Schwieriges Erbe Künstler-Tochter verzweifelt: "Ich muss entscheiden, was vernichtet wird"
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25. August 2024, 07:00 Uhr
Künstler, Maler und Bildhauer begeistern mit ihrem Schaffen viele Kunstbegeisterte. Doch was passiert mit dem künstlerischen Erbe, wenn die Kunstschaffenden sterben? In Museen, Galerien und Depots ist nicht genug Platz für Hunderte Zeichnungen und Gemälde, die im Leben nur eines einzigen Künstlers zusammenkommen können. Weil sich Künstler oft zu spät um ihr Vermächtnis kümmern, bleibt die schwere Arbeit bei den Angehörigen hängen.
Ulrike Zille steigt eine schmale Treppe hinauf. Oben in einem ausgebauten Dachboden hängen Zeichnungen und Grafiken an Fachwerkstreben. "Das ist unsere Dachboden-Galerie Zille. Die ist im Jahr 2020 zur Coronazeit entstanden. Die Idee war, den Nachlass meines Vaters Rainer Zille sichtbar zu machen", erklärt die 47-Jährige.
Rainer Zille sei ein bekannter Dresdner Künstler gewesen, erzählt seine Tochter. Er starb vor 20 Jahren mit nur 60 Jahren. Eine Krebserkrankung habe ihn aus dem Leben gerissen, sagt Ulrike Zille: "Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass es doch so schnell geht." Es sei keine Zeit mehr geblieben, sich um seinen Nachlass kümmern zu können.
Künstler-Tochter: Es geht auch um Vernichtung
Vor 20 Jahren stand Ulrike Zille vor Dutzenden Gemälden und Hunderten Zeichnungen, die provisorisch in einer Scheune im thüringischen Heimatort des Vaters untergebracht waren. Die Ergotherapeutin rettete alle Kunstwerke und brachte sie nach Sachsen. Seitdem lagern Hunderte Objekte unter dem Dach ihres Bauernhauses in Lohmen bei Pirna. Ulrike Zille will versuchen, das Kunsterbe ihres Vaters in Depots und Museen unterzubringen.
Für mich steht eine unangenehme Sache an, da ich eine Auswahl treffen und entscheiden muss, was an Kunstwerken vernichtet wird.
Doch ihr ist bewusst, dass nicht Platz für jedes Kunstwerk sein wird: "Für mich steht eine unangenehme Sache an, da ich eine Auswahl treffen und entscheiden muss, was an Kunstwerken vernichtet wird. Schon der Gedanke daran, etwas zu vernichten, was das Leben meines Vaters war ..." Ulrike Zille stockt kurz und atmet tief ein. Dann sagt sie: "Allein der Gedanke daran, das machen zu müssen und die Verantwortung dafür zu tragen, ist nicht einfach."
Kunstdepots sind übervoll
Museen und Galerien müssten jetzt bereits mit ihrem Platz haushalten, verdeutlicht die Leiterin des Kunstfonds der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Silke Wagler. Der Kunstfonds hat sich die Bewahrung von Kunstgegenständen zur Aufgabe gemacht. Doch die Kapazitäten seien begrenzt, erklärt Wagler: "Depotflächen genügen oft schon nicht dem Bedarf und den Anforderungen existierender Sammlungsbestände." Es sei schon lange nicht mehr möglich, ganze oder umfängliche Nachlässe zu übernehmen. Im Idealfall könnten überhaupt nur einzelne Werke den Weg in die Sammlungen finden, sagt Wagler.
Der Schwerpunkt für Museen und Sammlungen besteht Wagler zufolge darin, ihre historisch gewachsenen Bestände zu bewahren, zu erschließen und zugänglich zu machen. "Bereits dafür sind die Kapazitäten knapp bemessen. Depot- und Ausstellungsflächen sind nicht beliebig erweiterbar", betont Wagler. Nicht jedes Kunstwerk lasse sich bewahren: "Das ist nicht von der Gesellschaft und öffentlichen Hand zu leisten. Nur ein winziger Teil künstlerischen Schaffens aus anderen Epochen ist uns überliefert."
Frühzeitig um künstlerischen Nachlass kümmern
Zum großen Problem werde es, wenn Künstlerinnen und Künstler sich zu spät um ihren Nachlass kümmerten, sagt die Geschäftsführerin des Landesverbands Bildende Kunst Sachsen, Lydia Hempel. Das passiere leider zu oft. "Wir empfehlen, dass die Künstler schon zu Lebzeiten überlegen, an welche Museen sie sich wenden. Es kann jedoch nur eine begrenzte Anzahl an Künstlernachlässen in Museen aufbewahrt werden", betont auch Hempel.
