Frau hinter Umzugskartons
Nach 1,5 Jahren in Dresden packten eine zurückgekehrte Sächsin und ihr Mann wieder die Umzugskisten. In Dresden fühlte sich die Familie angefeindet, weil der Vater aus Pakistan stammt. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Kündigungsgrund Alltagsrassismus Ingenieur nach Wegzug aus Dresden: "Die Kinder hatten so viel Angst: Ist es das wert?"

21. Oktober 2024, 15:00 Uhr

Die Bedingungen für die Rückkehrer aus Westdeutschland klangen gut: eine neue, gut bezahlte Arbeit, schöne Altbauwohnung, Kita-Plätze, die Schwiegereltern wieder in der Nähe für die drei Enkel. Und trotzdem zog ein Ingenieurs-Ehepaar wieder zurück nach Bayern. Als Kündigungsgrund nannte der pakistanischstämmige Familienvater rassistische Angriffe, denen sich die Familie nicht mehr aussetzen wollte.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratscher, hat mehrfach vor einem Erfolg der AfD und Rechtsextremer gewarnt. Das sei "höchst schädlich für die Wirtschaft". In einem Zeitungsinterview beschrieb der DIW-Präsident einen "Teufelskreis": Dort, wo es besonders viel Zustimmung für die Rechtsaußen-Partei gebe, würden Fachkräfte und Unternehmen häufig abwandern. "Im Umkehrschluss steigt die Frustration derjenigen, die zurückbleiben." Von einer solchen Entwicklung profitiere wiederum die AfD.

Rückkehrer aus dem Westen ziehen Reißleine

Ein Beispiel aus Dresden zeigt, was der DIW-Präsident meint: Die Rückkehr aus Westdeutschland ins Elbtal 2022 sollte für ein Ingenieurs-Ehepaar* für immer sein. Die Frau in einer Kleinstadt bei Dresden aufgewachsen, die drei Kinder freuten sich auf Oma und Opa in der Nähe, der Vater, ein Ingenieur, im Osten studiert, mit zehn Jahren Berufserfahrung im Westen, wurde mit offenen Armen beim neuen Arbeitgeber empfangen, eine Wohnung in Dresden-Striesen sollte ihr neues Zuhause sein.

Doch nach 1,5 Jahren zog die Familie die Reißleine: "Es ging nicht mehr. Wegen der Arbeit oder des Gehalts sind wir nicht gegangen. Was wir im Alltag erlebt haben, wollten wir nicht mehr aushalten", sagt der Vater, der in Pakistan geboren wurde.

*Namen sind der Redaktion bekannt.

Mutter und Kinder erleben Rassismus im Alltag

Während der Enddreißiger "in einem tollen Team" auf Arbeit war, habe seine Frau, ebenfalls studierte Ingenieurin in Elternzeit, mit den Kindern auf dem Weg zum Kindergarten Pöbeleien und Aggressivität erlebt. "Im Penny oder auf der Straße wurden die Kinder ständig von älteren Leuten gemaßregelt, als würden wir dauernd klauen oder etwas zerstören. Im Bus brüllte einmal ein Mann 'Ausländer raus!'. Einer schrie sie an, 'ich bin Nazi, was willst du machen.'" Kein Passagier habe etwas gesagt oder geholfen. Fortan hätten sie den Nahverkehr gemieden.

Hass ist nie eine Lösung und nie konstruktiv. Leute, die pöbeln, geben mir ihre negative Energie. Was soll das?

Familienvater mit pakistanischer Herkunft

"Meine Frau wurde auch in einer Waschanlage beleidigt und angepöbelt", blickt der Ingenieur zurück. Ein Nachbar in Striesen habe immer wieder rassistische Beleidigungen aus dem Fenster gerufen und sich dann versteckt. "Als meine Frau ihn direkt darauf ansprach, stritt er alles ab und wurde laut." Auch Freundinnen hätten die Rufe und abwertenden Blicke mitbekommen, wenn sie mit den Kindern unterwegs gewesen seien.

Dieser Alltagsrassismus sei immer Thema gewesen: "Wenn ich nach Hause kam, war meine erste Frage: Was ist heute wieder vorgefallen? Die Kinder haben den Druck gespürt." Seine Geduld sei am Ende gewesen, als die dreijährige Tochter nachts weinend vor ihm stand und fragte, "ob der Mann vom Fenster ihre Mama erstechen" werde. "Die Kinder hatten so viel Angst. Wir mussten die Frage beantworten: Ist es das alles wert?"

Abschied von Dresden, obwohl Stadt und Arbeit schön waren

Am Ende zog die fünfköpfige Familie wieder zurück nach Bayern. Zwei Lebensläufe reichte der Ingenieur bei Arbeitgebern ein und hatte zwei Angebote auf dem Tisch. Beim Abschied in Sachsen hätten sich Arbeitskollegen, aber auch die Erzieherinnen und manche Eltern von Kindergartenfreunden dafür entschuldigt, dass seine Familie Alltagsrassimus erlebt habe.

