Besuch in der Talenteschmiede Ringen um Erfolge: Sportoberschule Chemnitz trainiert Nachwuchselite in 13 Sportarten
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09. Januar 2023, 05:00 Uhr
Schnelligkeit, Ausdauer, Kraft, Technik: Mädchen und Jungen der Sportoberschule Chemnitz absolvieren eine Trainingseinheit im Ringen. Es ist Vormittag und das Training Bestandteil ihres Unterrichts. Am Nachmittag treffen sich die Nachwuchssportler wieder auf der Matte, dann ist noch einmal Training angesagt. Wer an der Sportoberschule Chemnitz lernt, kann zwischen 13 Sportarten wählen. Die Eliteschule hat einen guten Ruf weit über die Region hinaus. MDR SACHSEN hat die Nachwuchssportler besucht.
Die Sportoberschule Chemnitz - in der DDR Kinder- und Jugendsportschule - ist seit 70 Jahren eine Adresse für Erfolge. Schulleiter Torsten Kulakow sagt: "Wir wollen hier optimale Bedingungen fürs Training bieten." Dafür werde sogar der Unterricht rund ums Training herum geplant. Denn eines vorneweg: Wer die Sportoberschule Chemnitz besucht, muss den regulären sächsischen Lehrplan bewältigen. Obendrauf kommen noch vier Stunden Training als Profilunterricht in der gewählten Sportart sowie Training am Nachmittag sowie meist am Wochenende in den Vereinen. Insgesamt 13 Sportarten werden an der Sportoberschule vertiefend angeboten.
Strenge Leistungstests vor Aufnahme bei Sportverbänden
Vor der Aufnahme in die Sportoberschule müssen die Interessenten ein strenges Auswahlverfahren der Landesverbände der einzelnen Sportarten durchlaufen. Quereinsteiger, die einfach nur sportlich begabt sind, schaffen diese Prüfungen kaum, weiß Kulakow. Die meisten Mädchen und Jungen sind bereits in Sportvereinen aktiv und dort durch ihr Talent oder ihre sportlichen Erfolge aufgefallen.
Sie werden bei Wettkämpfen von Landestrainern gesichtet oder von ihren Vereinstrainerinnen und -trainern in Richtung Sportoberschule delegiert. "Manchmal sind auch die Eltern ehrgeiziger als ihre Kinder", sagt der Schulleiter auf Nachfrage. Ohne die Motivation der jungen Sportlerinnen und Sportler nützt der Ehrgeiz von Mama und Papa freilich wenig.
Diese Profilsportarten werden in Chemnitz angeboten
- Basketball
- Boxen
- Eishockey
- Eiskunstlauf
- Eisschnelllauf
- Fußball
- Gewichtheben
- Leichtathletik
- Radsport
- Ringen
- Schwimmen
- Turnen
- Wasserball
In Sachsen gibt es an insgesamt sechs Standorten sogenannte Eliteschulen des Sports mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsportarten.
Viele junge Ringerinnen und Ringer kommen aus der Region
Neben populären Sportarten, die jedes Wochenende Tausende Fans anlocken und entsprechend bekannt und beliebt sind, werden auch solche angeboten, die eher selten mit überregionaler Aufmerksamkeit bedacht werden. Zu ihnen gehört beispielsweise in Leipzig und in Chemnitz das Ringen - im freien Stil und römisch-griechisch. Das sportliche Kräftemessen ist Jahrtausende alt. Versuche, Ringen zu einer olympischen Auslaufdisziplin zu degradieren, sind gescheitert.
Und gerade das Erzgebirge und das Vogtland gelten als sächsische Ringerhochburgen. In Lugau, Thalheim, Gelenau, Aue, Markneukirchen, Plauen oder Pausa sind die örtlichen Ringervereine fest in der Bevölkerung verwurzelt, bei Lokalderbys verwandeln die Fans die örtlichen Ringerhallen in wahre Hexenkessel. Was liegt da näher, als junge Talente für die Eliteschule in Chemnitz zu begeistern.
Aus den Vereinen und aus der Sportstadt Chemnitz rekrutiert die Sportoberschule viele Nachwuchstalente - und das sind längst nicht mehr nur starke Jungen. Auch bei Mädchen wird Ringen zunehmend beliebter. Der sächsische Ringer-Landestrainer Nachwuchs, Heiko Krauß, sagt, dass sich Frauenringen seit den 1990er-Jahren durchgesetzt habe.
Frauenringen in der Sportwelt anerkannt
Vorbehalte der Männer? Fehlanzeige. Und das zeigt sich auch auf der Matte in der Ringerhalle der Sportoberschule, wo es gleichberechtigt zugeht und alle dieselben Leistungen bringen müssen. Was dabei auffällt: Die jungen Ringerinnen und Ringer scheinen eine eingeschworene Trainungsgemeinschaft zu sein und alle begegnen sich sich trotz Altersunterschieden und verschiedener Gewichtsklassen respektvoll und auf Augenhöhe. Profilsportlehrer Carsten Einhorn sagt, dass aktuell sechs Mädchen und 16 Jungen trainieren. Sie kommen von der Sportoberschule und aus dem benachbarten Sportgymnasium. Beide Schulen verstehen sich als Partner bei der Elitenförderung und stimmen die Trainingszeiten und die Stundenpläne entsprechend ab.
