Eisenbahnfest Röhrende "Ludmillas" und schnaufende "52-er" locken Bahnfans nach Nossen

08. Oktober 2023, 14:42 Uhr

Rauch hing am Wochenende über dem Nossener Bahngelände. Schon von Weitem war das markante Pfeifen einer Dampflok zu hören. Die Interessengemeinschaft Dampflok Nossen hatte ins ehemalige Bahnbetriebswerk eingeladen, die Bahnfans strömten mit Kind und Kegel an die Drehscheibe und bekamen dort einiges geboten. Neben zwei aktiven Dampfloks aus Leipzig und Berlin gab es auch eine Parade von Dieselloks. Diese "Ludmillas" - liebevoll nach ihrer sowjetischer Herkunft benannt - haben viele Fans.

Sprichwörtlich auf Tuchfühlung mit legendären Dampf- und Dieselloks sind hunderte Eisenbahnfans am Wochenende auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks Nossen im Landkreis Meißen gegangen. Die Interessengemeinschaft Dampflok Nossen hatte zum Eisenbahnfest eingeladen, die Tore des Ringlokschuppens weit geöffnet und die Drehscheibe davor angeworfen. Ive Bartusch vom Vereinsvorstand zeigte sich erleichtert, dass trotz des eher durchwachsenen Wetters so viele Bahnfans oft mit der ganzen Familie im Schlepptau - ins dann doch abgelegene und seit 2015 vom Personenverkehr auf der Schienen abgetrennte Nossen - gekommen waren.

"Für unseren Verein ist ein solches Fest auch unter finanziellen Aspekten wichtig", betont der Kassenwart. Von Luft, Liebe und mit handwerklichem Geschick allein ließen sich die historischen Lokomotiven nicht erhalten. Und es müssten deshalb auch bewusst Familien angesprochen werden, da sich ein solches Fest allein mit Erlösen von Bahnfans nicht realisieren lasse.

Zwei Loks aus Berlin und Leipzig machen mächtig Dampf

Damit aber Fans und Familien kommen, muss der Verein auch etwas bieten. Immer nur die in Nossen untergestellten Loks auf die Drehscheibe ziehen, genügt da nicht. Und genau deshalb haben die Vereinsmitglieder seit Monaten ihre Kontakte zu befreundeten Vereinen und Eisenbahnunternehmen spielen lassen und sieben Gastfahrzeuge nach Nossen gebracht - zwei Dampf- und fünf Dieselloks. "Bis zuletzt war nicht klar, ob die Netzsparte der Deutschen Bahn auch die bestellten Trassen für die Anfahrt der Gastloks garantieren kann", sagte Bartusch. Es hat mit einigen Verspätungen aber geklappt.

Die Leipziger Dampfkultour und die Berliner Eisenbahnfreunde aus Schöneweide waren mit aktiven Dampfloks der Baureihe 52 in Nossen. Auf der Berliner Lok konnten Interessierte im Führerstand auf dem Bahngelände mitfahren - ein besonderes Erlebnis vor allem für Kids. Aber auch mancher Papa und manche Oma kletterten mit den Kindern im Schlepp auf die Dampflok, um dort dem Lokführer und dem Heizer einmal über die Schultern zu schauen.

Wenn der Opa mit seinen Enkeln zu den Dampfloks kommt

Unter den Besuchern war auch Hans-Jürgen Förster - echter Bahnenthusiast aus Wurzen, dessen Sohn als Heizer auf der Leipziger Lok dabei war. "Ohne das Engagement der Vereine wären historische Fahrzeuge gar nicht mehr zu erleben", betonte er und war voll des Lobes über die Vielzahl der Loks, die in Nossen auf Hochglanz poliert zu erleben waren.

