Lesung in Riesa Ein Abend mit Sahra Wagenknecht: Zwischen Hoffnung und Skepsis

11. November 2023, 08:00 Uhr

Seit ihrer Ankündigung, der Linken den Rücken zuzukehren und künftig ihr Glück in einer eigenen Partei zu suchen, vergeht kaum ein Tag ohne Schlagzeilen über Sahra Wagenknecht. Das Interesse ist groß – nicht nur in den Medien, wie eine Lesung aus Wagenknechts Buch "Die Selbstgerechten" in Riesa am Donnerstag zeigte. Über einen fast ausverkauften Saal, Applaus für einen kämpferischen Bestseller und die Frage nach der Landtagswahl.

Ein hell erleuchteter Saal in Riesa, nicht ganz ausverkauft, doch mehr als gut gefüllt. Darin haben sich mehrere hundert Menschen versammelt und wollten sie sehen und hören: Sahra Wagenknecht, die bis vor kurzem noch populärste Linken-Politikerin und zugleich auch eine der schärfsten Kritikerinnen der Partei. Doch ganz reibungslos startet der Abend nicht. Das Publikum muss sich gedulden: Wagenknecht lässt auf sich warten, denn sie steht im Stau.

Als die Lesung nach dieser Panne beginnt, wird es still im Saal. Wagenknecht, die zierliche Frau im mintgrünen Kostüm, nimmt auf der großen Bühne Platz. Sie liest aus ihrem 2021 erschienenen Buch "Die Selbstgerechten". Wen sie damit meint, wird schnell klar. Die Bundespolitik, Teile der Medien und intellektuellen Elite.

Generalkritik an linker Politik, Medien und Waffenlieferungen

Das Buch dreht sich in erster Linie um die Herausforderungen der politischen Linken. Die hätten Probleme, sich mit den tatsächlichen Sorgen und Nöten der Menschen in der Mitte der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Es ist ein Rundumschlag: Sie kritisiert eine scheinbare Überheblichkeit linker Eliten, die statt konkrete Lösungen anzubieten, lieber mit erhobenem Zeigefinger auf die Menschen herabschauten und sie belehrten.

Zugleich prangert sie Waffenlieferungen an und die Rolle Deutschlands im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, Teile der Corona-Politik und ganz allgemein eine fehlende Meinungsvielfalt. Auch der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk kommt in ihrem Buch nicht gut weg: Von "Haltungsjournalismus" ist die Rede und von Belehrungen in Richtung Nutzerinnen und Nutzer.

Applaus für Positionen, doch Jubel bleibt aus

Während Wagenknecht routiniert aus ihrem Bestseller vorliest, lässt sie dem Publikum an geeigneter Stelle Raum für Reaktion: So ist beim Thema Gendern im Saal zwar kein offenes Lachen zu hören, ein leichtes Prusten zieht sich aber durch die Reihen. Und als die Autorin die letzten Worte des Abends vorliest und anschließend ihr Buch schließt, applaudieren ihre Gäste kräftig.

Unaufgeregt aber gleichzeitig kämpferisch zeigt sich die Politikerin im anschließenden Gespräch auf der Bühne, bei dem auch Wortmeldungen aus dem Publikum erwünscht sind. Eine Frau Ende 50 mit welligem Haar ergreift die Initiative: "Haben Sie Angst vor dem Konkurrenzkampf mit der AfD? Ich sage Ihnen, Sie brauchen keine Angst haben!" Und scheint Wagenknecht auch weit entfernt. Sie wolle die Unzufriedenen abholen, die Protestwähler, die, die AfD nicht aus Überzeugung wählen.

Konkrete Fragen, allgemeine Lösungen

Das Publikum hat noch viele weitere Fragen, will wissen, wie es jetzt konkret weitergeht – mit Sahra Wagenknecht, mit ihrer zukünftigen Partei und mit seinen ganz persönlichen Themen. Wie will die Politikerin das Problem der langen Wartezeiten auf einen Platz in der Psychotherapie lösen? Welche kurzfristigen Lösungen hat sie für den Lehrermangel parat? Und glaubt sie, dass der Osten "unregierbar" wird?

Die 54-Jährige Politikerin findet auf alle Fragen Antworten, auch wenn diese nicht immer konkret sind und sich womöglich sogar widersprechen. Das Thema Psychotherapie beantwortet sie mit der Feststellung: "Ich finde, wir brauchen andere Regeln im Gesundheitswesen." Dass Krankenhäuser Gewinne erzielen müssen, sei die Falsche Marschrichtung. Es werde derzeit gestrichen, was sich nicht lohne, dafür würden aber viele rentable Hüft- und Knie-OPs durchgeführt. Das müsse ein Ende haben. Eine konkretere Antwort erhält der junge Mann mit Undercut und Pferdeschwanz nicht auf seine Frage.

