Automatisierung und Beschleunigung Künstliche Intelligenz: Fachkräfte-Ersatz statt Job-Killer?
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07. Mai 2024, 14:25 Uhr
Als erstes Bundesland hat Sachsen Kassensturz gemacht beim Thema Künstliche Intelligenz. Eine Untersuchung der Digitalagentur Sachsen liefert Aufschluss über die KI-Unternehmen im Freistaat, aber auch zum Stand in Wissenschaft und Forschung. Man stehe nicht schlecht da, heißt es von Seiten der Landesregierung. Doch die Zeit des Redens und Netzwerkens ist vorbei; beim KI-Kongress des Landes in Chemnitz stand Anwendung im Fokus.
In Zukunft mit weniger Menschen mehr Arbeit bewältigen – trotz dieser herausfordernden Zukunftsperspektive, zeigt sich Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) verhalten optimistisch. Zwar werde man in den kommenden zehn Jahren im Freistaat 400.000 Menschen weniger auf dem Arbeitsmarkt haben, doch technische Lösungen könnten Abhilfe schaffen.
"Deshalb ist auch der Einsatz von Robotik, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz eine Chance, dass Arbeitsprozesse umgestaltet und innovativer werden und dadurch vielleicht mit weniger Menschen auskommen", erklärt Dulig MDR AKTUELL am Rande des diesjährigen sächsischen KI-Kongresses in Chemnitz.
Künstliche Intelligenz also als Fachkräfte-Ersatz – und nicht als Job-Killer? KI werde die Arbeit nicht ersetzen, sie werde Arbeit aber verändern, so Dulig weiter. Und: "Unsere Unternehmen werden die Transformation nur schaffen, wenn sie auch die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz nutzen."
Status Quo bei KI in Sachsen
Und die Chancen dafür stehen gar nicht einmal so schlecht. Die Untersuchung der Digitalagentur Sachsen zum Status Quo bei der KI hat selbst für Studienleiter Christian Papsdorf noch überraschende Befunde gebracht. Die Breite aber auch Tiefe der sächsischen KI-Landschaft habe ihn überrascht. "Wir wussten bisher nicht, welche KI-Studiengänge und welche Inhalte wir haben. Und wir wussten auch nicht, was wir für Unternehmen haben. Bekannt sind ja immer nur die Leuchttürme."
Knapp 200 KI-Unternehmen sind es aktuell im Freistaat. Dazu rund 160 Professuren, 48 Studiengänge, zahlreiche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und 18 Netzwerke zum Thema KI. Kein Grund euphorisch zu werden, betont Minister Martin Dulig bei der Vorstellung der Ergebnisse, aber doch ein ganz guter Befund. Ausgangsbasis sei die "exzellente Forschungslandschaft" in Sachsen. Und so finden sich die meisten KI-Unternehmen dann auch in den Universitätsstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz.
KI-Hotspot Dresden
Dresden hat sich im Freistaat zu einem regelrechten Hot-Spot für KI-Unternehmen entwickelt. 43 Prozent der sächsischen KI-Betriebe sitzen in der Landeshauptstadt.
Eines davon ist das Medizin-Digital-Startup "Katana Labs". Einer der Geschäftsführer ist Falk Zakrzewski. Seine Firma kümmert sich um einen sehr speziellen aber nicht minder wichtigen Fall von 'mehr Arbeit und weniger Menschen'. Zakrzewski und seine Partner haben eine KI entwickelt, mit der die Arbeit von Pathologinnen und Pathologen bei der Krebsdiagnostik unterstützt werden kann. Der Clou: Die KI erkennt und zählt Krebszellen in Sekundenschnelle, wo Mediziner bis zu einer Stunde brauchen.
"Das Problem ist, dass die Anzahl der Krebsanalysen immer mehr zunimmt, aber die Anzahl der Pathologen sinkt", erklärt der Wissenschaftler und Gründer. "Das heißt, wir haben praktisch das Problem, dass wir zwar alle eine gute Krebstherapie haben wollen, aber die Krebsdiagnostik gefährdet ist, weil der Pathologe die ganze Arbeit nicht mehr schafft." Mit Systemen wie dem von Katana Labs habe man möglicherweise eine bessere Chance, den "Krebs-Tsunami", der auf uns zurolle, zu überleben, so Zakrzewski.
Komplett überflüssig werden Gerichtsmediziner damit nicht. Sie bekommen lediglich ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie die vorhandene Menge an Gewebeproben und Daten besser und schneller verarbeiten können. Davon profitieren nicht zuletzt Patientinnen und Patienten, die so zügig eine passende Therapie bekommen.
KI und der Arbeitsmarkt
Bei den wenigsten Berufen werde die Tätigkeit komplett automatisierbar sein, schätzt die Arbeitsmarktforscherin Andrea Hammermann.
