Fünf Jahre danach Prozess zu Ausschreitungen in Chemnitz 2018: Zwei Angeklagte fehlen
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11. Dezember 2023, 12:37 Uhr
Ein tödlicher Messerangriff am Rande des Stadtfestes versetzte Chemnitz 2018 in Aufruhr. Ausländerfeindliche Proteste und Ausschreitungen waren die Folge. Jetzt hat am Landgericht ein Prozess wegen Landfriedensbruchs gegen sechs Teilnehmer einer rechten Demo begonnen. Zum Prozessbeginn erschienen nur vier der sechs Angeklagten.
- Sechs Männer müssen sich vor dem Landgericht wegen Landfriedensbruchs verantworten. Zum Prozessbeginn fehlen zwei.
- Ursprünglich richtete sich der Prozess gegen neun Angeklagte.
- Vertreter von Opfern der Ereignisse von 2018 kritisieren die sächsische Justiz für den späten Prozessbeginn.
Mehr als fünf Jahre nach einem tödlichen Messerangriff beim Chemnitzer Stadtfest und anschließenden Ausschreitungen geht am Landgericht Chemnitz die juristische Aufarbeitung des Geschehens weiter. Wie das Gericht mitteilte, hat am Montag ein Prozess wegen Landfriedensbruchs gegen sechs Angeklagte begonnen. Zum Auftakt erschienen vier von ihnen am Landgericht. Zu den Vorwürfen schwiegen sie. Zwei Angeklagte fehlten.
Zwei der sechs Angeklagten fehlen - Verfahren abgetrennt
Einer von ihnen befindet sich seit dem 8. Dezember 2023 in einer psychiatrischen Klinik. Aktuell steht er unter Betreuung. Der zweite fehlende Angeklagte wird per Haftbefehl gesucht. Der bundesweit bekannte Neonazi aus Dortmund hätte am 17. November 2023 eine Haft antreten müssen. Seitdem fahndet die Polizei nach dem rechten Szene-Blogger.
Das Landgericht stimmte deshalb zu Prozessbeginn einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft zu, die Verfahren abzutrennen. Die Verteidiger der Angeklagten sprachen sich zuvor für die Aussetzung des Verfahrens aus.
Drei Angeklagte aus Sachsen
Den vier Männern im Alter von 26 bis 44 Jahren wird vorgeworfen, nach einem sogenannten Trauermarsch von AfD, Pegida und Pro Chemnitz am 1. September 2018 Teilnehmer einer Gegendemonstration angegriffen zu haben. Von den sechs Angeklagten kommen drei aus Sachsen, einer von ihnen aus Chemnitz, und einer aus Niedersachsen. Es sind elf Verhandlungstermine bis Ende Januar geplant. Für den Prozess hat das Landgericht Chemnitz erhöhte Sicherheitskontrollen angeordnet.
Ursprünglich waren neun Personen angeklagt
Ursprünglich sollte gegen neun Angeklagte verhandelt werden, doch nach Angaben des Gerichts schieden zwei Männer aus dem Verfahren aus, weil sie untergetaucht sind. Einem von ihnen, einem Bulgaren, konnte laut Gericht die Ladung nicht zugestellt werden, so dass das Verfahren abgetrennt wurde.
Bei einem weiteren Mann wurde das Verfahren eingestellt, weil "die zu erwartende Strafe angesichts der in einem anderen Verfahren verhängten Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fiele", so eine Gerichtssprecherin.
Ermittlungen und Prozesse nach den Ausschreitungen in Chemnitz 2018
Nach den Ausschreitungen in Chemnitz im Zusammenhang mit dem Tod von Daniel H. wurden mehr als 240 Ermittlungsverfahren eingeleitet und 235 Tatverdächtige ermittelt.
Die 142 Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Chemnitz in diesem Zusammenhang sind abgeschlossen. Davon wurden 97 eingestellt, weil keine Täter ermittelt oder die Tat nicht nachgewiesen werden konnte.
Von den rund 100 Verurteilungen konnten 51 eindeutig dem politisch rechten Spektrum zugeordnet werden. In den meisten Fällen wurden Geld- oder Bewährungsstrafen verhängt.
Es ging um Volksverhetzung, Beleidigung, Widerstand und Angriff auf Polizisten, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Mehrere Gerichtsverfahren stehen noch aus.
Langes Warten auf Prozess
Der Prozess ist der erste von insgesamt drei Verfahren zu den Krawallen am 1. September 2018. Es seien insgesamt 29 Beteiligte ermittelt worden, sagte die Sprecherin. Elf Menschen waren bei den Angriffen verletzt worden. Die Termine für die anderen beiden Prozesse stehen noch nicht fest. Wegen der Corona-Pandemie habe nicht eher begonnen werden können.
Bei den Angeklagten handle es sich in großen Teilen um organisierte Neonazis, erklärte André Löscher, der für den Verein RAA Sachsen seit vielen Jahren in Chemnitz Betroffene rechter Gewalt berät. Sie seien kampfsportgeschult, um politische Gegner einzuschüchtern, anzugreifen und zu verletzen.
Scharfe Kritik an juristischer Aufarbeitung
Opfervertreter haben die sächsische Justiz für den späten Prozessbeginn scharf kritisiert. Sie habe Betroffene rechter Gewalt wiederholt im Stich gelassen, erklärte die Nebenklagevertreterin Kati Lang. Sie räumte ein, dass es sich um ein sehr umfangreiches Verfahren handle. Aus ihrer Sicht hätte das Ganze aber auch mit Blick auf die bundesweite Tragweite engagierter vorangetrieben werden müssen. "Das Landgericht Chemnitz schreibt bisher kein Ruhmesblatt für die Aufklärung rechter Gewalttaten", sagt sie. "Für die Betroffenen ist das extrem frustrierend."
Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) sprach von einer "katastrophalen juristischen Aufarbeitung". Dies entmutige die Angegriffenen und stärke militante Neonazi-Netzwerke.
Das Landgericht Chemnitz schreibt bisher kein Ruhmesblatt für die Aufklärung rechter Gewalttaten. Für die Betroffenen ist das extrem frustrierend.
Rassistische Angriffe 2018
Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes war am 26. August 2018 ein Deutscher im Streit mit Asylbewerbern erstochen worden. Ein Syrer wurde später wegen Totschlags verurteilt, ein weiterer Beteiligter ist auf der Flucht. Die Gewalttat führte in der Stadt zu massiven Protesten, bei denen Neonazis und Fußball-Hooligans Seite an Seite mit zuvor unauffälligen Bürgern demonstrierten. Es gab rassistische Angriffe und einen Anschlag auf ein jüdisches Restaurant; auch von Hetzjagden war die Rede. Außerdem gründete sich eine rechtsextreme Terrorgruppe.
Als Reaktion auf die Ereignisse haben auf dem Konzert "Wir sind mehr" Die Toten Hosen, Kraftklub und andere Künstlerinnen und Künstler gegen Rassismus gespielt. 2019 legte Chemnitz dann erstmals das Kosmos-Festival auf, als Antwort auf die rechten Ausschreitungen ein Jahr zuvor und als Weiterführung von "Wir sind mehr".
MDR (sat/ali/)/dpa/epd
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 11. Dezember 2023 | 19:00 Uhr