Vietnamesen Chemnitz Pham Phi Son und seine Familie
Pham Phi Son, seine Frau Nguyen Thi Quynh Hoa und Tochter Emilia besuchten die Kundgebung in der Innenstadt von Chemnitz und kamen mit Anwesenden ins Gespräch. Sie waren von der großen Solidarität sichtlich berührt. Bildrechte: Harry Härtel

Keine Abschiebung Familie aus Vietnam darf vorerst in Chemnitz bleiben, demonstriert wird trotzdem

17. Februar 2023, 20:34 Uhr

Familie Pham/Nguyen aus Chemnitz darf vorerst in Deutschland bleiben. Doch es ist nur ein Etappensieg für die Familie mit vietnamesischen Wurzeln. Das wurde auch während einer Demonstration am Freitagabend vor der Ausländerbehörde in Chemnitz klar. Prominente Sprecher wie Frank Richter machten allerdings darauf aufmerksam, dass Probleme im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur im Fall Pham vorkommen.

Die Familie Pham/Nguyen wird vorerst nicht abgeschoben. Das hat die Stadt Chemnitz bekanntgegeben. In einer entsprechenden Erklärung heißt es, nach der Entscheidung der Härtefallkommission liege der Fall der Familie wieder bei der Ausländerbehörde der Stadt Chemnitz. Die Behörde werde Kontakt zur Familie und deren Anwältin aufnehmen und das weitere Vorgehen abstimmen.

Dabei solle es unter anderem darum gehen, wie und in welchem Zeitraum die noch fehlenden Nachweise der Integration von Herrn Pham und Frau Nguyen erbracht werden können. Hierbei werde die Familie von der Ausländerbehörde der Stadt Chemnitz unterstützt, hieß es in der Mitteilung.

Zahlreiche Unterstützer für Verbleib der Familie aus Vietnam

Der Fall der Familie hatte monatelang Behörden und die Öffentlichkeit beschäftigt. Mehr als 80.000 Menschen hatten sich in einer Petition online für einen Verbleib ausgesprochen. Der Mann lebt seit 35 Jahren in Chemnitz und hatte eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Diese wurde ihm entzogen. Ihm wird vorgeworfen, länger als die erlaubten sechs Monate in Vietnam gewesen zu sein - seinen Angaben zufolge zur medizinischen Behandlung.

Innenminister Schuster begrüßt die Entscheidung

Die Entscheidung der Stadt Chemnitz wurde in den Sozialen Netzwerken weitestgehend positiv aufgenommen. Auch Armin Schuster, der Sächsische Innenminister, gab über Twitter ein Statement ab, in dem er die Entscheidung begrüßte.

Mehr als 300 Menschen bei Soli-Kundgebung in Chemnitz

Obgleich die Entscheidung der Stadt am Freitag gefallen ist, versammelten sich am späten Nachmittag nach Schätzung einer MDR-Reporterin mehr als 300 Menschen auf dem Düsseldorfer Platz in der Chemnitzer Innenstadt. Dort ist die Ausländerbehörde der Stadt angesiedelt. Aufgerufen dazu hatte der sächsische Flüchtlingsrat. Man freue sich zwar über den Teilerfolg. Doch Ziel sei ein endgültiges Bleiberecht. Auch die Familie Pham besuchte die Veranstaltung, wurde von den Anwesenden warmherzig begrüßt.

Pham Phi Son von der Unterstützung sichtlich bewegt

"Nun habe ich eine Chance zu arbeiten und zu leben, wie auch andere in Deutschland", sagte Pham Phi Son sichtlich gerührt. Er sprach mit mehreren Anwesenden und stellte sich den Fragen der zahlreichen Medienvertreter. Als Redner aufs Podest trat er allerdings nicht, obgleich sich das einige Anwesende gewünscht hätten, darunter auch der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Patt.

"Ich würde mir wünschen, dass Herr Pham zu uns spricht. Er kann doch mal was aus seinem Leben erzählen", sagte der Politiker. Er bemängelt, dass die betroffene Familie zu wenig selbst das Wort ergreift und andere für sich sprechen lässt. Auf die Frage, ob er denn möchte, dass die Familie bleibt, antwortete er: "Es ist keine Sache des Mögens, sondern des Rechts und vor dem sind alle gleich."

Chemnitzer üben Kritik an OB Schulze

Unter den Kundgebungsteilnehmern waren auch Detlev und Sylvia Heine. Sie wohnen in Chemnitz und wollten ein Zeichen setzen für den Verbleib der Familie in der Stadt. "Uns geht es auch darum, dass es keine Ungleichbehandlung gibt. Viele Menschen kommen seit 2015 in unser Land und werden auch nicht abgeschoben, wenn sie Straftaten begehen. Diese Familie hier ist fleißig und freundlich. Sie sind gut integriert und zahlten Steuern. Dass sie abgeschoben werden, finden wir ungerecht", sagt Detlev Heine. Kritik übt er am Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD): "Er setzt sich nicht ein und sagt einfach, er kann nichts machen. Da hat er seinen Job verfehlt."

Schulzes Parteigenossin Renata Marwege, Co-Vorsitzende der Chemnitzer SPD, war ebenfalls vor Ort. "Es ist würdelos, Menschen nach 35 Jahren als nicht integriert zu bezeichnen", sagte sie. "Es muss auf ein Bleiberecht hinauslaufen." Der frühere Bürgerrechtler und Politiker Frank Richter, Landtagsabgeordneter der SPD, fügte an: "Für mich steht die Familie Pham für das freundliche, friedliche und fleißige Gesicht von Chemnitz. Herr Pham ist ja auch der bekannteste Chemnitzer derzeit."

Bürgerrechtler Frank Richter kritisiert Migrationspolitik

Als Frank Richter als Podiumsredner auf der Kundgebung später den ökonomischen Wert von Migrantinnen und Migranten betonte, musste er sich einige Buhrufe gefallen lassen.

Richter übte Kritik am Umgang mit Ausländerinnen und Ausländern insgesamt. Etwa wenn Behördenbesuche erschwert würden, da diese sich in der Vergangenheit schon mehrfach als Falle entpuppt hätten, auf die die Abschiebung folgte. "Versuchen Sie sich mal vorzustellen wie es ist, Jahrzehnte in Angst zu leben", appellierte er an die Menge.

Migrationsforscher: Für alle eine Lösung finden

Für Menschen, die mit dieser Angst leben und selbst aus einer Familie mit Migrationshintergrund stammend, sprach Paolo Le van auf der Kundgebung. Le van ist kurz vor dem Fall der Mauer als Sohn einer Deutschen und eines vietnamesischen Vertragsarbeiters in der Oberlausitz geboren. Seit mehr als 25 Jahren wohnt er in Dresden und hat hier unter anderem Philosophie studiert. "Wir müssen für alle eine Lösung finden. Viele leben mit ihren Familien ja schon in der zweiten oder dritten Generation hier", sagt Le van, der auch als Referent für Politische Arbeit für den Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen e.V. tätig ist und sich intensiv mit dem Thema Ostdeutsche Migrationsgeschichte beschäftigt.

Auch der politische Geschäftsführer der Grünen Jugend Chemnitz, Erik Neubert, sieht im Fall Pham/Nguyen nur eins von vielen Schicksalen. "Wir sind nicht hier, um nur diese Familie zu unterstützen. Wir wollen allen migrantischen Personen dieser Stadt helfen."

MDR (pri/sho)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 17. Februar 2023 | 19:00 Uhr

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