einer Mischung von klassisch dokumentarischem Zugang und Game-Elementen soll dieses Filmprojekt vorführen, wie labil unsere Demokratie ist, wie leicht sie ins Kippen geraten kann und was wir dagegen tun können.
Recherchen zu Waffenhandel und Landwirtschaft
Auch das Projekt zu "Am Trigger – Deutschland, deine Waffen" widmet sich einem hoch brisanten Thema: dem Mythos Waffe. Dieser Film will tiefverwurzelte, strukturelle Missstände ans Licht bringen und ein umfassendes Bild von Deutschland als Waffenland zeichnen – angesichts steigender legaler und illegaler Bestände brandaktuell.
Der fünfte Nominierte "Wer zerstört die Welt?" verfolgt mit modernen Recherchemethoden die Geld- und Warenströme, die in Landwirtschaft und Fischerei für ein unglaubliches Maß an Zerstörung sorgen – allem "Greenwashing" zum Trotz.
Entscheidung mit Blick auf ein Superwahljahr
Zwei Stunden gibt sich die Jury Zeit, dann verkündet Oliver Köhr den Gewinner: "Das waren alle hochrelevante Geschichten, die es alle wert wären erzählt zu werden.Und nach langer Debatte hat sich die Jury entschieden dass der Gewinner in diesem Jahr heißt: 'Der Autokraten-Code'"
Was die Jury überzeugt habe, so Köhr, sei der innovative Ansatz des Filmprojektes gewesen, der mit Künstlicher Intelligenz experimentiere und zugleich eine der derzeit drängendsten Fragen für Deutschland und seine Demokratie aufgreife. Das Gewinnerduo nimmt freudestrahlend Gratulationen und den symbolischen Scheck entgegen.
In ihrem kurzen Statement verweist die Autorin Alexandra Hardorf anschließend auf ihre Herkunft: Sie habe als Kind mit ihrer Mutter das autokratisch regierte Argentinien verlassen müssen. Eine solche Prägung sitze tief. Sie wolle mit dem Film auch einen Beitrag dazu leisten, autokratischen Tendenzen in Deutschland entgegenzutreten. Produzent Christian Grauer-Mettin von der Produktionsfirma dokness verweist auf das Superwahljahr 2024 – dieser Film könne wie ein Lackmustest sein für die Frage: Soll unser Land demokratisch regiert werden oder autoritär?
Redaktionelle Bearbeitung: tsa
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 12. Oktober 2023 | 07:10 Uhr