Welt-Alzheimertag Betreuer im Altenheim: "Würdevolle Behandlung nur begrenzt möglich"
Hauptinhalt
21. September 2023, 05:00 Uhr
In Sachsen leben rund 103.000 Menschen mit der Diagnose Demenz - Tendenz steigend. Matthias Adomat ist Betreuer in einem Altenpflegeheim in Mittelsachsen. Er sieht im fehlenden Personal und im knappen Zeitbudget die größten Probleme bei der Betreuung und Pflege von Demenz- und Alzheimerpatienten.
Herr Adomat, wie werden Demenzpatienten im Altenheim versorgt?
Matthias Adomat: Demenz als Volkskrankheit ist in den Heimen schon längst angekommen. Mehr Personal für mehr Würde trotz Krankheit aber noch nicht. Es ist gesetzlich festgeschrieben, dass generell Menschen mit einem höheren Pflegegrad mehr Zuwendung von Fachkräften bekommen – das zieht teilweise wichtige Bezugspersonen von Demenzkranken ab.
Demenzkranke brauchen Kontinuitäten und einen regelmäßigen Kontakt zu den gleichen Pflegerinnen und Pflegern.
Was ist notwendig für eine würdevolle Behandlung?
Alzheimer-Patienten, die in Altenheimen versorgt werden, sind oft sehr hilfebedürftig. Sie agieren und reagieren viel langsamer und brauchen schlichtweg Zeit. Gut tut ihnen ein regelmäßiger Kontakt mit den gleichen Pflegerinnen und Pflegern. Das ist mit dem derzeitigen Personalschlüssel - noch dazu mit dem oft hohen Krankenstand - schwer handhabbar.
Demenzkranke brauchen Kontinuitäten. Rotierende Dienste durch unterschiedliche Abteilungen sind hier völlig abträglich. Viele Pflegende und Betreuer möchten sich mehr Zeit nehmen, doch das ist kaum möglich - und wird auch überhaupt nicht bezahlt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel ist das Baden. Als Pfleger oder Pflegerin haben sie 20 Minuten Zeit, einen Bewohner zu baden. Das schaffen sie nur, wenn sie ihn völlig effizient an- und ausziehen. Kaum liegt er in der Wanne und hat sich gerade an das schöne warme Wasser gewöhnt, müssen sie ihn schon wieder herausbitten.
Abgesehen davon, dass er sich kaum auf das Baden einlassen kein, fällt hier eine positive Kontaktpflege herunter. Im Gegenteil: Sind die Pflegenden gestresst, bekommen die Bewohner das genau mit - sie sind feinfühlig wie Kinder.
Eine adäquate Betreuung von Demenzkranken ist also gar nicht möglich?
Im gesetzlichen Rahmen ist eine würdevolle Betreuung in einer guten Qualität kaum machbar - oder sehr schwer umzusetzen. Für das, was wir machen können, leisten wir eine gute Pflege und Betreuung. Mit weniger Stress ist aber viel mehr möglich. Manche Pflegerinnen und Pfleger haben die Kraft und bekommen das hin, doch es ist und bleibt sehr schwer.
Zeit ist also das größte Problem?
Ja, die mangelnde Zeit ist der größte Hinderungsgrund. Wir können ja auf die Patienten eingehen, doch dafür brauchen wir Zeit. Das wird besonders schwierig, wenn wir einen hohen Krankenstand haben. Eine Demenz-Erkrankung verläuft immer absolut individuell. Jeder entwickelt sich anders. Für die Betreuung haben wir einen Mindestschlüssel, der finanziert wird.
Damit die Kosten gedeckt werden, sind wir angehalten, viel in Gruppenaktivitäten zu unternehmen. Das ist im Anfangsstadium gut machbar, wird aber mit dem Fortschritt der Erkrankungen immer schwieriger - schon allein, weil jedem noch andere Fähigkeiten bleiben. Um den Erkrankten gerecht zu werden, müssten wir viel individueller mit ihnen arbeiten - das gelingt in der Praxis aus zeitlichen Gründen jedoch zu selten.
Wie gehen Sie mit diesen Widersprüchen um?
Neben der Betreuung in meinen Gruppen versuche ich schon alles, um Patienten auch individuell zu betreuen. Das klappt jedoch nicht immer. Nicht zu vergessen: Die soziale Betreuung ist ja das Sahnehäubchen zum Verschönern des Alltags, das Zusätzliche zur Pflege. Das wird natürlich immer zuerst gekürzt.
Wo liegt der Unterschied zwischen Pflege und Betreuung?
Mit der Pflege befriedigen wir Grundbedürfnisse. Die Betreuung umfasst die kreative Beschäftigung und Förderung im Alltag. Dazu gehören Bewegung, Gedächtnistraining, Wortfindung, Singen und kreatives Gestalten. Wortfindungsstörungen sind ja oft eine Begleiterscheinung bei Demenz. Hier versuchen wir die Bewohner zu unterstützen. Für sie ist es ja ein riesiges Erfolgserlebnis, wenn sie die Wörter wiederfinden, Rätsel lösen und ihnen kleine Handgriffe beim Basteln oder Backen gelingen. Gerne legen sie auch Handtücher zusammen, weil sie sich dabei nützlich fühlen.
Sie fördern und fordern also?
Ja. Wir schaffen auch Highlights. Dazu holen wir manchmal externe Leute in unser Heim bis hin zu Tieren. Wir organisieren Ausflüge in den Stadtpark oder auch eine kleine Bootsfahrt – ganz verschiedene Programme, die neue Eindrücke schaffen. Wir möchten die Menschen motivieren, herauszugehen und Lebensmut und Lebenslust zu fassen. Dafür arbeiten wir auch mit Ergotherapeuten zusammen.
Das klingt ja alles ganz prima!
Wie gesagt, das funktioniert vor allem in Gruppen. Wenn Bewohner sich wegen ihrer Unzulänglichkeiten schämen und in ihr Zimmer zurückziehen, möchte ich sie nicht bis zu ihrem Tod allein zurücklassen. Es wäre doch schön, Bewohner, die am Rand sitzen oder gar apathisch sind, mehr persönliche Zeit und Aufmerksamkeit einzuräumen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 19. September 2023 | 20:00 Uhr