Interview Expertin: Rasante Bodenversiegelung verschärft Wassermangel in Sachsen
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26. Juni 2023, 05:00 Uhr
Sinkende Grundwasserstände sind in Mitteldeutschland seit Jahren ein Problem. Steigen die Temperaturen im Sommer, heißt es schnell: Wasser sparen. In einigen Regionen kommt es regelmäßig zu Wasserentnahmeverboten. Gleichzeitig kann die Industrie weiter aus dem Vollen schöpfen. Was läuft da schief und welche Strategien gibt es gegen den Wassermangel? Darüber haben wir mit der früheren Grünen-Politikerin und heutigen Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden, Gunda Röstel, gesprochen. Die Wasserknappheit ist auch Thema bei "Fakt ist!" am Montagabend im MDR Fernsehen.
Frau Röstel, es gibt verschiedene Ideen, wie man besser mit dem vorhandenen Wasser umgehen könnte. Etwa Brauchwasser statt Trinkwasser für die Toilettenspülung zu verwenden. Was halten Sie von solchen Ansätzen?
Gunda Röstel: Zunächst möchte ich anmerken, dass Deutschland noch immer über ausreichende Niederschlagsmengen in Summe verfügt. Obwohl der Klimawandel auch bei uns mehr und mehr zu spüren ist, ist die Regenmenge laut Umweltbundesamt nicht weniger geworden.
Allerdings gibt es jahreszeitliche wie regionale Verschiebungen. In Ost- und Mitteldeutschland sind die Niederschläge zurückgegangen und an der Nordseeküste, im Harz oder im nordwestlichen Niederbayern sind sie nach oben gegangen. Hinzu kommt, dass länger anhaltende Trockenzeiten und umgekehrt Stark- und Extremniederschläge deutlich zugenommen haben. Von daher gibt es nicht ein Rezept, das für alle passt.
Zum Umstieg auf die Brauchwassernutzung müsste das Bestandsnetz umgebaut werden, darunter vor allem die Haustechnologie in den Häusern bis hin zum Badezimmer. Das kostet! Wir haben allein in Dresden ein Leitungsnetz von 1.900 Kilometern, eine große Kläranlage und zwei Ortskläranlagen. Ein solcher Umbau ist kurzfristig kaum zu stemmen und ehrlicherweise auch nicht Priorität Nummer eins.
Anders sieht es bei Neubauten und Neuerschließungen aus: Hier könnten wir auf diese Grauwassernutzung in den Wohnungen und Gebäuden von vornherein standardmäßig umstellen, sodass eben das Waschmaschinen- oder das Duschwasser noch die Toilette spült.
Wenn der Netzumbau teuer und nicht die erste Priorität ist, wo würden Sie stattdessen ansetzen?
Bei unserem "Hunger" auf Flächenversiegelung. Wenn Flächen versiegelt sind, können Niederschläge nicht versickern und der Grundwasserspiegel sinkt. Wir nutzen und versiegeln Böden, als gäbe es kein Morgen. Deutschlandweit werden täglich 55 Hektar neu in Anspruch genommen. Zielstellung aus der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sind maximal 30 Hektar. In Sachsen beträgt die tägliche Neuinanspruchnahme 6,3 Hektar, also ungefähr viereinhalb Fußballfelder. Zielstellung sind seit 2002 maximal zwei Hektar pro Tag. Das ist auch deshalb so kritisch, weil in Deutschland 63 Prozent des Trinkwassers aus dem Grundwasser kommen.
Wir müssen daher dringend die Nutzung unserer Böden ändern, insbesondere in urbanen Zentren. International wird seit Jahren unter dem Begriff "Sponge Cities" an dieser Herausforderung gearbeitet, inzwischen ist dies als Schwammstadt-Konzept auch in den urbanen Zentren unseres Landes angekommen.
Im Kern geht es darum, dass Städte sowohl stärkere Niederschläge als auch längere Trockenzeiten gut managen können. Das ist beispielsweise möglich, indem weniger versiegelt wird und viele offene Flächen auch als Grünflächen geschaffen werden, damit Regen versickern und gehalten werden kann. Außerdem müssen Fassaden und Dächer begrünt und Bäume gepflanzt werden. All das spendet bei Hitzewellen nicht nur Schatten, sondern mit der daraus resultierenden Luftbefeuchtung auch Kühlung.
