Interview mit Suchtmediziner Mit drei Promille am Steuer: Immer mehr auffällige Pegel-Trinker in Sachsen
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12. August 2023, 12:47 Uhr
In Sachsen ist die Zahl von Alkoholunfällen mit Personenschaden 2022 deutlich gestiegen. Sie war so hoch wie in den vergangenen acht Jahren nicht mehr. Und auch in diesem Jahr scheint sich der Trend fortzusetzen. Immer häufiger sind Autofahrer offenbar auch mit hohen Alkohol-Pegeln im Straßenverkehr unterwegs. MDR SACHSEN hat mit dem Suchtmediziner Dr. Peter Grampp vom Klinikum St. Georg in Wermsdorf darüber gesprochen. Er spricht sich für eine Null-Promille-Grenze am Steuer aus.
Herr Dr. Grampp, es gab kürzlich mehrere Fälle in Sachsen mit Autofahrern, die drei oder mehr als vier Promille Alkohol im Blut hatten. Den Mann mit mehr als vier Promille konnte die Polizei noch rechtzeitig davon abhalten, sich ans Steuer zu setzen. Wie kann ein Mensch mit so viel Alkohol im Blut überhaupt noch Auto fahren?
Dr. Peter Grampp: Der normale Bürger, der Alkohol nicht gewohnt ist, kann mit den Promille-Mengen nicht mehr Auto fahren. Da kann man davon ausgehen, wenn sich jemand mit drei oder vier Promille noch ans Steuer setzen kann - sofern er überhaupt die Autotür findet - dass er Alkohol gewohnt ist. Das heißt, das ist jemand, der regelmäßig trinkt, auch regelmäßig viel trinkt.
Das liegt daran, dass sich das Gehirn langsam an die Alkoholmengen gewöhnt. Und diese Gewohnheit geht bei Pegel-Trinkern tatsächlich relativ hoch. Das "Beste", was ich erlebt habe, war jemand, der mit seinem Trabi mit fast fünf Promille ankam. Er hat dann nur darum gebeten, dass man bitte seinen Trabi einparkt.
Gehen wir von einem durchschnittlichen Mann aus – 1,80 Meter groß mit 80 Kilogramm. Wieviel müsste der trinken, um auf mehr als drei Promille zu kommen?
Also mit Bier schaffen sie das kaum. In der Regel sind dann noch harte Alkoholika dabei. Wenn man das über den Tag verteilt, dann reden wir schon von ungefähr zehn Liter Bier plus entsprechende andere Alkoholika.
Und eine Frau muss weniger trinken …
Ja, weil die Verstoffwechselung im Körper von Frauen etwas langsamer ist. Das hat was mit Fettverteilung zu tun und mit der Organgeschwindigkeit, wie die Enzyme arbeiten. Insofern sind Frauen tatsächlich etwas mehr gefährdet, an hohe Alkohol-Pegel zu kommen. Wenn jemand regelmäßig und viel trinkt, kann auch eine Frau große Mengen Alkohol zu sich nehmen, ohne schon schwere neurologische Ausfälle zu haben.
Wie sieht es mit der Schuldfähigkeit aus bei so hohen Promillewerten, wenn ein Betrunkener einen Unfall verursacht?
Wenn jemand mit über 2,5 Promille Alkohol im Blut einen Unfall verursacht, spricht das erstmal dafür, dass die Schuldfähigkeit nicht mehr ganz gegeben ist. Eine erhebliche Minderung tritt ein, wenn jemand über drei Promille hat. Das spricht dann dafür, dass man auch die Aufhebung der Schuldfähigkeit diskutiert.
Die zweite Wahrheit ist, das muss immer klinisch belegt sein. Weil die Empfindlichkeit für Alkohol bei - ich sage mal Kampftrinkern, die über Jahre unglaubliche Mengen zu sich nehmen - etwas nach oben korrigiert werden muss. Das heißt, da kann es auch mal passieren, dass jemand mit 3,5 Promille noch schuldfähig ist.
