Bildung Lehrerin aus Mittweida: "Die Oberschule ist für mich der perfekte Ort"
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20. Januar 2024, 09:34 Uhr
Oberschulen haben seit Langem ein schlechtes Image. Leistungsschwächen, ADHS, Sprachdefizite –vielen Eltern erscheint die Oberschule als ein Graus. Über ihre positiven Erfahrungen, berichtet Anna Vogt im Gespräch mit MDR SACHSEN. Sie ist Lehrerin an der Fichteschule in Mittweida.
Frage: Frau Vogt, warum sind Sie Lehrerin geworden?
Anna Vogt: Ich kann nicht leugnen, dass es eine gewisse Vorprägung gibt. Meine Mutter als Grundschullehrerin wollte mir den Lehrerberuf immer ausreden - doch sie hat es nicht geschafft.
Ihre Mutter wollte Ihnen das Lehrersein ausreden, warum?
Weil viele Lehrerinnen und Lehrer wegen der Zustände im Bildungswesen unzufrieden und frustriert sind. Doch das hat mich nicht abgehalten. Für mich war relativ früh klar, dass ich Lehrerin werden möchte. Spätestens als ich das Abi in der Tasche hatte, dachte ich: Jetzt kannst Du auch Lehramt studieren.
Was hat Sie so sicher gemacht, dass Sie in diesem Job richtig sind?
Seitdem ich 16 Jahre alt war, habe ich jedes Jahr auf einem Campingplatz an der Ostsee in der Kinderanimation gearbeitet. Im Nachbarort betreute ich die Hortkinder. Dabei bemerkte ich immer mehr, wie sehr mir die Arbeit mit Kindern liegt. Vor meinem Studium unterstützte ich meine Mutter bei Organisation und Hilfsarbeiten in der Schule, später absolvierte ich Praktika in der Förderschule. Spätestens jetzt, wusste ich wohin die Reise geht.
Wohin ging sie?
Nicht in die Grundschule, die Grundschüler sind mir zu klein. Ich wollte in die Sonderpädagogik. Die Vielfalt der Persönlichkeiten hat mich gereizt. Allerdings wurde ich beim Studium nicht angenommen, mir hat ein Zehntel des erforderlichen Numerus Clausus gefehlt. Doch weil mich Deutsch und Geschichte schon immer interessiert hat, studierte ich eben das - ohne Lehramt. Unser Geschichtsprofessor begrüßte uns mit den Worten "Herzlich willkommen bei der zukünftigen Generation der Taxifahrer". Die Jobchancen wurden damals als nur sehr mäßig bewertet.
Letztlich sind Sie doch in der Schule gelandet?
Später ergab sich die Möglichkeit, zum Lehramtsstudium Oberschule zu wechseln. Weil wir mittlerweile an der Oberschule so integriert unterrichten, entschied ich mich dafür. Hier werden ganz verschiedene Kinder: Schüler mit ihren eigenen Geschichten, manche mit Diagnosen, Kinder unterschiedlicher Herkunft, alle mit ihren eigenen Schwächen - und Stärken.
Integriert unterrichten, was andere verschreckt hat, hat Sie überzeugt?
Mich interessiert das Vielfältige, die Persönlichkeiten der Kinder und der emotionale Zugang. Es ist ein guter Zufall. Für mich ist die Oberschule der perfekte Ort.
Was meinen Sie mit "das Vielfältige"?
Auf der Oberschule haben wir eine heterogene Schülerschaft. Es gibt viele Migrantenkinder, die andere Kulturen und Sprachen mitbringen. Das ist bereichernd. Seit zwei Jahren lernen bei uns auch zwei Autisten, das ist wieder etwas anders. Hinzu kommen die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS), Lese- und Rechtschreibstörungen (LRS) und Schwierigkeiten beim Rechnen (Dyskalkulie).
Viele Lehrer stöhnen bei ADHS-Kindern...
Natürlich ist das alles nervenaufreibend. Doch wenn ich einen Draht zu den Kindern finde, kann ich den Schulalltag für die angenehmer gestalten und das ist für mich ein großer Erfolg. Wenn dann die Eltern mitarbeiten, ist es perfekt. Dann kann man wirklich etwas verändern und bewirken. Das ist mein innerer Antrieb.
