Inszeniertes Foto eines Videotelefonats zwischen zwei Frauen mit Headsets
Wer zuhause nicht die notwendige Technik hat, konnte dafür einen Raum im Rathaus nutzen, der von der Stadt zur Verfügung gestellt wurde. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Augenärzte Lob und Kritik für Telemedizin-Projekt in Olbernhau

18. April 2024, 17:55 Uhr

Die ärztliche Versorgung im ländlichen Bereich ist eine Dauer-Baustelle. Hausärzte und Spezialisten wie Augenärzte oder Zahnärzte werden immer rarer. In Olbernhau sucht die Stadt nun nach neuen Wegen, um die medizinische Versorgung im Bereich der Augenheilkunde zu gewährleisten. Nach dem ersten Durchgang eines Pilotprojekts sind die Meinungen darüber geteilt.

Die Erzgebirgsgemeinde Olbernhau hat ein telemedizinisches Pilotprojekt für Augenheilkunde ins Leben gerufen. Schon seit fünf Jahren fehlt in der Stadt eine entsprechende Praxis. "Wir mussten nach Lösungen suchen. Denn der Bedarf ist riesig", sagt Olbernhaus' Bürgermeister Jörg Klaffenbach (parteilos) MDR SACHSEN.

Anfang des Jahres setzte sich die Stadt mit einem Berliner Start-Up in Verbindung. Dieses stellte eine Lösung für den Ort in Aussicht: Telemedizin - im Bereich der Augenheilkunde bislang relativ neu in Deutschland.

Mitte März gab einen ersten Durchlauf. Das Untersuchungsteam des Start-ups "Mirantus" kam in den Ort und führte nicht-ärztliche Untersuchungen und Messungen durch. Mit den Ergebnissen konnten die Patientinnen und Patienten im Anschluss in Videosprechstunden mit Augenärzten sprechen. Diagnosen oder Befunde gibt es bei der ersten Untersuchung laut der Mirantus GmbH jedoch noch nicht.

Die Optometristen, die die Untersuchungen durchführen, sind keine Ärzte. Sie sind in der Regel ausgebildete Augenoptikermeister mit entsprechenden Zusatzqualifikationen wie Studium oder IHK-Lehrgängen, erklärt Claus Gruber, ein Start-up-Mitbegründer. Sein Unternehmen vermittle dann aber Augenärzte für die Videosprechstunden, bei denen die Untersuchungsergebnisse ausgewertet werden.

Es sei jedoch keine Pficht, an einer Videosprechstunde teilzunehmen: "Die Wahl des Augenarztes ist jedem frei überlassen. Wer mit seinem eigenen Augenarzt die Ergebnisse besprechen möchte, kann dies genauso tun", sagt Gruber.

Eingeschänkte Behandlungsmöglichkeiten sind ein Problem

Doch es gibt noch Haken: Bei den Videosprechstunden sei im Bedarfsfall eine unmittelbare Behandlung nicht möglich, sagt der Bürgermeister. Ein Sprecher des Start-ups ergänzt: "Therapien, die einen physischen Kontakt erfordern, wie zum Beispiel Operationen oder die Entfernung von Fremdkörpern, können über die Videosprechstunde nicht abgebildet werden. Genau darüber grübeln derzeit die Krankenkassen.

Auf MDR-Anfrage teilte die BARMER-Sprecherin Claudia Szymula mit, den neuen Versorgungsformen "sehr offen" gegenüber zu stehen. Auch TK-Sprecherin Katrin Lindner sagte MDR SACHSEN "Wir sehen darin eine große Chance, gerade auch in unterversorgten Gebieten die ärztliche Betreuung unserer Versicherten sicherzustellen."

Erstmal zogen die Organisatoren ein positives Fazit: Das Angebot sei gut angenommen worden, finden Jörg Klaffenbach und Claus Gruber. Weit über Olbernhau hinaus habe es Anfragen gegeben. Innerhalb von drei Tagen seien mehr als 300 Menschen gekommen. Mehr als 40 von ihnen hätten angegeben, schon mal von einem Augenarzt abgelehnt worden zu sein, sagte Claus Gruber MDR SACHSEN.

Der Augenarzt kommt praktisch ins Haus.

Jörg Klaffenbach Bürgermeister Olbernhau

Eine Frau wird von einem Augenarzt untersucht
Sogenannte Optometristen untersuchen die Patienten vor Ort. Die Sprechstunde danach erfolgt übers Internet. (Symbolbild) Bildrechte: colourbox

Doch wie kam das Angebot bei den Patienten an?

"Der Augenarzt kommt praktisch ins Haus", wirbt Bürgermeister Klaffenbach. Ganz anders hat es Klaus Reichmann, der bei dem Versuch als Patient mitgemacht hat, erlebt. Die Erwartungen des 77-Jährigen wurden enttäuscht und er findet deutliche Worte: "Die Videosprechstunde war ein Schuss in den Ofen", sagt er. Technisch habe zwar alles einwandfrei geklappt, aber die Sprechstunde selbst habe gerade mal zwei Minuten gedauert, sagte er.

Klaus Reichmann klagte über brennende Augen und darüber, dass er sehr viel Licht brauche, um gut zu sehen. In Olbernhau wurde ihm der Augenhintergrund ausgemessen. Allerdings nicht so, wie er es von seiner Augenärztin kenne: "Die tropft die Augen immer ein, damit sich die Pupillen weiten. Das wurde hier nicht gemacht." Er habe sich zwar etwas gewundert, aber nichts weiter dabei gedacht, da er vermutete, dass das Untersuchungsteam vielleicht andere Geräte nutze.