"Mit denen muss man sich unterhalten"

Für den akuten Lehrermangel, das gesteht Wagenknecht ein, gebe es keine kurzfristigen Lösungen: Quereinsteiger seien weiterhin für den Übergang wichtig. Der Beruf müsse aber insgesamt wieder attraktiver werden durch bessere Bezahlung an Grundschulen und kleineren Klassen. "Wir müssen mehr Geld für Bildung bereitstellen", meint sie.

Dass der Osten durch ihre neue Partei unregierbar wird, weil sie die Mehrheitsbildung in den Landesparlamenten verkomplizieren könnte, glaubt Wagenknecht nach eigener Aussage hingegen nicht: "Unregierbar wird ein Land, wenn Politik nicht bereit ist, Politik zu machen", stellt sie fest. Die SPD in Sachsen sei stark genug, um bei der nächsten Wahl wieder in den Landtag einzuziehen. Die CDU bleibt nach ihrer Analyse stärkste Partei. "Mit denen muss man sich unterhalten. Die Grünen sind allerdings keine relevante Größe im Osten." Das finde sie sehr sympathisch an den Menschen hier. Das Publikum lacht und applaudiert.

Würden Sie Wagenknecht wählen?

Nach rund zwei Stunden ist die Veranstaltung so gut wie vorbei. Wagenknecht signiert in einer Ecke neben der Bühne noch Bücher, macht Fotos mit Anhängern ihrer Positionen. Langsam leert sich der Saal. Doch mit welchem Gefühl gehen die Menschen nun nach Hause? Würden sie Wagenknechts Partei ihre Stimme in der nächsten Landtagswahl geben?

Es gibt sie an diesem Abend: Unterstützerinnen und Unterstützer, die nur darauf warten, dass die Partei endlich gegründet wird. Sie beschreiben Wagenknecht als "toughe Frau", die ehrlich sei und nichts beschönige. "Sie ist fürs Volk, einfach fürs Volk", sagen sie. Doch etliche Menschen scheinen an diesem Abend in Riesa zwar positiv gestimmt, aber auch skeptisch.

"Die Idee ist gut", sagt Erna Hammer aus Strehla. "Viele Gedanken teilen wir. Aber wie sie alles durchsetzen will, wird das Problem werden." Auch Jörg Wendt ist vorsichtig: "Ich würde ihr die Chance geben, aber was dann daraus wird? Es wird immer viel versprochen. Es ist zu früh, um zu sagen, dass alles gut geht" und meint damit, ob Wagenknecht ihre Positionen am Ende wirklich durchdrücken kann.

Widersprüche

Noch deutlich zurückhaltender äußert sich ein Gast ganz am Ende des Abends: "Ich bin noch nicht entschlossen", antwortet er auf die Frage, ob die Wagenknecht-Partei seine Stimme bekommen würde. Der Grund: Die Informationslage sei zu dürftig. Ihre Argumentation sei zwar nachvollziehbar, aber Wagenknecht äußere sich auch widersprüchlich.

"Es ging zum Beispiel um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Auf der einen Seite Renten und Löhne erhöhen und auf der anderen Seite von Wettbewerbsfähigkeit sprechen – das ist für mich ein ökonomischer Widerspruch", sagt er. Seine Begleiterin ergänzt: "Ich weiß nicht: Was ist der Grundtenor? Wo würde eine Frau Wagenknecht als allererstes ansetzen?"

Warten auf Konkretes

Deutlich wird an diesem Abend: Die Positionen Wagenknechts sind nicht allen klar genug. Das Interesse an einer neuen Alternative zu den etablierten Parteien scheint vorhanden, doch die Menschen sind an konkreteren Inhalten interessiert. Bis die womöglich im neuen Jahr mit Gründung der Partei vorliegen, heißt es weiter: abwarten!

Wagenknecht-Bündnis: So soll es weitergehen Sahra Wagenknecht hat bereits angekündigt, im kommenden Jahr ihre Partei ins Rennen für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg schicken zu wollen. "Die Menschen erwarten von uns, dass wir das schaffen", sagte sie bei ihrer Buchlesung in Riesa dazu. Allerdings wird sie nach eigener Aussage nicht persönlich bei einer der Landtagswahlen antreten.

Wagenknecht sagte MDR Sachsen, es sei geplant, Landesverbände in den ostdeutschen Bundesländern zu bilden. Sie selbst wolle jedoch Politik in Berlin machen und dafür im Bundestag bleiben.

Das sogenannte "Bündnis Sahra Wagenknecht" will eigenen Angaben zufolge im kommenden Jahr eine neue Partei ins Leben rufen. Zu den geplanten Gründungsmitgliedern gehören mehrere bekannte Gesichter der Partei "Die Linke". Neben Wagenknecht ist darunter die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 10. November 2023 | 19:00 Uhr

Mehr aus Sachsen