Die Oberschule als perfekter Ort - sagen das alle Ihrer Kolleginnen und Kollegen?
Es gab viele Mitreferendare, die zur Grundschule gewechselt sind und die Oberschule wieder verlassen haben. Die große Herausforderung ist die Balance zwischen Autorität und Jungsein. Anfangs ist mir dieser Mittelweg auch schwergefallen. Doch ich hatte tolle Mentoren, die immer ein offenes Ohr für mich hatten. Anderen Referendaren, die sich weniger gut betreut fühlten, fiel diese Balance schwerer.
Wie findet man diesen Mittelweg?
Wichtig ist eine klare Struktur für die Schüler und auch einem selbst. Man muss einen Weg finden, die eigene Lehrerpersönlichkeit in den Unterricht einbringen. Ich zum Beispiel bin ein authentischer Mensch, ich habe gute und schlechte Tage, ich mache Fehler. Das versuche ich nicht vor den Schülern zu verbergen.
Klingt gar nicht so schwer…
Natürlich muss man die Kinder auch mögen. Man sollte nicht von oben herab mit Schülern sprechen. Ich sage immer: "Ihr möchtet von mir respektvoll behandelt werden, dann behandelt mich auch respektvoll."
Und das klappt?
Ja, das klappt. In der Oberschule kriegen Sie die Schüler nur auf der menschlichen Ebene. Oft wird deren emotionale Intelligenz unterschätzt. Man trifft sie ganz oft auf der persönlichen Ebene. Es geht nicht darum, genug Einsen zu schreiben, sondern eine emotionale Verbindung aufzubauen und Interesse auch außerhalb der Schule zu fördern und zu fordern.
Oft heißt es, dass nur die (Sozial-)Schwachen zur Oberschule gehen?
Dieser Gedanke einer Klassengesellschaft ist genau der, der mich vom Gymnasium abgehalten hat. Das ist in gewisser Weise eine arrogante und elitäre Sicht auf die Schülerinnen und Schüler einer Oberschule. Es geht darum sich abzugrenzen von Menschen, die nicht so gut funktionieren und ins Bild passen. Sie impliziert, dass nur Menschen mit guten Leistungen wertvoll sind.
Anerkennung sollte also nicht zwingend an Leistung gekoppelt werden?
Genau. Deswegen habe ich mich ja auch entschieden, als Oberschullehrerin zu arbeiten. Probleme gibt es an jeder Schule. Das Oberschul-Bashing zeigt ein generelles Schwarz-Weiß-Denken, in dem nicht mehr differenziert wird. Zudem: Wir haben eine gemischte Klientel. Es gibt Schülerinnen und Schüler bei uns, die wären für das Gymnasium qualifiziert gewesen. Die Eltern haben sich dagegen entschieden, um ihre Kinder nicht zu großem Druck auszusetzen.
Gibt es wirklich dieses Klassendenken in Bezug auf die Schularten?
Leider. Ich glaube, das Klassendenken hat sich verschärft, durch die frühe Trennung der Kinder nach der vierten Klasse in Sachsen. Ich verstehe die Eltern, die natürlich die bestmögliche Förderung und Bildung für ihr Kind möchten. Doch es ist schon ein harter Gedanke zu sagen, Oberschule ist das, was übrig bleibt. Denn das ist es definitiv nicht. Manchmal haben Leistungsschwächen auch gar nichts mit dem IQ zu tun. Manchmal sind es auch Phasen und Knoten, die sich später lösen.
Ist der IQ überhaupt das Maß aller Dinge?
Meiner Meinung nach nicht. Wichtig sind die Grundwerte. Die sollte man in den Blick nehmen und vorleben. Es muss nicht jeder studieren. Handwerker verdienen auch gutes Geld und sie fehlen überall. Der Gedanke, ein Real- und Hauptschulabschluss sei nicht so viel wert, ist nicht zielführend. Es ist einfach ein anderer Schulabschluss.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | DIENSTAGS DIREKT | 16. Januar 2024 | 20:00 Uhr
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