Mit seinen Enkeln Lilly und Tim hatte sich Wolfgang Männel aus Freiberg auf den Weg nach Nossen gemacht. Er war selbst Jahrzehnte in der Instandhaltung von Loks und Triebwagen in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) und in Dresden beschäftigt. Längst hat er die Eisenbahnbegeisterung an seine Enkel weitergegeben. Tim fand in Nossen vor allem die Dampfloks toll, konnte sich aber auch für die mächtigen Dieselloks begeistern. Seine Zwillingsschwester Lilly schaute sich den Eisenbahntrubel hingegen noch mit einer gewissen Distanz an.

Wie "Ludmillas" die Augen von Bahnfans zum Leuchten bringen

Da Menschen, die Dampfloks noch im aktiven Betriebsdienst erlebt haben, inzwischen altersbedingt weniger mobil sind, erobern in der Eisenbahnszene zunehmend auch Dieselloks eine jüngere Fangemeinde. Geradezu legendär sind inzwischen Maschinen der Baureihe 132 aus Beständen der Deutschen Reichsbahn der DDR, bei der Deutschen Bahn AG je nach Umbauversion als Baureihe 232, 233 oder 234 eingereiht. Die sechsachsigen Dieselloks aus sowjetischer Produktion tragen in der Szene liebevoll den Namen "Ludmillas" und gelten in Eisenbahnerkreisen als nahezu unverwüstlich. Ihr röhrender Diesel-Sound ist Musik in den Ohren vieler Fans. Anwohner von Bahnstrecken sind da mitunter anderer Meinung.

Ein Lokführer sammelt fünf Dieselloks und eine Dampflok ein

Fünf betriebsbereite Maschinen hatte der Eisenbahnverein organisiert - drei von DB Cargo und zwei von der Wedler Franz Logistik (WFL), die auch in Nossen einen Wartungsstützpunkt unterhält. "Das klappt nur mit Beziehung und auch Glück", sagt Vereinsmitglied Sven Hesse. Er ist Lokführer bei der WFL und bundesweit im Einsatz. Immerhin kann eine Diesellok, die am Wochenende beim Eisenbahnfest im Landkreis Meißen ist, vier Tage lang nicht im regulären Einsatz vor Güterzügen sein.

Zwei junge Dresdnen stehen auf "Reichsbahn"-Loks

Am Freitag vor dem Fest hat Sven Hesse die Loks regelrecht "eingesammelt" - in Wustermark und Seddin. Auch die Berliner "52er" kam in Schöneweide zum Einsparen von Trassengebühren noch an den illustren Lokzug, der wegen Bauarbeiten auf Umwegen schließlich über Riesa und Döbeln nach Nossen gefahren wurde - sehr zur Freude von Vincent Rösel und Nils Metzger. Beide sind aus Dresden, eingefleischte Eisenbahnfans und Mitglieder im Verein der Ostsächsischen Eisenbahnfreunde in Löbau. Nils Metzger ist zudem noch Lokführer in Ausbildung bei einem Bahnunternehmen in Brandenburg.

Die beiden kennen sich also aus und haben die meisten begehrten Loks wohl schon irgendwo an der Strecke oder bei Festen vor der Linse gehabt. Dennoch waren sie in Nossen dabei und eigentlich ganz zufrieden mit dem, was ihnen auf der Drehscheibe geboten wurde. Vincent Rösel hat eine klare Meinung: "Hauptsache Reichsbahn." Und davon gab es am Wochenende genug. Die heimliche Starlok - manche nannten sie sogar "Prinzessin" - war in Nossen die 232 618 - die standesgemäß ihre frühere Reichsbahn-Nummer 132 618 tragen durfte. Diese Maschine trägt auf Initiative engagierter Eisenbahner bei DB Cargo seit diesem Jahr wieder ihre Ursprungslackierung und bringt Reichsbahn-Flair auf die Gleise.

Kritik an fehlendem Traditionsbewusstsein der DB AG

Was immer wieder in Nossen bedauert wurde, dass die Konzernleitung der bundeseigenen Deutschen Bahn keinerlei Traditionsbewusstsein zeige und etwa mit dem betriebsfähigen Erhalt historischer Fahrzeuge die Eisenbahn als Sympathieträger präsentiere. Ausgemusterte Baureihen würden vom DB Museum an verschiedenen Standorten nur verwaltet.

