Interview mit Finanzexpertin "Schuldenbremse schafft Handlungsspielräume in der Krise"
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05. Dezember 2023, 00:17 Uhr
Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Planungen der Bundesregierung über den Haufen geworfen. Auf einmal fehlen Milliarden Euro - auch für Projekte in Ostdeutschland. Erste Stimmen werden laut, die Schuldenbremse zu reformieren oder ganz abzuschaffen. Wie sinnvoll das wäre und welche anderen Wege es gibt - darüber hat MDR SACHSEN mit der Finanzwissenschaftlerin Prof. Silke Übelmesser von der Uni Jena gesprochen. Sie ist am Montag zu Gast bei "Fakt ist!" im MDR FERNSEHEN.
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Frau Prof. Übelmesser, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen der Bundesregierung 60 Milliarden Euro. Während die Union beim Bürgergeld sparen will, wollen andere an Vergünstigungen für Besserverdienende wie die Dienstwagenpauschale ran. Welchen Weg halten Sie für den richtigen?
Beim Bürgergeld ist es so, dass es bestimmte verfassungsrechtliche Vorgaben gibt. Es muss so ausgestaltet sein, dass der Grundbedarf gedeckt ist. Da kann man nicht beliebig nach unten gehen. Gleichzeitig müssen die Arbeitsanreize erhalten bleiben.
Bei den Subventionen wie der Dienstwagenpauschale ist es wiederum schwierig, die von heute auf morgen abzubauen. Das würde zu erheblichen Widerständen führen. Andererseits machen Subventionen für klimaschädliches Verhalten gar keinen Sinn mehr. Von daher könnte man eine Zielvorgabe machen und sagen, dass man diese Pauschale oder auch die Dieselbegünstigungen in den nächsten fünf Jahren streichen oder zurückfahren möchte.
Sie würden also erst die Subventionen abbauen, bevor es an die Sozialausgaben geht?
Grundsätzlich ist es schon gut, wenn man alles im Blick hat. Gerade beim Bürgergeld ist das Problem doch vielmehr, dass die Abstimmung mit anderen sozialen Sicherungen nicht klappt. Wenn man auf der einen Seite Geld verdient, verliert man es auf der anderen Seite wieder - obwohl man sehr viel mehr oder überhaupt arbeitet. Das ist alles zu kompliziert.
Von der Gerichtsentscheidung sind auch die geplanten Chipfabriken in Dresden und Magdeburg betroffen. Auch da geht es um Subventionen, ohne die die Fabriken wohl nicht entstehen würden. Wie bewerten Sie diese Ausgaben?
Rein wirtschaftlich würde man fragen: Brauchen wir die Chipfabriken wirklich in Deutschland? Reicht es nicht, wenn wir uns bei den Lieferantenländern breiter aufstellen, damit nicht mehr 80 Prozent der Chips oder mehr aus Taiwan kommen? Wenn es hingegen strategische, geopolitische Überlegungen sind, die hinter der Ansiedlung stehen, dann können die durchaus gerechtfertigt sein. Grundsätzlich muss man sich aber überlegen, ob Subventionen immer der passende Weg sind oder ob es nicht auch ganz andere Ansätze gibt, den Standort Deutschland attraktiv zu machen.
Was könnte man da machen?
Ich habe erst kürzlich über eine Umfrage der US-Handelskammer in Deutschland gelesen. Dort waren die Hauptkritikpunkte unter anderem die langen und komplizierten Planungs- und Genehmigungsverfahren, die enorme Bürokratie und die unklaren Zuständigkeiten bei den Behörden. Auch der unzureichende Digitalisierungsgrad wurde kritisiert. Wenn man an diesen Stellschrauben drehen würde, wäre Deutschland schon um einiges attraktiver - ganz ohne Subventionen.
Sie sind Mitglied im unabhängigen Beirat des Stabilitätsrates. Haben Sie dort nicht bemerkt, dass die Haushaltsplanung des Bundes auf tönernen Füßen steht?
Tatsächlich haben wir in den vergangenen Jahren mehrfach die Dinge moniert, die jetzt auch bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle gespielt haben. Als Beirat des Stabilitätsrats haben wir aber keine Sanktionsmöglichkeiten.
Wie sinnvoll ist die Schuldenbremse überhaupt noch?
Die Schuldenbremse ist meiner Ansicht nach sinnvoll, weil sie eine übermäßige Verschuldung verhindert. Sie schafft mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern und den Kapitalmärkten. Vor allem ermöglicht sie Handlungsspielräume. Diese haben wir ja während der jüngsten Krisen genutzt. Und es werden sicherlich wieder Krisen kommen, die wir noch gar nicht vorhersehen. Darüber hinaus ist es eine Frage der Generationengerechtigkeit, weil wir auch zukünftigen Generationen noch Spielräume lassen wollen.
Aber sollte man nicht gerade in der Rezession investieren?
Der Punkt ist der: Die Probleme, um die es hauptsächlich geht - Klimawandel, Dekarbonisierung, demografischer Wandel - sind keine konjunkturellen Probleme, sondern strukturelle. Und da lautet die Lehre: Daueraufgaben muss man auch dauerhaft finanzieren und zwar möglichst über den Kernhaushalt und nicht mit Sondervermögen.
Zur Wahrheit gehört aber ebenfalls, dass der Bundeshaushalt immer noch sehr groß ist. Verglichen mit der Vor-Corona-Zeit ist er sogar größer geworden. Wenn wir jetzt sparen, heißt das nur, dass wir ein kleines bisschen weniger zusätzlich ausgeben. Daher sollte man die aktuelle Situation auch nicht überdramatisieren. Das Schlimmste wäre, wenn jetzt Unsicherheit bei Konsumenten und Firmen um sich greifen würde.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 04. Dezember 2023 | 22:10 Uhr