Pflegenotstand 48-Jährige aus Meißen wütend: "Wie kann eine Klinik so fahrlässig sein?"

29. Oktober 2023, 09:00 Uhr

Entlässt ein Krankenhaus eine 88-Jährige nach einem Sturz mit Pflegegrad 4, Alzheimer-Demenz, einem Gips und zwei Unterarmstützen nach Hause, ohne Angehörige oder Pflegedienst zu informieren? Man meint nein, passiert ist es doch. Eine 48-jährige aus Meißen ärgert sich auch drei Wochen nach dem Vorfall mit ihrer Großmutter noch darüber - auch darüber, dass Angehörige in der Not nicht wissen, wo sie Hilfe bei der Suche nach einem Kurzzeitpflegeplatz bekommen können.

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Es ist der Anruf, vor dem sich Angehörige von Pflegebedürftigen fürchten. Der Pflegedienst ruft an und sagt, der Angehörige ist nach einem Sturz gefunden worden und auf dem Weg ins Krankenhaus. Diesen Anruf bekommt auch Carola Fiedler aus Meißen am Morgen des 10. Oktober.

Die Pflegedienstleiterin weiß nicht, in welche Klinik der Rettungsdienst ihre Großmutter fährt, gibt aber die Nummer der Enkelin und des Pflegedienstes für Rückrufe mit.

Krankenhaus entlässt demente Frau ohne Rückmeldung?

"Ich wartete und wartete. Am späteren Nachmittag habe ich dann im Elblandklinikum Meißen angerufen und erfahren, dass sich meine Omi eine Unterschenkel-Fraktur zugezogen hat und sie seit etwa 10:30 Uhr wieder zu Hause ist." Man hätte versucht anzurufen und eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.

"Ich habe keinen Anruf erhalten. Auch auf meiner Mailbox war keine Nachricht. Man entlässt eine 88-jährige Frau mit Pflegegrad 4, Alzheimer-Demenz, einem Gips und zwei Unterarmstützen nach Hause, ohne die Angehörigen oder den Pflegedienst zu informieren? Es war ja keine häusliche Versorgung gewährleistet, vor allem nachts nicht", ärgert sich die Enkelin.

Ohne jemandem Bescheid zu sagen, eine alte Frau im Krankenhaushemdchen auf den Küchenstuhl abzuladen ist unverantwortlich. Wie kann man im Krankenhaus nur so verantwortungslos und fahrlässig sein?

Carola Fiedler Angehörige, die sich um ihre Großmutter kümmert

Später wird sie im Entlassungsbrief des Elblandklinikums den Vermerk lesen, dass man versucht habe Angehörige zu kontaktieren und auf den Anrufbeantworter gesprochen habe.

Oma sollte so lange wie möglich eigenes Leben führen

Bislang hatte Carola Fiedler versucht, ihrer Großmutter etwas von dem zurückzugeben, was sie in ihrer Kindheit von ihrer "Omi" bekommen hatte. Gisela Lehmann hatte die kleine Carola zwei Jahre lang aufgezogen und war für sie als Kind zu Hause geblieben. Das war vor mehr als 46 Jahren.

Seit Längerem braucht nun die 88 Jahre alte Seniorin Hilfe. Morgens und abends kommt der Pflegedienst, an Wochenenden ist die 48 Jahre alte Enkeltochter da, wäscht Wäsche, kauft mit der Oma ein, kocht und kümmert sich um die Rechnungen. "Sie wollte doch so lange wie möglich in ihrer Wohnung sein und ein eigenes Leben führen", erzählt die Enkelin.

Krankenschwester hilft ihrer älteren Patientin mit einer klappbaren Gehhilfe.
Bis vor dem Sturz Mitte Oktober bewegte sich die 88 Jahre alte Gisela Lehmann mit Hilfe eines Rollators. (Symbolfoto) Bildrechte: IMAGO / Zoonar

Ärger über die Zustände? "Bedanken Sie sich bei Herrn Lauterbach"

Wie soll es nun nach dem Sturz weitergehen? Nach ihrem Anruf am Nachmittag im Elblandklinikum Meißen bekommt sie zehn Minuten später einen Rückruf eines Arztes. "Der sagte: 'Ach ja, hier liegt eine Notiz auf meinem Schreibtisch, dass ich Sie anrufen soll. Ich habe gerade acht Stunden im OP gestanden'".

Und: "Auf meine Nachfrage, wie Oma denn alleine vom Bett oder Stuhl zur Toilette kommen sollte, meinte der Arzt, dann müsste ich eben ein Rezept für einen Toilettenstuhl besorgen. Das Krankenhaus hätte keine freien Betten, nur für OP-Patienten – ich solle mich doch bitte bei Prof. Dr. Karl Lauterbach bedanken", fasst Carola Fiedler das Gespräch zusammen.

Zweiter Sturz am Nachmittag

Nach diesem Telefonat ruft die Angehörige den Pflegedienst an. Der weiß auch nichts von der Entlassung der Patientin am Vormittag. "Eine Stunde später, um 17:19 Uhr erhielt ich dann die Nachricht, dass Omi erneut gestürzt ist. Eine absolute Katastrophe!", sagt die Angehörige. "Der Rettungsdienst wollte sie erst nicht mitnehmen, weil der Sanitäter keine medizinische Notwendigkeit dafür sah. Nach kurzer Diskussion nahm er Omi doch mit und versprach, meine Nummer dem Sozialdienst der Klinik zu geben, um zu klären, wie es weitergehen soll."

