Nationalpark Sächsische Schweiz: Konstruktive Uneinigkeit beim zweiten Bürgerdialog
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22. November 2023, 20:17 Uhr
In Bad Schandau haben sich am Dienstagabend Anwohner sowie die Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz und Vertreter der Politik zu einem Gesprächsforum getroffen. In mehreren Diskussionsrunden beriet man sich über die Zukunft des Tourismusmagneten und was die Lehren aus dem Waldbrand von 2022 gewesen sind. Die Frage, ob der Nationalpark noch in dieser Form Nationalpark bleiben sollte, wird allerdings Streitpunkt bleiben. Reporter Martin Dietrich berichtet von seinen Eindrücken.
- Einige Dutzend Anwohner der Sächsischen Schweiz trafen sich zum zweiten Gesprächsforum der Nationalparkverwaltung.
- Es wurde viel gesprochen, nicht überall konnte ein Konsens gefunden. Einige Anwohner fordern mehr Mitspracherecht.
- 2024 soll es weitere solcher Dialogangebote geben.
"Konstruktiv": Dieses Wort hört man an diesem Dienstagabend in Bad Schandau häufig. Doch manchmal blitzt eine Unzufriedenheit durch die Diskussionsrunden hindurch, die zeigt, dass die Sächsische Schweiz für viele auch ein sehr emotionales Thema ist. "Sie machen einen sympathischen Eindruck", setzt ein älterer Herr an, als er gerade mit einem Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung spricht. "Aber Sie sind mein Feind!"
Auslöser für diese Aussage war der 2018 durch den Nationalpark eröffnete "Forststeig Elbsandstein", der als Wanderroute durch Deutschland und Tschechien führt und nach Empfinden des Anwohners zu viel "Unruhe" in die Region bringe. Es sind nicht die einzigen Streitpunkte, bei denen sich ein größerer Interessenskonflikt abzeichnet.
Zweites Gesprächsforum in diesem Jahr
Bereits im September traf man sich zum ersten Gesprächsforum in Sebnitz. Wie damals können die Anwesenden vier Themenrunden beiwohnen: Waldbrandschutz, Tourismusentwicklung, Wege im Nationalpark und die allgemeine Waldentwicklung.
Zu Beginn erläutert ein Experte der Nationalparkverwaltung oder des Sachsenforsts die aktuelle Lage, anschließend wird offen diskutiert. Nach 45 Minuten wird der Gesprächstisch gewechselt, bevor der gesamte Abend zusammengefasst wird. Wer dann noch Fragen hat, kann sie schriftlich abgeben. Etwa 70 Personen sind gekommen, darunter auch der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU), der womöglich hofft, seine Bekanntheit im Wahlkreis zu steigern. Schuster kandidiert für die Landtagswahl 2024 im Landkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge.
Bürgerforderung: Bessere ÖPNV-Anbindungen
Dass es viel Gesprächsbedarf gibt, ist überall spürbar. Ein Zahnarzt aus einem Nachbarort ist gekommen und fragt sich, warum man denn nicht auf alte Wasserreservoire wie die Niedere Schleuse bei Sebnitz zurückgreift, wenn es wieder brennt. Als Antwort wurde ihm gesagt, dass der verwaltungstechnische Aufwand dafür zu groß wäre. Auch das Schicksal des Bastei-Kiosks wurde kurz angerissen.
Gastronomen und Hotelbesitzer grübeln zudem über mögliche autofreie Zonen in der Sächsischen Schweiz und wie der ÖPNV noch besser Lücken in der Infrastruktur schließen kann. Touristen würden immer wieder auf Anwohnergrundstücken parken oder Rettungswege blockieren, heißt es. Jemand schlägt vor, dass eine Online-Plattform eingerichtet werden könnte, die Besuchern und Besucherinnen automatisch freie Parkplätze anzeigt.
Am Ende kristallisiert sich heraus, dass sich die Region durch drei Arten von Touristen auszeichnet, die jeweils eigene Herausforderungen mit sich bringen: Tagestouristen, Übernachtungstouristen und Berliner, die nach Empfinden der Einwohner mit der Natur zu rabiat umgehen.
Bürgerinitiative macht sich für Naturpark stark
Die witzige Anmerkung trifft durchaus einen wahren Kern. Denn ein Teil der Anwesenden sympathisiert oder ist Teil der Bürgerinitiative "Naturpark Sächsische Schweiz". Statt eines Nationalparks mit engmaschigem Regelwerk strebt man eine Gesetzesänderung an, um aus der Wald- und Felsenlandschaft einen Naturpark zu machen. Dieser würde dem Menschen wieder eine größere Handhabe über die Art und Weise geben, wie sich die Natur entwickelt.
Vor Kurzem ging eine Petition der Bürgerinitiative zu Ende. Mehr als 8.500 Unterschriften kamen für das Vorhaben zusammen. Mitte Dezember beschäftigt sich der Petitionsausschuss im Landtag mit dem Vorschlag. Aus der Politik hat die Naturpark-Initiative allerdings bisher nur wenig Rückhalt.