"Wir haben so viele tolle Menschen in Dresden kennengelernt und die Schönheit der Stadt geliebt. Aber zehn Prozent der Leute machen alles kaputt und Menschen wie uns den Alltag schwer. Wie soll das ohne ausländische Fachkräfte gehen in Sachsen", fragt sich der Ingenieur.

Wir sind nicht hysterisch. Manche Sachen kann man aber nicht mehr ignorieren.

Familienvater mit pakistanischer Herkunft

Hochqualifizierte kündigen wegen Alltagsrassismus

Das fragt sich auch der einstige Personalverantwortliche des Ingenieurs*. Der Betrieb hatte lange um den Familienvater geworben und sich für sein Bleiben eingesetzt. Seine Kündigung sei fürs Team "schmerzhaft" gewesen. "Wenn die Familie privat angefeindet wird, haben wir kaum Handlungsspielräume."

*Name des Personalverantwortlichen ist der Redaktion bekannt.

„Die große Angst – Zukunft in Ostdeutschland?“ 5 min
Wahlplakat Bildrechte: MDR/Hoferichter&Jacobs

In Evaluierungsgesprächen hätten ihm auch andere Fachkräfte Alltagsrassismus als ausschließlichen Kündigungsgrund genannt. Ein Mitarbeiter aus dem Bereich Spitzentechnologie sei mit der Familie in die Niederlande gezogen, weil Frau und Kinder öfter im Bus angepöbelt wurden. "Da zieht es einem die Beine weg, wenn man das als Kündigungsgrund hört".

Da zieht es einem die Beine weg, wenn man das als Kündigungsgrund hört.

Personalverantwortlicher in einem Konzern

ein Mann in einem büro will nicht erkannt werden. Daher sieht man ihnnur schemenhaft am Tisch sitzen.
Im Interview mit MDR SACHSEN will der Personalverantwortliche für Hochqualifizierte bei einem Konzern unerkannt bleiben. Bildrechte: Adam Beyer

Frust bei Personalverantwortlichen

Ihn frustriert das Verhalten einiger Mitmenschen. Er will auch das Argument gegen ausländische Fachkräfte nicht gelten lassen, wonach es doch genügend Arbeitslose gebe, die erst mal beschäftigt werden müssten. Das hatte auch Sachsens AfD-Chef Jörg Urban in der Wahlarena von "Fakt ist! aus Dresden" angebracht, dass man sich auf die Ressource in Sachsen konzentrieren müsse. "Wir haben in Sachsen 140.000 arbeitslose Menschen und 34.000 offene Stellen (Stand Juli 2024). Da ist ein Potenzial da von Menschen, die man in Arbeit bringen kann."

Recruiter: Kein Arbeitskräfteproblem in Sachsen, sondern Fachkräfteproblem

Dem widerspricht der Personaler klar: "Nein, wie haben kein Arbeitskräfteproblem, wie haben in Sachsen ein Fachkräfteproblem. Ich kann aus einer Bäckerin in einer Umschulung keine Data-Science-Spezialistin machen oder aus einem Ungelernten einen Automatisierungsexperten mit Masterabschluss."

Ich kann aus einer Bäckerin in einer Umschulung keine Data-Science-Spezialistin machen.

Personalverantwortlicher und Recruiter

Der weggezogene Ingenieur sieht viele Wirtschaftspotenziale in Ostdeutschland. Aber: "Wegen des Alltagsrassismus, wie wir ihn erlebt haben, muss sich der Osten fragen, ob das der richtige Weg ist."

Warum ist Deutschland für ausländische Fachkräfte unattraktive? (zum Aufklappen)

  • Bei der Zufriedenheit der ausländischen Fachkräfte liegt Deutschland auf Platz 50 von 53 (Studie des Netzwerks InterNations für 53 Länder unter hochgebildeten Auswanderern). Demnach schneidet die Bundesrepublik teils katastrophal schlecht ab bei der Willkommenskultur. Faktoren wie soziale Kontakte, bürokratische Hürden und die Wohnsituation schrecken ausländische Fachkräfte ab.
  • Drei von zehn Fachkräften empfinden Deutsche als unfreundlich gegenüber Ausländerinnen und Ausländern. Mehr als die Hälfte der Befragten findet es schwierig, Freundschaften zu Deutschen zu knüpfen und sich heimisch zu fühlen (in den drei Bereichen kommt die BRD jeweils auf den 49. von 53 Plätzen).
  • Als Problem wird auch das Beharren auf der deutschen Sprache genannt.
  • Dagegen wurden die Qualität, Bezahlung und Chancen der Arbeitsplätze als attraktiv und international wettbewerbsfähig beurteilt, auch die soziale Sicherheit und das gesetzliche Sozialsystem schätzten die Befragten als gut ein. Hier die Infos zur Studie "Expat Insider 2023".

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