Interview Schulleiter St. Afra: In der Schule ist Liebe zum Menschen wichtig
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13. Januar 2023, 11:19 Uhr
Am Sankt Afra-Landesgymnasium in Meißen lernen Hoch- und Mehrfachbegabte. Begabungen sollten jedoch besonders bei leistungsschwächeren Schülern gefördert werden, fordert Schulleiter Stefan Weih im Gespräch mit MDR SACHSEN. Schülerinnen und Schüler sollte viel mehr Zeit gewidmet und sie als Menschen stärker persönlich in den Blick genommen werden.
Herr Weih, ab wann ist man hochbegabt?
Hochbegabung ist relativ willkürlich definiert. Man spricht von Hochbegabung, wenn nur zwei Prozent der Alterskohorte einen höheren IQ aufweisen, als man selbst.
Wenn man bei Ihnen an der Schule landen will, muss man also einfach einen IQ-Test machen?
Unter anderem. Wir haben ein Verfahren, bei dem die Bewerberinnen und Bewerber diverse Tests und Projekte durchlaufen, dazu gehört auch der Begabungstest. Hier achten wir auch auf die Tagesform, wenn also ein, zwei, drei Prozentpunkte fehlen, ist es nicht so dramatisch.
Was können denn Hinweise für eine Hochbegabung sein?
Letztlich ist Hochbegabung ohne einen richtigen Test nicht nachweisbar, doch natürlich gibt es Hinweise. Wenn ein Kind unglaublich schnell liest, es in der Schule gern mehr und schnellere Aufgaben möchte und es Interesse in sehr vielen Bereichen hat, können das Hinweise auf eine Hochbegabung sein.
Doch auch Schwierigkeiten können auf eine Hochbegabung hinweisen. Oft sind Jugendliche hochbegabt, die mit ihrem Selbstkonzept größere Schwierigkeiten haben, weil sie merken: "Oh' Gott! Ich bin anders." Wenn Kinder dies bemerken, aber nicht wissen warum das so ist, führt das eben zu Konflikten im Selbstkonzept. Das äußert sich auch im Schulversagen und in Schulangst. Hier muss man ein bisschen achtgeben. Es gibt auch häufig die Meinung, wenn das Kind in der Schule schwach ist, mache ich einen Hochbegabungstest. Das ist nicht so einfach.
Bei Ihnen am Landesgymnasium St. Afra lernen Hoch- und Mehrfachbegabte. Wie unterscheiden Sie sich von einem normalen Gymnasium?
Abgesehen von der Hochbegabung geht es bei uns um diese Nahtsituation 'Gemeinsam Leben und Lernen' - das gehört bei uns zusammen. Die Schüler reden in der Schule über Privates, aber auch über Schulisches. Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind teilweise auch nachmittags und die Mentoren abends da. So sind auch um diese Zeit ein Dialog und ein Kontakt möglich. Wir haben also Zeit, Dinge gemeinsam zu tun.
Auf der anderen Seite merken wir, dass das Interesse unserer Schülerinnen und Schüler deutlich ausgeprägter ist, als man es häufig normal kennt. Sie bringen wirklich multiple - also vielseitige - Interessen mit und auch Lust, die Dinge auszuprobieren. Sie stellen Fragen, auf die man als Lehrer oft selbst gar nicht kommt.
Muss man als Lehrer oder Lehrerin bei Ihnen auch hochbegabt sein?
Nein. Man muss nur offen sein dafür und eine gute Fachkompetenz mitbringen. Vor allem aber ist eine Liebe zum Menschen wichtig. Man muss bereit sein, sich auf Menschen einzulassen. Was für alle Schülerinnen und Schüler gilt, gilt für Hochbegabte in einem ganz besonderen Maße: Dass über Beziehungen ganz viel geht. Weil ich diese Lehrperson authentisch finde, bin ich auch bereit, mich richtig reinzuhängen. Deswegen haben wir ein breites Mentoring-Programm. Alle Schülerinnen und Schüler können sich einen Gymnasial-Mentor wählen, der als Lernbegleiter fungiert. Darüber hinaus haben sie einen Internatsmentor, der sie im Internat begleitet. Das alles führt dazu, dass Lehrende und Lernende ein sehr gutes Miteinander pflegen.
Das ist Luxus, was Sie haben!
Das ist Luxus, das ist richtig. Doch es wäre schön, wenn dies auch an allen anderen Schulen möglich ist. Das Wichtigste im Bildungssystem ist es meiner Meinung nach, Begabungen zu fördern – und da geht es nicht nur um Hochbegabungen. Im Gegenteil: Gerade bei den Kindern, die normal oder unterdurchschnittlich begabt sind, geht es darum herauszufinden, was sie gut können und wo ihre Stärken liegen, die sie später im Leben einsetzen können. Dazu haben wir an den Regelschulen viel zu wenig Zeit. Wir als Sankt Afra sind hier gern bereit, Impulse und Hinweise zu geben, wohin sich das Schulsystem allgemein verändern sollte. Wir müssen dringend etwas tun, dass der Blick auf einzelne Schüler in den Mittelpunkt gerät. Das fehlt zurzeit an allen Schulen an allen Ecken und Enden.