"Wir können als Anwohner und Einheimische nicht mehr mitreden. Wir haben kein Mitspracherecht mehr. Und das ist der große Knackpunkt am Nationalpark", sagt ein Gastronom. Das große Problem sei seiner Meinung nach, dass der Nationalpark am Ende keiner regionalen Behörde unterstehe, sondern der Bund in der Hauptstadt und das Bundesnaturschutzgesetz entscheidet.
Erholung der Natur dauert
Grenzüberschreitende Wege würden wegrationalisiert und zu wenig gegen invasive Baumarten wie die Roteiche getan werden. "Gesetze von weit weg bestimmen über unsere Heimat, in der wir seit Generationen leben", fasst Christoph Hasse, Gründungsmitglied der Bürgerinitiative zusammen. Es ist ein kaum zu lösender Konflikt, der sich auch durch Politikverdrossenheit zu nähren scheint.
Das Motto des Nationalparks "Natur, Natur sein lassen" passt für einige nicht zur schnelllebigen Natur des Menschen. Die Hälfte der Fichten sind im Gebiet bereits abgestorben. Tote Bäume erhöhen die Umsturzgefahr, was wiederum nicht nur eine ästhetische Frage ist, sondern auch gefährlich für Wanderer ist.
Dem Wald an sich ist das relativ egal. Sobald die Fichten-Monokultur wegbricht, wird sich daraus ein gesunder Mischwald formen, so die Hoffnung der Nationalparkverwaltung. Doch das dauere, wahrscheinlich Hunderte Jahre. "Für mich ist ganz wichtig, dass der Naturschutz nur mit dem Menschen geht. Wir haben hier seit 200 Jahren Touristen da. Also haben wir eine große Kulturlandschaft", sagt eine weitere Anwohnerin.
Weitere Bürgerdialoge sollen 2024 folgen
Der Pressesprecher des Nationalparks Hanspeter Mayr kann die Kritik der Bürgervereinigung durchaus nachvollziehen. Nach dem Waldbrand 2022 hätten viele Anwohner Angst um ihre Grundstücke gehabt. Über das Thema Totholz wird bis heute hitzig gestritten. "Diese Ängste wollen wir ernst nehmen und haben entsprechend unsere Aktivitäten zum vorbeugenden Waldbrandschutz erhöht", sagt Mayr.
150 neue Schilder wurden aufgestellt, die über das Feuerverbot im Nationalpark informieren. Drei neue, mobile Zisternen sollen Einsatzkräfte bei der Bekämpfung von Waldbränden helfen. Zudem haben einige Ranger eine Drohnenausbildung absolviert, um schnell potenzielle Brandherde zu identifizieren. Die Landesregierung stellt im Rahmen eines Sonderprogramms 30 Millionen Euro zur Verfügung, die in Fahrzeuge, Ausrüstung und Ausbildung investiert werden können.
Mayr zieht trotz mancher Streitpunkte ein positives Fazit am Ende des zweiten Gesprächsforums. "Für uns als Nationalparkverwaltung ist dieser Austausch ganz wichtig, um Meinungen erstens mitzubekommen und dann in konstruktiven Gesprächsrunden spüren zu können, ob es ein breiteres Meinungsbild repräsentiert oder es Einzelmeinung sind. Unabhängig davon, dass auch Einzelmeinungen wertvoll sind", sagt er.
"In mindestens drei Gruppen gab es konkrete Hinweise, die wir auch mit ins Verwaltungshandeln mitnehmen." 2024 soll es weitere solcher Gesprächsrunden geben, erklärt Mayr.
Auch der Bürgermeister von Bad Schandau, Thomas Kunack, schließt sich dem positiven Tenor an. "Die Bürger haben ordentlich und sachlich miteinander gesprochen. So wie man es von einem Bürgerdialog erwartet. Natürlich wurden auch kritische Themen angesprochen, aber das gehört dazu. Dafür gibt es solche Runden."
Weniger Anwesende als im September
Zum ersten Gesprächsforum sind in Sebnitz noch rund 100 Diskutanten dem Aufruf der Nationalparkverwaltung gefolgt. Das ist auch den Anwesenden aufgefallen. "Es ist erschreckend für mich als Einwohnerin von Bad Schandau, wie wenig Interesse es für diese Themen hier gibt", meint eine Frau, die sich gewünscht hätte, dass mehr junge Leute gekommen wären. Da in den letzten Jahren zahlreiche Katastrophen die Region heimsuchten, wie Hochwasser und Waldbrände, müsse doch jedem die Relevanz klar sein, sagte sie.
Auch Martin Nitsche aus Pirna, der sich über die Möglichkeit freut, seine Meinung kundzutun und dadurch den Nationalpark mitzugestalten, würde sich über eine höhere Resonanz freuen. "Es müsste ein breiterer Schnitt in der Gesellschaft teilnehmen, weil dann würde es noch mehr zum Erfolg führen", sagt Nitsche. "Dann erhöht sich automatisch der Druck, damit sich etwas ändert."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Dresden | 23. November 2023 | 14:30 Uhr