Ist der Nachlass nicht geregelt, können die Folgen für Kunstwerke fatal sein. Bei Haushaltsauflösungen von verstorbenen Künstlern seien Kunstwerke bereits unentdeckt in der Mülltonne gelandet. Hempel nennt das Beispiel einer Dresdner Künstlerin, die jüngst ins Altersheim umzog. Bei der Haushaltsauflösung ihrer Wohnung konnten Hempel zufolge im letzten Moment zumindest eine Auswahl von 50 Kunstwerken gerettet werden, die derzeit aber nur zwischengelagert sind.
Neues Kunstdepot keine Lösung
Ein neues Kunstdepot könne aber auch keine Lösung sein, meint Hempel: "Ein Depot, was wie eine Endlagerstätte für Künstlerarbeiten fungiert, mit den Werken aber keiner arbeitet und umgeht, das kann auch nicht unser Ziel und Wunsch sein." Ein Weg, Kunstwerke zumindest digital zu erhalten, ist die Werkdatenbank Bildende Kunst Sachsen. Dort können Kunstschaffende ihre Werke mit Foto, Größen und vielen anderen Angaben einpflegen.
Ein Depot, was wie eine Endlagerstätte für Künstlerarbeiten fungiert, mit den Werken aber keiner arbeitet und umgeht, das kann auch nicht unser Ziel und Wunsch sein.
Künstler-Witwe geht bei Galerien Klinken putzen
Viel Zeit und Fleiß hat es Brigitte Schönfelder gekostet, die 400 Werke ihres Mannes Fritz in der Werkdatenbank zu verzeichnen. Ihr Mann habe sich um seinen Nachlass nicht kümmern können, erzählt Schönfelder: "Er hatte Schwierigkeiten auf Leute zuzugehen. Mit dem Mundwerk voran war nicht seine Sache." Mit zunehmendem Alter habe sie ihn auch nicht drängen wollen: "Wenn jemand schon so krank ist, dann werde ich ihn nicht noch zusätzlich mit seinem Tod konfrontieren." Am Totenbett habe seine Frau Brigitte ihm noch das Versprechen abnehmen müssen, dass die Kunstwerke bewahrt werden.
Nachdem der Künstler im Jahr 2020 mit 76 Jahren starb, hat die Witwe bei Museen und Galerien Klinken geputzt. Einen Großteil der Kunstwerke konnte sie in Ausstellungen in Chemnitz und Annaberg-Buchholz unterbringen, erzählt Schönfelder. Doch auch sie habe Werke aussortieren müssen: "Es war schon sehr belastend, in sein Atelier zu gehen und zu wissen, dass er nicht dorthin zurückkommt." Brigitte Schönfelder atmet am Telefon tief durch: "Und diese Arbeiten zu sehen, zu überlegen, was und wie mache ich es in seinem Sinne. Mir war auch klar, dass es Werke geben wird, die geschreddert werden."
Mir war auch klar, dass es Werke geben wird, die geschreddert werden.
Ihr Vorteil: Weil sie bereits Bilder ihres Mannes in die Werkdatenbank eingepflegt hat, konnten Museen und Galerien schon einmal schauen, was für sie von Interesse wäre. "Ich konnte immer auf die Werkdatenbank verweisen und sagen 'Verschaffen Sie sich selbst einen Überblick. Ich biete Ihnen diese und jene Werke an.'" Selbst aktiv sei die einzige Lösung: "Ich habe andere Museen landesweit angeschrieben, immer wissend, dass sie nicht darauf warten, dieses Angebot annehmen zu müssen. Ich habe da nicht immer wieder Erfolg gehabt. Aber zumindest muss man selbst was tun."
Werksverzeichnis als erster Schritt
Eine Aufgabe, die der Künstlertochter von Rainer Zille noch bevorsteht. "Das ist so eine Aufgabe, mit den Museen zusammen zu arbeiten und etwas auszuwählen, das ich einen Teil des Hauptwerks meines Vaters in öffentliche Hand geben kann." Sie suche interessierte Kunststudierende. Zusammen mit ihnen will sie ein Werksverzeichnis für das Kunsterbe ihres Vaters erstellen.
MDR (phb)
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