Sozialdienst und Krankenkassen: Kümmern Sie sich

Tags darauf fährt Carola Fiedler ins Krankenhaus, um mit dem Sozialdienst zu sprechen, den sie seit dem Morgen am Telefon und nach Rückrufbitten auf dem Anrufbeantworter nicht erreicht hat. "Dort erfuhr ich, dass wegen Personalmangel alle im Team überlastet seien. Wenn es ginge, solle ich mir doch bitte selbst wegen einer Kurzzeitpflege oder häuslichen Versorgung helfen."

Von der AOK bekommt die Enkelin die Antwort, dass ein Bruch wie bei ihrer Oma keinen Krankenhausaufenthalt rechtfertige und dass das Krankenhaus nicht für die Pflege zuständig sei. "Auf meine Nachfrage, an wen ich mich noch wenden könnte, kam nur: 'Sie sind die Betreuerin und haben die Vollmacht. Sie müssen sich selber kümmern'".

Keine weiteren Aussagen: Elblandklinikum bittet um Verständnis

Das kritisierte Elblandklinikum antwortete auf eine Anfrage mit sechs detaillierten Fragen von MDR SACHSEN am Donnerstag, 26. Oktober zu den Vorwürfen der Enkelin: "Selbstverständlich gehen wir allen Beschwerden nach. Wir sind bereits im Austausch mit der Patientin bzw. ihrer Angehörigen und sprechen mit allen Beteiligten."

Pressesprecherin Janine Rost fügte hinzu: "Generell steht das Wohl unserer Patienten immer im Mittelpunkt unserer Arbeit." Ansonsten bitte man um Verständnis, dass man "derzeit keine weiteren Aussagen treffen" könne.

Elblandklinikum Meissen
Auf detaillierte Nachfragen von MDR SACHSEN zum Vorgang, dass eine demente Seniorin allein in ihrer Wohnung abgesetzt wurde, geht das Ellandklinikum Meißen nicht ein. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO/Daniel Schäfer

Reaktion der Klinik "macht mich sprachlos"

In der Antwort an MDR SACHSEN sieht Carola Fiedler einen gravierenden Widerspruch, "zu dem, was passiert ist. Steht das Wohl des Patienten im Mittelpunkt, wenn er als dementer Mensch allein in der Wohnung abgesetzt wird?", fragt sich die Angehörige. "Mit mir hat bis heute niemand gesprochen", sagt die Enkelin.

Am Freitag, 27. Oktober, erhält sie Post vom Elblandklinikum. Es ist eine Stellungnahme, weil sie sich bei der Krankenkasse über die Abläufe beschwert hatte. Darin heißt es: Die Patientin sei während der Behandlung "ausreichend orientiert" gewesen "und wünschte sich ein ambulantes Prozedere mit Unterstützung ihrer Angehörigen". Die diensthabende Ärztin in der Notaufnahme habe mehrfach versucht, Frau Fiedler telefonisch zu erreichen, man könne "auch in der kritischen Nachbetrachtung keinen medizinischen Fehler erkennen".

Mich macht die Reaktion der Klinikleitung sprachlos.

Carola Fiedler Angehörige, die sich um ihre Großmutter kümmert

Bedauern beim Sozialministerium

Das sächsische Sozialministerium meint zum Fall in Meißen: "Wir bedauern die von Ihnen geschilderten Erfahrungen der Betroffenen und ihrer Familie". Eine Sprecherin sagt zu, dass Carola Fiedler noch vom Ministerium eine Antwort bekäme, sie sich zum Einzelfall aber nicht äußern werde.

Wir bedauern die von Ihnen geschilderten Erfahrungen.

Sächsisches Sozialministerium

Grundsätzlich können Kliniken aber Versicherte in Übergangspflege versorgen, wenn sie nach einem stationären Krankenhausaufenthalt nicht angemessen versorgt werden können, so das Ministerium. "Übergangspflege soll verhindern, dass Patienten mit Unterstützungsbedarf in ungewisse Versorgungssituationen entlassen werden".

40 Anrufe später ein Platz in Cottbus

Nach mehr als 40 Anrufen und Hilfeersuchen bei Pflegeberatern der AOK, Pflegekoordinatoren und der Sozial- und Pflegeberatung des Landkreises, kirchlichen Sozialträgern und diversen Pflegediensten, ist Enkelin Carola Fiedler einen kleinen Schritt weiter: Ihr wird ein Kurzzeitpflegeplatz in Cottbus angeboten.

"Ich hatte solche Angst, dass Omi morgens aus dem Krankenhaus entlassen wird und ich keinen Platz finde, um ihr 24 Stunden Pflege anzubieten. Ich schaffe das nicht", fürchtet Carola Fiedler. Da hatte sie die meisten ihrer zehn Pflegetage im Jahr schon verbraucht und für die Platzsuche unbezahlten Urlaub genommen.

Über private Kontakte findet sie in einer Demenz-WG in Meißen einen Platz und muss doch nicht bis Cottbus fahren. An dem Tag meldet sich auch das Elblandklinikum mit einem Platzangebot. "Ich finde es fatal und mühsam, dass es in Sachsen keine zentrale Stelle für Informationen über freie Pflegeplätze gibt. Notfälle können ja immer passieren", meint die technische Sachbearbeiterin und fügt hinzu: "Nicht jeder hat so viel Zeit oder weiß, wo er sich hinwenden kann. In dem Dschungel braucht man doch Unterstützung."

Lesen Sie hier, wo Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Hilfe bekommen, bevor die Not akut wird und was zu tun ist, wenn Angehörige zum Pflegefall werden.

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