Kulturhauptstadt 2025 Zwischen Moped und Biertisch: Chemnitz macht die Garage zum Kulturgut
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15. Januar 2025, 03:00 Uhr
Die Garage gilt vielen als Keimzelle für technische Innovation und mehr oder weniger gute Musik. In Chemnitz, der Europäischen Kulturhauptstadt 2025, wird die Garage in diesem Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen als Kulturgut gewürdigt – und mit ihr auch ihre Besitzer und Besitzerinnen. "3.000 Garagen" nennt sich eines der Hauptprojekte der Kulturhauptstadt. Dabei wird der Frage nachgegangen, was an diesen noch aus DDR-Zeiten stammenden Autostellplätzen so besonders ist.
- Mehrere Projekte im Rahmen des Kulturhauptstadt-Programms blicken auf die Rolle der Garagenhöfe in Chemnitz.
- Viele der Garagen sind Relikte der sozialistischen Vergangenheit, werden aber immer noch rege genutzt.
- Die Fotografin Maria Sturm war bei mehr als 170 Garagenbesitzern zu Gast.
Es ist nicht unbedingt üblich, dass Garagenbesitzer und auch -besitzerinnen Fremden die Türen zu ihren Schrauberparadisen öffnen. Denn oftmals werden hier Schätze gehortet, Garagengold, wie auch bei Dirk Schmerschneider: "Das ist ein Nachschalldämpfer und Zwischenrohr vom Trabant, kann man nie genug haben." Der Chemnitzer hat gleich mehrere Garagen und zumindest in eine davon gewährt er einen Blick.
Nahezu ausgefüllt wird sie von einem roten Peugeot Baujahr 1992. Um den Wagen organisiert sich ein geordnetes Chaos. "Also für einen Trabi ist es ideal, da können sie auch noch schön drumherum laufen und ein Moped daneben stellen. Aber viele Leute, die sich heute einen SUV zulegen, die haben ein Problem: Die können reinfahren, aber nicht mehr aussteigen."
Ein Relikt der DDR
Genormt reihen sich in diesem – wie auch in anderen Garagenhöfen – die Stellplätze aneinander. Um die 30.000 soll es in Chemnitz und Umgebung geben. Erbaut wurden die in kollektiven Wochenendeinsätzen ab den 1970er-Jahren von den Anwohnern selbst, die darin wiederum geschraubt und repariert haben. Eine Eigeninitiative, die damals zwingend notwendig war und die heute wieder gefragt ist.
Garagen sind allerdings weitaus mehr als nur ein Unterstellplatz für Autos und eine Werkstatt, wie Dirk Schmerschneider betont: "Diesen Kosmos Garage mal zu zeigen, ist doch ganz spannend." Denn die Garagen seien auch Orte der Gemeinschaft: "Es gibt wirklich noch viele, die echt schrauben und da immer schön mit einem Biertischchen davor sitzen und einem Kasten und klönen, reden Benzin, über die neuesten Projekte und helfen sich auch gegenseitig beim Schrauben und dann fährt man mal eine Runde zusammen."
Mikrokosmos Ost-Garage
Mit dem Projekt "3.000 Garagen" der Kulturhauptstadt wird dieses verborgene Universum jetzt ins Rampenlicht gerückt als ein Ort, an dem sich das Makertum, das Machertum, manifestiert hat – das ja ein zentraler Leitgedanke von Chemnitz 2025 ist.
Aber die Garage ist auch ein Ort, wo sich Menschen treffen und ins Gespräch kommen. So zumindest hat es die Fotografin Maria Sturm erlebt: "Die Garagen in Chemnitz – ich komme ja aus Rumänien und das kenne ich auch noch so aus Osteuropa, Südosteuropa – haben mich schon gereizt, weil sich da ein Potential befindet, eine interessante Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichem Raum."
Mehr Vielfalt als erwartet
Im vergangenen Jahr war die Künstlerin auf Dutzenden Garagenhöfen in Chemnitz zu Gast und hat dort mehr als 170 Besitzerinnen und Besitzer porträtiert. Und nicht nur das: Sie sei durch deren Erzählungen eingetaucht in ihre Leben. Es seien die unterschiedlichsten Männer und Frauen gewesen, die Maria Sturm dabei getroffen hat – eine große Vielfalt im vermeintlich monoton wirkenden Garagen-Kosmos.
Müsste die Künstlerin dennoch einen Typus Garagenbesitzer beschreiben, dann wohl so: "Also Menschen, die pragmatisch sind, die Dinge einfach machen und in dem Gefühl vielleicht Leute, die sich in diesem Mikrokosmos miteinander austauschen und gegenseitig helfen", so schildert Sturm ihre Eindrücke und setzt fort: "Und das spiegelt auch mein Gefühl von Chemnitz allgemein wider, so ein Gefühl von 'Ja, wir schaffen das!'."
Kulturhauptstadt wirft Blick hinter das Garagentor
Die Ausstellung mit ihren Porträtaufnahmen wird während des Kulturhauptstadtjahres gezeigt. Doch es ist nicht das einzige Kunstprojekt, das bereits gemeinsam mit den Garagenbesitzern entstanden ist. Für eine Installation von Martin Maleschka im Museum für sächsische Fahrzeuge haben sie beispielsweise Fundstücke aus ihren Garagen beigesteuert. Diese Arbeit mit den scheinbar banalen Objekten in neongelben Regalen nennt sich daher auch "Ersatzteillager".
"Zum Beispiel all diese Flüssigkeiten fürs Auto, die sind alle in Karl-Marx-Stadt hergestellt", erklärt Agnieszka Kubicka-Dzieduszycka, die Kuratorin des Projekts "3.000 Garagen". Sie hofft, die Gäste der Kulturhauptstadt für das Phänomen Ost-Garage zu begeistern. Schließlich solle man "diese Räume, die in Chemnitz überall sind, wieder ein bisschen als Begegnungsorte betrachten, wenn auch diese Identitätsstiftende Bedeutung, mehr vergegenwärtigt wird", erklärt die Kuratorin. Die "Zukunftsszenarien rund um die Frage, wie können diese Räume umgenutzt werden", hält Kubicka-Dzieduszycka für besonders interessant.
Garage: Raum für Kreativität?
Dieses künftige Potential dieser Kreativräume auszuloten, wird 2025 mitunter das Thema von Workshops mit internationalen Künstlerinnen, Architekten und Designerinnen sein. Aber es soll auch in den Garagenhöfen gefeiert werden – mit Konzerten, Kino und Grillabenden, bei denen sich Chemnitzerinnen und Chemnitzer gemeinsam mit den Gästen der Kulturhauptstadt treffen und austauschen können.
Informationen zu den Ausstellungen:
Ausstellung "Mitgliederversammlung"
Ab dem 16. Januar in den Schaufenstern von 50 Geschäften in der Chemnitzer Innenstadt
Ausstellung "Ersatzteillager"
Bis 29. November 2025
Museum für sächsische Fahrzeuge
Zwickauer Str. 77
09112 Chemnitz
Mehr Informationen finden Sie auf der Website des Museums für sächsische Fahrzeuge.
Redaktionelle Bearbeitung: tis
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. Januar 2025 | 08:10 Uhr