Intensive Trainingseinheit lässt kaum Pausen zu
Es geht los mit Aufwärmen, dann folgen Ausdauer- und Kraftübungen und natürlich die im Ringen wichtigen Grifftechniken und Würfe - an einigen Tagen geht es zum Ausgleich auch zum Schwimmen und Laufen. Richtiges Fallen und Abrollen vermindert das Verletzungsrisiko. Die Kommandos beim Ringkampf-Training geben nicht immer nur die beiden Trainer - auch die Schülerinnen und Schüler sind bei den Übungen eingebunden und fungieren paarweise als "Vorringer". Wer verletzt gerade nicht aktiv mittrainieren kann, darf sich als Ringrichter ausprobieren. Sie nehmen ihre Sache dabei ernst. "So lernen sie alle Seiten kennen und gewinnen neue Einblicke", sagt Carsten Einhorn.
Natürlich treten bei den Kampfübungen Jungen gegen Jungen und Mädchen gegen Mädchen an. Eine Ausnahme gibt es aber an diesem Vormittag: Die Geschwister Leja und Marick Schüßler aus der Ringerstadt Lugau bilden ein gemischtes Kampfpaar. Das liegt zum einen an der ähnlichen Gewichtsklasse der beiden Sportskanonen, zum anderen auch an krankheitsbedingten Ausfällen - so dass für Marick an diesem Vormittag ein Kampfpartner und für Leja eine Kampfpartnerin fehlen. Ihre Trainingseinheit absolvieren die Geschwister dennoch diszipliniert und ernsthaft.
Vin und Rafael: Kumpel in der Freizeit und auf der Ringermatte
Vin Bräuer und Rafael Bohn trainieren beim Thalheimer Ringerverein und sind echte Kumpel. Vin lernt an der Oberschule, Rafael am Gymnasium - sie wohnen gemeinsam im Internat der Sportschule in einem Zimmer und ergänzen sich beim Training. Und wie es in einem Städtchen wie Thalheim nun einmal ist, begegnen sich die Freunde auch am Wochenende jenseits ihres Ringervereins beim Fußball oder Radfahren. Am Ringen fasziniert die Jungen Kraft, Technik, Geschicklichkeit und die Koordination, die von den Kämpfern verlangt wird.
Auf Umwegen zum Kampfsport
Sophie Dartsch, Rohit Richter und Charlotte Christ haben auf Umwegen zum Ringen gefunden. Wenn sie die schweren Ringerpuppen zum Wurftraining durch die Luft wirbeln, könnte man meinen, sie hätten den Ringkampf von der Pike auf gelernt. Sophie und Rohit kommen allerdings vom Turnen, Charlotte vom Eisschnelllauf. Was sie eint: In ihren Ursprungsdisziplinen hatten sie ihre Leistungsgrenze erreicht. Da sie dem Leistungssport treu bleiben wollten, mussten sie eine neue Sportart finden. Die Betreuer der Sportoberschule beraten in solchen Fällen und bieten Schnupperkurse an.
Sportlerin: Ringen stärkt Selbstbewusstsein
Im Ringen fühlen sich die drei Teenager wohl. Frust schieben sie nur, wenn es bei Wettkämpfen trotz bester Vorbereitung nicht mit einem Sieg klappt oder sie gar eine Niederlage auf den Schultern einstecken müssen. Das sporne aber nach kurzem Ärger zu noch besserem Training an - insbesondere dem Techniktraining, meinen sie. Was Sophie am Zweikampf fasziniert: man könne die Leistung und das Ergebnis unmittelbar und meist auch unstrittig sehen und müsse nicht auf abstrakte Zahlen von Messgeräten oder Wertungsrichtern warten. Und Ringen stärke auch das Selbstbewusstsein, betont die Jugendliche. Wie lange sie dem Ringen treu bleibt, darauf will sich die 14-Jährige nicht festlegen. In jedem Fall will sie nach dem Schulabschluss zunächst eine Ausbildung im medizinischen Bereich machen.
Aussicht auf Wettkämpfe spornt an
Was alle jungen Ringerinnen und Ringer übereinstimmend betonen: Sie brennen auf die Teilnahme an Turnieren und Kampftagen im In- und Ausland. So waren die beiden Trainer zuletzt mit einigen ihrer Schützlinge in Prag. Solche Veranstaltungen seien wichtig für die Entwicklung der Sportlerinnen und Sportler, weil sie ihr Können vor größerem Publikum unter Beweis stellen und Erfahrungen mit neuen Gegnerinnen und Gegnern sammeln können, so Sportlehrer Carsten Einhorn. Er und Landesnachwuchstrainer Heiko Krauß sind auch fast jedes Wochenende bei Vereinswettkämpfen in der Region unterwegs, analysieren dort die Kämpfe ihrer Ringerinnen und Ringer und sichten nebenbei noch neue Talente.