Die Industrie verbraucht ebenfalls viel Trinkwasser. Müssen wir in Zukunft auf Wirtschaftswachstum verzichten, damit es genügend Trinkwasser gibt?
Nein! Natürlich hat das Trinkwasser für die Menschen immer den Vorrang, aber die meisten Industrieunternehmen gehen schon aus Kostengründen sehr effizient mit dem Wasser um. Dazu gehört beispielsweise die Chipindustrie, aber auch die Chemieindustrie und die Automobilbranche. Diese Sektoren fahren heute bereits, wo immer möglich, das Wasser in Kreisläufen. Und danach ist das Wasser ja nicht einfach weg. Das heißt, wenn Prozesswasser genutzt wurde, landet es zum Schluss bei uns in Dresden bei der Stadtentwässerung und wir geben es der Elbe in einem aufbereiteten Zustand zurück.
Worüber muss man mit Blick auf die Industrie stattdessen reden?
In Deutschland geht es neben dem Effizienzgebot im Grunde genommen um die Frage, ob jeder Standort für Großentnahmen von Wasser gut geeignet ist. Da muss man auch als Unternehmer überlegen, ob es sinnvoll ist, in einer Region zu investieren, die in den nächsten 20 Jahren besonders von Niederschlagsrückgängen betroffen sein wird.
Denken Sie nicht, dass der Punkt kommt, wo man sagt, entweder die Verbraucher oder die Industrie?
Ich glaube, dass wir deutschlandweit diese Frage der Nutzungskonkurrenz wirklich real diskutieren müssen. Das haben wir im nationalen Wasserdialog noch unter der Vorgängerregierung begonnen und jetzt mit Steffi Lemke, der heutigen Umweltministerin, auch als Strategie verabschiedet. Und da darf das Motto nicht lauten: Den Letzten beißen die Hunde. Stattdessen gilt: Trinkwasser first.
Um Nutzungskonkurrenz vorzubeugen, brauchen wir ein bundesweites Datenmanagement zur Entwicklung der Niederschläge - also lokal, regional und bundesweit - und zur Entwicklung der Grund- und Oberflächengewässer, um Engpässe rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls mit dem Bau von Wasserfernleitungen gegensteuern zu können. Diese Datenbasis sollte dann auch bei Standortentscheidungen eine Rolle spielen. Das betrifft im Übrigen nicht nur wasserintensive Industrien, sondern auch landwirtschaftliche Unternehmen.
Gibt es beim Wassersparen noch blinde Flecken, die wir nicht kennen?
Ja, die gibt es. Wir Deutschen sind im direkten Wassermanagement auch durch die gute Arbeit der über 10.000 Betreiberunternehmen trink- wie abwasserseitig bestens aufgestellt. Im Durchschnitt verbrauchen wir 125 Liter pro Mensch und Tag. In Dresden liegen wir mit 96 Litern sogar deutlich darunter. Im Weltmaßstab der Industrieländer ist das ziemlich effizient.
Problematisch ist unser virtueller Fußabdruck. Der entsteht über unsere Art und Weise, viel zu konsumieren und Dinge nicht allzu lange zu nutzen und dann wegzuwerfen. Das betrifft zum Beispiel Kleidung oder unseren nach wie vor zu hohen Fleischverzehr. Für unseren Konsum verbrauchen wir im Schnitt 7.200 Liter Wasser pro Mensch und Tag und belasten dabei mit Importprodukten nicht selten ärmere, darunter wasserarme Länder.
Nur 14 Prozent dieses virtuellen Wasserbedarfes decken wir selbst. Der größte Teil wird über Produkte direkt oder indirekt importiert, mit einem Kilo Rindfleisch beispielsweise circa 15.500 Liter Wasser. Wenn wir unsere eigenen Herausforderungen eines nachhaltigen Wassermanagements gelöst haben, ist die Geschichte eines nachhaltigen Umgangs mit Wasser für uns Deutsche deshalb noch lange nicht zu Ende.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 26. Juni 2023 | 22:10 Uhr