Dazu kommt: Wenn ich schon weiß, ich will trinken und fahre trotzdem Auto, kann das Gericht auch zu der Erkenntnis kommen. Du wusstest es schon vorher. Damit wird die Schuld vorweggenommen. Das heißt, du hast dich schuldhaft in den Alkoholrausch gebracht, wohlwissend, dass du dann das Auto benutzt.
Selbst Polizisten fallen als betrunkene Autofahrer in Sachsen auf. Kürzlich gab es zwei Fälle mit hohen Alkohol-Pegeln, darunter ein früherer Polizeipräsident. Wie erklären Sie sich das?
Da zeugt davon, dass es auch bei der Polizei menschelt. Das sind natürlich auch Berufe, bei denen der Lustcharakter manchmal an zweiter Stelle steht. Viele Menschen denken: Mit einer Karriere verbinden sich gleichzeitig Lustgefühle, weil die Arbeit schöner wird. Ich sage immer: Wer nach oben fällt, merkt, wenn er dort angekommen ist, dass die Luft sehr dünn wird. Und nicht jeder packt das. Alkohol wird dann häufig am Anfang zum Problemlöser. Und irgendwann wird es zum Problem.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Alkohol-Unfälle von Autofahrern im Straßenverkehr wieder gestiegen. Macht sich das bei Ihnen auch in der Klinik bemerkbar?
Im Moment merken wir, dass die Alkoholgrade, mit denen Patienten bei uns aufgenommen werden, deutlich nach oben gegangen sind. Wir haben jeden Abend zwei bis drei solche Fälle. Das heißt, die schweren Intoxikationen sehen wir gehäuft, was nicht unbedingt unsere Begeisterung auslöst. Die Mitarbeiter haben auch viel Stress mit solchen Patienten. Außerdem: Wenn jemand mit 3,2 Promille kommt, wissen wir, dass er schon länger trinkt.
Und dann gehen die Leute am nächsten Morgen unverrichteter Dinge und kommen vier Tage später mit dem gleichen Problem wieder. Das verursacht natürlich auch hohe Kosten, die letztendlich die Solidargemeinschaft bezahlt.
Wie werden solche Menschen behandelt? Können Sie ihnen überhaupt helfen?
Ja, das ist immer abhängig davon, ob jemand lang genug bei uns ist, also eine Entzugstherapie beginnt. Dann versuchen wir mit der ersten Minute, wo der Alkoholpegel nach unten geht, im Gespräch mit dem Patienten in die Richtung zu wirken, dass er für längere Zeit die Abstinenz sucht. Letztlich ist das Abstinenzmodell der Idealfall.
Dazu gehört aber, dass die Patienten die Akutbehandlung nicht einfach beenden und dann wieder in die Kneipe gehen, sondern dass sie eine Rehabilitationsbehandlung anschließen. Weil nur so sehen wir langfristig einen Effekt.
Sie haben es angesprochen, der exzessive Alkohol-Konsum verursacht enorme Kosten, Alkohol ist bei uns im Straßenverkehr aber immer noch in Maßen geduldet. Was halten Sie von einer Null-Promille-Grenze?
Ich denke, das würde das Ganze vereinfachen. Viele Leute pokern. Dann gehen sie zum Weinfest und sagen sich: Wenn ich ein, zwei Gläser Wein trinke, dann liege ich, berechnet mit einer Abbaurate von soundsoviel Promille pro Stunde, gerade noch unter der 0,5 Promille-Grenze. Das sind so Rechenspiele, die mögen statistisch stimmen, aber im Einzelfall müssen sie überhaupt nicht zutreffen.
Ich kenne genügend Leute, die mit 0,5 Promille nicht mehr in der Lage sind, ein Auto sicher zu fahren. Und insofern bin ich ein großer Verfechter für das Nicht-Trinken.
MDR (kbe)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 12. August 2023 | 12:00 Uhr