Beachwrestling soll Ringen attraktiver machen
Ringen hat Zukunft, darüber sind sich die Ringertrainer der Chemnitzer Sportoberschule einig. Um neues Publikum zu erreichen, werde seit einiger Zeit im Sommer Beachwrestling auch in Deutschland etabliert. Die Kämpfe werden auf Sand ausgetragen und erinnern optisch an frühe Ringkampfdarstellungen der Antike. Es gelten auch dort strenge Regeln des Deutschen Ringerbundes. In diesem Jahr, so Einhorn, sei erstmals ein Beachwrestling-Wochenende im Vogtland geplant.
Kontakt zu Spitzenathleten bleibt
Wer die Sportoberschule Chemnitz besucht, merkt schnell: Hier wird der Sport nicht nur getrieben, hier wird Sport gelebt. Stolz weist Schulleiter Torsten Kulakow auf EM-, WM- und Olympia-Medaillen ehemaliger Schülerinnen und Schüler. Und auf ihrer Internetseite berichtet die Schule regelmäßig über die Erfolge der jungen Sportlerinnen und Sportler.
Name | Sportart | Erfolge (Auswahl während und nach der Schulzeit) |
---|---|---|
Marcus Burghardt | Radrennfahrer | Sieg bei Gent-Welvegem 2007, Sieg 18. Etappe Tour de France 2008, Etappensiege Tour de Suisse 2010 |
Anja Mittag | Fußballerin | 158 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft mit 50 Toren |
Steve Theloke | Schwimmer | u.a. Bronze bei Olympischen Spielen 2000 |
Christin Ulrich | Gewichtheberin | drei erste Plätze bei der Jugend-EM 2007 |
Tom Schwarzbach | Gewichtheber | vierter Platz WM, Europameister |
Kristin Gierisch | Leichtathletin | Medaillen bei mehreren EM und WM |
Joachim Eilers | Bahnradsportler | u.a. mehrfach Gold bei Welt-Cup-Rennen |
Ronny Beblik | Boxer | Medaillen bei WM und EM |
Sophie Scheder | Turnerin | EM- und Olympiamedaillen |
Max Lang | Gewichtheber | Gold bei mehreren internationalen Turnieren |
Pauline Walzak | Gewichtherberin | u.a. dritter Platz bei Jugend-EM |
Cindy Roleder | Leichtathletin | Silber bei WM 2015 in 100 Meter Hürden |
Pauline Schäfer | Turnerin | Medaillen bei WM (Spezialgerät Balken) |
Lea-Sophie Klik | Leichtathletin | Silber U18-Weltmeisterschaften im Weitsprung |
Lilly Schneider | Ringerin | Silber Jugend-WM |
Chris Löwe | Fußballer | u.a. beim Chemnitzer FC, Dynamo Dresden, 1. FC Kaiserslautern und mit Borussia Dortmund Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger 2012 |
Auch international beachtete Sportgrößen wie Diskuswerfer Lars Riedel oder Eiskunstläuferin Katarina Witt haben einst an der KJS in Karl-Marx-Stadt ihr Rüstzeug fürs Leben und für ihre Sportkarriere bekommen. Der Schulleiter betont, dass viele Top-Athletinnen und -Athleten noch Kontakt zur Schule hielten, hin und wieder vorbeischauten und natürlich echte Vorbilder für die Schülerinnen und Schüler seien.
Zahlen und Fakten zur Sportoberschule Chemnitz
- Zahl der Schüler insgesamt: 223
- Diese Klassenstufen werden unterrichtet: zweizügig - 5. bis 10. Klasse
- Der Klassenteiler liegt bei maximal 28, in der Praxis nach Angaben der Schulleitung aber deutlich darunter.
- Aktuell werden auch 14 ukrainische Schüler unterrichtet.
- Eltern zahlen für die Internatsunterbringungen 259,86 Euro zuzüglich 14,10 Euro pro Tag für die Vollverpflegung.
- Gibt es ein Auswahlverfahren für die Aufnahme der Schüler und wie läuft das ab? Ja, interessierte Schülerinnen und Schüler müssen ein strenges Auswahlverfahren der Landesverbände der einzelnen Sportarten durchlaufen.
- Pädagogisches Profil der Schule: sportliches Profil, Wahl zwischen 13 Sportarten
- Schule in staatlicher Trägerschaft
- Besonderheiten: Für Sportkader, die für Wettkämpfe mehr trainieren müssen, kann die Schule den Unterricht in der 7. und 8. oder in der 9. und 10. Klasse dehnen - das bedeutet, zwei Schuljahre werden auf drei gestreckt und der Lehrplan für diese Athletinnen und Athleten entsprechend angepasst.
- Mehr Infos zur Sportoberschule Chemnitz auf deren Homepage.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 10. Januar 2023 | 20:00 Uhr