Die große Enttäuschung kam mit der Sprechstunde. Dort sagte ihm ein Augenarzt per Videoschalte, dass alles in Ordnung sei: "Als ich ihm kurz meine Wehwechen beschrieb, blendete er den Namen von einem Spray ein. Das ging aber viel zu schnell." Aufschreiben können habe er es nicht. Im Nachhinein gab es weder eine E-Mail noch ein Rezept. "Ich habe für die Voruntersuchung 40 Euro bezahlt und bin jetzt eigentlich so schlau wie vorher", sagt er.

Die Videosprechstunde war ein Schuss in den Ofen.

Klaus Reichmann hat Telemedizin als Patient getestet

Mann vor einer Buchstabentafel beim Augenarzt
Klaus Reichmann hat beim Telemedizinprojekt mitgemacht und ist enttäuscht. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Positive Erfahrungen hat hingegen Friseurmeisterin Mandy Partzsch-Stephani gemacht. "Ich fand's rundum in Ordnung und habe mich gut betreut gefühlt", sagte die 54-Jährige MDR SACHSEN. Mit der Voruntersuchung und der Videosprechstunde sei sie zufrieden. Gedauert habe die Videosprechstunde etwa fünf bis zehn Minuten. Zuvor habe es einen kurzen Technik-Test gegeben. Für ihre trockenen Augen wurde ihr in der Sprechstunde von einem Leipziger Augenarzt eine Behandlung empfohlen. Hier enden allerdings die Möglichkeiten der Telemedizin.

Der Arzt aus der Videosprechstunde habe ihr angeboten, zu ihm nach Leipzig zu kommen. Letztlich habe sie nun einen Termin im Juni in Chemnitz. "Fahrzeit: eine Stunde, aber immerhin ist es näher als Leipzig und näher als mein bisheriger Augenarzt in Dresden", sagt sie. "Mein Fazit ist positiv. Mir wurde hier eine ganz andere Behandlung vorgeschlagen, als von dem Augenarzt, bei dem ich bislang in Behandlung war. Ich hoffe, sie hilft auch."

Ich fand's rund rum in Ordnung und habe mich gut betreut gefühlt.

Mandy Partzsch-Stephani hat Telemedizin als Patientin getestet

Kosten für die Voruntersuchung müssen selbst gezahlt werden

Die Kosten in Höhe von 40 Euro für die Voruntersuchung müssen die Patientinnen und Patienten derzeit noch selbst zahlen. Von den Krankenkassen werde das derzeit noch nicht erstattet. Wie Medizin-Unternehmer Gruber erklärt, sind die 40 Euro notwendig, um Ausgaben für Personal, Technik und Fahrtkosten zu decken. Die Kostenübernahme wird derzeit von den Krankenkassen geprüft. Einige Krankenkassen stehen bereits mit dem Berliner Start-up Mirantus in Kontakt, wie beispielsweise die BARMER und die Techniker Krankenkasse (TK).

Bürgermeister Klaffenbach hat bei der Kassenärztlichen Vereinigung wegen der Übernahme der Kosten angefragt. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass diese Untersuchungen bei den Augenärzten zum Teil auch kostenpflichtig seien. Dies bestätigt auch die Krankenkasse BARMER auf Anfrage. Immerhin: Die Videosprechstunden selbst werden von den privaten und gesetzlichen Krankenkassen als Teil der Regelversorgung übernommen, teilen die BARMER, die AOK und die TK übereinstimmend mit. Die Fachärzte rechnen die Videosprechstunden wie jede andere Leistung in ihrer Praxis ab.

Grenzen der Telemedizin sieht auch die BARMER. Sprecherin Claudia Szymula bringt an: "Nicht alle Patienten können ausschließlich durch eine Videosprechstunde betreut werden. Wie das sichergestellt werden kann, ist derzeit noch offen." Mirantus selbst erbringe keine medizinischen Leistungen. Daher liege die Hauptverantwortung auch weiterhin bei den behandelnden, niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen. Diese würden entscheiden, ob ein persönlicher Kontakt aus medizinischer Sicht notwendig sei und wie die weitere Behandlung erfolgen soll.

Mobile Untersuchungsmöglichkeiten können aus Sicht der BARMER zwar den kurzfristigen Untersuchungsbedarf verbessern, ein eventuell notwendig werdende Dauerbetreuung allerdings nicht. Ob ein solches Projekt zum Erfolg wird, liege auch an der Einschätzung und dem Interesse von niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen.

Nächste Termine Anfang Mai

Ob sich das Pilotprojekt in Olbernhau verstetigen wird, werde die Resonanz der kommenden Durchgänge zeigen, erklärte Medizin-Unternehmer Gruber. Für Bürgermeister Klaffenbach überwiegen die Vorteile:  "Kurzfristige Terminvergabe, kurze Wartezeiten vor Ort, schnelle Auswertung und anschließende Sprechstunde." Nun soll es Anfang Mai einen weiteren Durchlauf geben. Interessierte können sich noch für Termine vom 6. bis zum 8. Mai anmelden.

MDR (mwa)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 14. März 2024 | 07:30 Uhr

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