Sie haben auch Personalprobleme?
Nein. Wir haben zum Glück noch keine Probleme. Doch die Zeitstruktur, die von außen vorgegeben wird, systemisch, ist so gestrickt, dass die Lehrpersonen an den Regelschulen kaum Zeit haben, sich so richtig um die eigentlichen Probleme der Schülerinnen und Schüler zu kümmern.
Es wird auch viel zum Wandel der Schule diskutiert. Haben Sie noch Frontalunterricht?
Ja, das gibt es auch – und ist auch per se nicht falsch. Es gibt viele Dinge, die man frontal gut unterrichten kann. Das Wichtige ist eben Abwechslung. Schülerinnen und Schüler brauchen einen hohen Zeitanteil, in dem sie eigenständig arbeiten können. Ich glaube, der zu vermittelnde Inhalt bestimmt im Grunde auch die Methode.
Handy und Tablets – welche Rolle spielen die bei Ihnen im Tagesgeschäft?
Die Schüler können auf schulische I-Pads zugreifen und ab Klasse 8 heißt es 'bring your own device' (private Endgeräte werden in Netzwerke der Schulen integriert). Im Internat darf in der Klasse 7, unserer Einstiegsklasse, kein internetfähiges Endgerät stehen. Damit möchten wir gewährleisten, dass die Schüler miteinander gut kommunizieren können.
Das heißt, im Internat gibt es bei Ihnen also keine Handys?
Ab Klasse 8 ja, nur in der 7. Klasse nicht. Die alten Handys von früher können sie mitnehmen, um zu Hause anzurufen. Doch andernfalls dürfen sie in der 7. Klasse wohlgemerkt – ab der 8. Klasse ist es möglich – kein internetfähiges Mobiltelefon bei sich haben. Wir wollen, dass die Leute miteinander reden und nicht die ganze Zeit auf ihr Bildschirm starren. In der Schule ist es ganz klar, da arbeiten wir modern, da sollen sie ihre I-Pads nutzen.
Arbeiten Sie digital, weil man das heute so macht oder weil nachweislich die Schüler besser lernen?
Es ist die Arbeitsweise von heute und sie wird es auch in Zukunft bleiben. Deswegen wäre es vollkommener Quatsch, wenn man sagt, wir verbannen die Geräte aus den Schulen. Das gilt für alle Schularten. Zum Glück haben wir jetzt in allen Räumen Smartboards, die wirklich gut funktionieren. Sie lassen zu, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Mitschriften gleich direkt im Laptop machen, das ist kein Problem. Es sind einfach die Geräte, die auch in Zukunft gebraucht werden.
Bei Ihnen gibt es also keine Kreide mehr und keine Tafeln?
Kreide gibt es noch, aber sie wird kaum genutzt.
Wie viel wird denn bei Ihnen noch auswendig gelernt?
Das ist eine gute Frage, ich würde sagen, dass es im Hintergrund steht. Es ist keine Pflicht, etwas auswendig zu lernen. Ich glaube, dass es manche trotzdem ganz gerne tun. Es steht jedoch nicht so im Mittelpunkt, wie wir es früher gewohnt waren.
Es geht darum, Wissen zu beurteilen und Fake News von richtigem Wissen zu unterscheiden. Das ist eine Fähigkeit, die wir an den Schulen ganz dringend beibringen müssen – und zwar an allen Schularten.
Was halten Sie von dem Satz, 'Nur was Du im Kopf hast, kann Dir keiner nehmen'?
Das stimmt absolut und ist heute wichtiger denn je, denn wir wissen, dass scheinbares Wissen überall verfügbar ist – auf Wikipedia und sonstwo. Es kann in der Schule heute nicht darum gehen, dass man sich ein scheinbar vollständiges Wissen erarbeitet. Es geht darum, Wissen zu beurteilen und Fake News von richtigem Wissen zu unterscheiden. Das ist eine Fähigkeit, die wir an den Schulen ganz dringend beibringen müssen – und zwar an allen Schularten. Was ich dergestalt im Kopf habe, kann mir wirklich keiner mehr nehmen. Vor allem kann mir keiner mehr die Fähigkeit nehmen, dass ich Fake News und Manipulationen erkennen kann und imstande bin herauszufinden, was wissenschaftlich wirklich gilt und zählt und seriös ist.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 10. Januar 2023 | 20:00 Uhr
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