Blick hinter eine Zahl Hoher Männer-Überschuss? In Glaubitz sieht der Alltag anders aus

03. Dezember 2023, 09:00 Uhr

Laut Bevölkerungsprognose für Sachsen soll in der kleinen Gemeinde Gemeinde Glaubitz im Landkreis Meißen der Männer-Überschuss so hoch sein, wie sonst nirgendwo im Freistaat. Doch die Statistik hat einen Haken.

Um Politik zu planen, muss Sachsen die Bevölkerungsentwicklung abschätzen. Nun liegt die 8. Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung vor. Darin zeigt sich, dass die Sachsen immer älter werden (Durchschnittsalter derzeit: 46,9 Jahre), weniger Kinder bekommen (1,5 pro Frau) und viele Land-Gemeinden schrumpfen. Das Geschlechterverhältnis war 2021 in Sachsen so verteilt: 49,3 Prozent Männer und 50,7 Prozent Frauen. Bis 2040 soll das auch ähnlich bleiben. Laut Statistik gibt es aber drei Orte, in denen der Männerüberschuss besonders hoch ist:

  • 1.: in Glaubitz stehen 2021 laut Statistik 100 Frauen genau 132,8 Männer gegenüber.
  • 2.: in Großschweidnitz lag das Frauen-Männer-Verhältnis bei 100 zu 115,5.
  • 3.: in Ralbitz-Rosenthal war es bei 100 zu 114,4.

MDR SACHSEN fragte dazu den Glaubitzer Bürgermeister Lutz Thiemig (parteilos), der auf die Männer-Überschuss-Statistik nicht gut zu sprechen ist. "Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst erstelle", sagt der Kommunalpolitiker. Dass er so reagiert, kann der ev.-luth. Pfarrer Martin Scheiter nachvollziehen.

Denn der Männer-Überschuss war bereits 2017 der Aufreger im Ort, als die "Süddeutsche Zeitung" titelte, dem Dorf würden die Frauen weglaufen und eine Reporterin ein - aus Sicht vieler Einheimischer bewusst trübes - Bild mit zehn Jahre alten Fotos aus Mecklenburg-Vorpommern über das Dorf im Kreis Meißen zeichnete. Eine Debatte über westliche Vorurteile entspann sich daraufhin in der "Sächsischen Zeitung" und zog Kreise.

Kritik: Gefängnis-Insassen verzerren Statistik

"Der Punkt ist die Statistik zum Männer-Überschuss. Die wird durch die JVA Zeithain verzerrt", erklärt der Pfarrer. Das Gefängnis auf Glaubitzer Flur zähle in die Statistik rein. "Ich habe mich nach Zahlen erkundigt. Alle Wohnungslosen im Gefängnis werden automatisch zu Glaubitz gezählt. Alle, die länger als ein Jahr einsitzen, auch." Aktuell sei das Gefängnis mit 300 Insassen belegt. "Davon ist gut die Hälfte in Glaubitz gemeldet." Und: "Wenn man bedenkt, dass bei 2.050 Einwohnern auch 150 JVA-Insassen gezählt werden, verzerrt das doch das Bild erheblich", kritisiert der Theologe.

Er bezieht sich vor allem auf die Altersgruppe der 20 bis 40 Jahre alten Männer. Deren Anteil ist in Glaubitz laut Sozialbericht Sachsen/Gemeindedatenblatt mehr als dreimal höher als der Durchschnitt im Kreis Meißen und in ganz Sachsen.

Nachfrage beim Statistischen Landesamt in Kamenz: Kann das wirklich sein? Kurz gesagt: Ja. Und ausführlicher: In die Modelle zur Vorausberechnung der Bevölkerung fließen Zahlen zu Geburten und Todesfällen und das Wanderungsverhalten ein. "Wir möchten darauf verweisen, dass auch die Insassen der Justizvollzugsanstalten zum Großteil der Gemeinde, in der sich die Justizvollzugsanstalt befindet, zugerechnet werden. Würde man nun modellhaft versuchen, diese Gruppe aus der Bevölkerung auszuklammern, würde die Gemeinde stark an Einwohnern verlieren", heißt es dazu aus Kamenz.

Unklar, wie viele Häftlinge den Männer-Überschuss beeinflussen

Wie viele Inhaftierte genau das Männer-Frauen-Verhältnis für Glaubitz mitbestimmen und verändern, ist unklar, weil die Menschen nicht nach ihren Wanderungsgründen getrennt erfasst wurden, erklären die Statistiker vom Landesamt. "Somit können wir auch keine Aussagen dazu treffen, wie viele Insassen der Justizvollzugsanstalt Glaubitz in die 8. Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung mit einflossen."

Warum die JVA-Insassen nicht kenntlich gemacht werden, bleibt ebenfalls rätselhaft. "Wir können auch Ihren Einwand nachvollziehen, Gemeinden mit Besonderheiten kenntlich zu machen. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil eine eindeutige Abgrenzung möglicher Besonderheiten schwierig ist."

Widerspruch: Alltag wird lebendig erlebt

Das findet auch Pfarrer Scheiter schwierig. Denn, dass mehr als 130 Männer je 100 Frauen in Glaubitz leben sollen und das Verhältnis auch künftig so unausgewogen bleiben soll, erlebt er im Dorf und in seiner Kirchgemeinde nicht. Auch bei Nachfragen in der Altenpflege und im Seniorenheim heißt es, es würden mehr Frauen betreut.

Man merkt das nicht im Alltag. Das Leben in Glaubitz sieht anders und lebendiger aus.

Martin Scheiter ev.-luth. Pfarrer und Theologe

"Man merkt das nicht im Alltag. Das Leben in Glaubitz sieht anders und lebendiger aus", meint der evangelische Geistliche und zählt auf: "Familien ziehen aus Dresden her, Bauplätze sind heiß begehrt, Häuser zum Verkauf nach wenigen Wochen weg." In Nünchritz und Riesa gebe es attraktive Arbeitgeber. Das Martinsfest am 11. November hätten in der Kirche 150 Erwachsene und Kinder mitgefeiert, draußen hätten noch einmal rund 200 Leute gewartet. Klar, gebe es auch vereinzelt Männer, die niemanden abbekämen. "Aber die gibt es in jedem Dorf. Mir ist um die Zukunft von Glaubitz nicht bange", sagt Pfarrer Scheiter.

Zuversichtlich ist auch Bürgermeister Lutz Thiemig beim Gedanken an die Zukunft der Gemeinde. Die beiden Baugebiete mit rund 60 Grundstücken in Glaubitz seien voll, ein drittes mit 35 Bauplätzen in Planung. Die Nachfrage sei viel höher. "Wir haben ein großes Industriegebiet und das Wacker-Werk zieht ebenfalls." Der Kindergarten mit 137 Plätzen sei gerade erweitert worden. "Das ist die Entwicklung und die Wahrheit", sagt Thiemig - "und keine Männer-Überschuss-Statistik".

MDR (kk)

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