Auch in Nossen ist als Dauerleihgabe ein Pendolino-Triebwagen gestrandet. Die Baureihe 610 war ab 1992 Vorreiter des Neigetechnikbetriebs in Ober- und Mittelfranken, bei denen Züge durch eine ähnliche Neigung wie Motorradfahrer schneller durch Kurven fahren können und die Reisezeiten verkürzen. Allerdings bekommt diese Schaukelei nicht allen Fahrgästen. 2014 wurde die Baureihe ausrangiert. Zu Nossen hat der Triebwagen keinen betrieblichen Bezug.

Der frühere Eisenbahnknoten Nossen und die Interessengemeinschaft Dampflok Nossen war einst wichtiger Knotenpunkt der Eisenbahnstrecken von Coswig über Meißen und Döbeln nach Borsdorf und von Riesa über Freiberg nach Moldova (Moldau). Zudem führte eine Schmalspurbahn bis 1972 von Nossen über Wilsdruff nach Freital-Potschappel. Da bis 1987 noch planmäßig Dampfloks Nahgüterzüge beförderten, war Nossen auch ein begehrtes Reiseziel von Eisenbahnfans aus dem westlichen Ausland.

Ende 2015 verkehrte der vorerst letzte Personenzug von Meißen über Nossen nach Leipzig. Seither fahren durch Nossen noch Güterzüge zum Tanklager Rhäsa sowie saisonal einzelne Getreidezüge. Die 2016 gegründete Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie hat die Strecke Döbeln - Meißen gepachtet und besitzt die Zellwaldbahn nach Freiberg sowie die Strecke nach Riesa, die zunächst bis Prausitz wieder betriebsfähig hergerichtet werden soll.

Die IG Dampflok Nossen wurde vor 31 Jahren gegründet. Damals ging es um den betriebsfähigen Erhalt der Dampflok 52 8047. Seit 2011 ist die Lokomotive aber nicht mehr einsatzbereit. Sie wird "kalt" erhalten und gepflegt. Eine Wiederinbetriebnahme ist aus finanziellen Gründen auf absehbare Zeit nicht möglich. Der Verein mietet für Sonderfahrten Loks an. Zudem hat die Firma WFL in Nossen Loks untergestellt.

"Zug in die Freiheit" auf dem Abstellgleis?

Eigentlich soll ein Teil des früheren Bahnbetriebswerks auch der politischen Bildung dienen. Das Projekt "Zug in die Freiheit" - vor Jahren mit Fördergeldern initiiert - fristet seither eher ein trauriges Dasein in einer tristen Blechhalle. Erinnert werden sollte an die Züge der Botschaftsflüchtlinge 1989, die in abgeschotteten Zügen von Prag auf Drängen der Regierung in Ost-Berlin durch die DDR nach Hof fuhren.

Der frühere Bundesinnnenminister Thomas de Maizière (CDU), der in der Region seinen Wahlkreis hatte, unterstützte das Vorhaben. Immerhin steht nun ein Bautzner Abteilwagen aus jener Zeit in der Halle - allerdings mehr oder weniger vergessen. Hergerichtet ist der Waggon bisher nicht. Und Projekttage mit Schulklassen gibt es auch keine, zumal der Nossener Verein mit seinen 30 Mitgliedern nach eigenen Angaben kaum Kapazitäten für ein solches Bildungsprojekt hat.

Schnell wird in diesem Zusammenhang auch die "Ludmilla"-Lok 132 478 erwähnt, die laut dem Fachbuch "Mit der Reichsbahn über die Zonengrenze" (EK-Verlag 2009) am 1. Oktober 1989 um 5:57 Uhr mit dem ersten Flüchtlingszug den DDR-Grenzbahnhof Gutenfürst in Richtung Hof verließ. Die Lok war zuletzt noch aktiv im Güterzugdienst als Baureihe 233. Versuche, sie als Denkmal zu deklarieren, verliefen bisher im Sand.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 07. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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