Die Ökonomin arbeitet am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und hat im vergangenen Herbst mit anderen eine Untersuchung zu KI und Arbeitsmarkt veröffentlicht. Darin kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass es keinen belastbaren Zusammenhang zwischen dem Einsatz von KI und der Zahl der Mitarbeitenden gibt. "Das bedeutet aber nicht, dass sich der Beruf an sich gar nicht verändert", so Hammermann im Gespräch mit MDR AKTUELL. Wenn etwa der Großteil eines Jobs in der Wartung von Industrieanlagen bestand, dann könne das von KI unterstützt oder sogar ganz abgenommen werden.
Das passiert zum Beispiel gerade in Werken der Chip-Industrie. Das Startup "Coderitter" aus Dresden arbeitet mit dem Chip-Riesen Global Foundries zusammen. "Coderitter" hat sich auf die Schnittstelle von KI und dem sogenannten Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) spezialisiert. Das IoT verbindet physische Objekte über Sensoren und Software miteinander. Für die Chip-Fabrik hat das Startup eine KI entwickelt, die dabei hilft sogenannte produktionskritische Reinstwasserventile zu Überwachen. Ventile also, die nur mit Wasser arbeiten können, das sauberer ist als Leitungswasser. Ohne das Reinstwasser und ohne die Spezialventile würde die Chip-Produktion stillstehen. Und genau das will Global Foundries verhindern, erklärt "Coderitter"-Co-Gründerin Fatlinda Nikqi.
Bisher seien die Reinstwasserventile von erfahrenen Mitarbeitern überwacht worden, die durch das Hören auf Störgeräusche frühzeitig Fehler erkennen konnten, so Nikqi. Diese Methode sei jedoch anfällig für menschliche Fehler, ineffizient und setze ein tiefes, oft schwer zu übertragenes Erfahrungswissen voraus. "Angesichts eines zunehmenden Fachkräftemangels und des hohen Produktionsdrucks, mit einer notwendigen Auslastung von 92 Prozent zur Sicherstellung der Profitabilität, wird eine zuverlässigere Lösung benötigt." Und diese Lösung lieferte "Coderitter" dem Halbleiterproduzenten.
Veränderung, Chancen und ethische Grundlagen
Tätigkeitsprofile würden sich so einfach verändern, sagt Arbeitsmarktforscherin Andrea Hammermann. Die "Tätigkeit passt sich einfach den technologischen Möglichkeiten an". Das Erfreuliche sei, so Hammermann weiter, dass KI und auch andere Digitalisierungstechnologien Routinearbeiten abnehmen könnten, die ohnehin nicht sonderlich produktiv seien.
An diesem Punkt setzt zum Beispiel das Projekt PAL an. PAL steht für "Perspektive, Arbeit, Lausitz". Es wird gefördert vom Bundesbildungsministerium. Beteiligt sind u. a. die TU Dresden, die Hochschule Mittweida und die Westsächsische Hochschule Zwickau. Das Projekt begleitet die Einführung datenbasierter Assistenzsysteme in Unternehmen der Lausitz. Der Mensch steht hier im Mittelpunkt, KI soll vor allem Unterstützung bieten. Etwa bei Montagearbeiten, bei Entscheidungsprozessen in der Fertigung und bei der Transportlogistik. Ein weiterer Punkt: das Vermeiden monotoner Tätigkeiten, etwa Schweißen oder Graten – schwere Arbeiten, die kaum noch jemand machen möchte, erklärt Projektmanagerin Carolin Böhme. Sie erzählt auch von Tests in Feuerwehrleitstellen, wo eine KI Stress und Müdigkeit der Mitarbeitenden erkennt und zu Bildschirmpausen animiert.
Damit der KI-Transformationsprozess im Dienste des Menschen und nicht an ihm vorbei passiert, hat Sachsen – auch hier als erstes Bundesland – den Weg geebnet für einen "Beirat für digitale Ethik". Auf Anfrage teilt das sächsische Justizministerium, das die Federführung hat, mit, dass der Beirat in der zweiten Jahreshälfte einberufen werden soll – und zwar für die kommende Legislaturperiode 2024 bis 2029. Derzeit laufe noch ein Berufungsverfahren.
Ende des Jahres soll der digitale Ethik-Rat seine Arbeit aufnehmen. Schriftlich teilt das Ministerium mit: "Der Ethik-Beirat wird ein unabhängiges Gremium sein, bestehend aus Expertinnen und Experten aus den Bereichen Ethik, Wirtschaft, Technologie, Medien und den Rechtswissenschaften. Auch die zivilgesellschaftliche Perspektive wird eine Rolle spielen." In den kommenden Wochen wolle man über mögliche Kandidatinnen und Kandidaten beraten, "die dann von der jeweils ressortzuständigen Ministerin oder dem zuständigen Minister im Einvernehmen mit der neuen Staatsregierung in den Beirat berufen werden sollen".
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 16. April 2024 | 17:48 Uhr