Drohende Abschiebung Wie weiter nach Härtefall-Entscheidung gegen Chemnitzer Vietnamesen?
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16. Februar 2023, 10:26 Uhr
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Doch die Chancen auf einen Verbleib des Vietnamesen Pham Phi Son in Chemnitz schwinden, nachdem ein Härtefall-Antrag erneut abgelehnt wurde. Politiker verschiedener Parteien kritisieren die Entscheidung und mahnen eine Änderung der Abschiebepraxis an. Die Hoffnungen der Familie richten sich nun vor allem auf einen Aufenthalt aus humanitären Gründen.
- Nach der erneuten Ablehnung eines Härtefall-Antrags droht einer vietnamesischen Familie die Abschiebung, obwohl sie gut integriert ist.
- Die Ausländer-Behörde in Chemnitz prüft nun, ob die Familie trotzdem in Deutschland bleiben kann.
- An der Entscheidung der Härtefall-Kommission und dem Umgang der Behörden mit der Familie wächst die Kritik.
Wenn es nach den Behörden in Sachsen ginge, dürfte sich der Vietnamese Pham Phi Son nicht mehr in Deutschland aufhalten. Der Mann, der seit mehr als drei Jahrzehnten in Deutschland lebt, und seine Familie könnten deshalb abgeschoben werden. Nach Angaben der Landesdirektion Sachsen war die Familie bereits zur Ausreise verpflichtet, wurde aber für die Zeit des Härtefallverfahrens geduldet.
Pham Phi Son war 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen. Zwischenzeitlich war er allerdings länger als ein halbes Jahr wieder in Vietnam gewesen und hatte damit Fristen in Deutschland verletzt.
Flüchtlingsrat: Abschiebung würde Tochter traumatisieren
Auch nach der Entscheidung der Härtefall-Kommission hat die Familie aber eine Duldung und darf weiter hier arbeiten, wie der Sprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates, Dave Schmidtke, MDR SACHSEN sagte. Beide Elternteile gehen demnach einer Beschäftigung nach und Frau Nguyen besucht zusätzlich einen Sprachkurs. "Eine Abschiebung würde nicht nur die Eltern aus ihrem Leben reißen, sondern auch die in Deutschland geborene Tochter traumatisieren." Die Sechsjährige sei noch nie in Vietnam gewesen, sie spreche die deutsche Sprache und sollte im Sommer eingeschult werden, so Schmidtke.
Eine Abschiebung würde nicht nur die Eltern aus ihrem Leben reißen, sondern auch die in Deutschland geborene Tochter traumatisieren.
Ob eine Abschiebung der Familie erfolgen kann, muss nun die Ausländerbehörde Chemnitz prüfen. Die Begründung zur Entscheidung der Härtefallkommission liege noch nicht vor, teilte die Stadt auf Anfrage von MDR SACHSEN mit. Man werde "selbstverständlich nochmals die Voraussetzungen für ein mögliches Bleiberecht prüfen". Ein offenes Verfahren sei dazu aktuell noch anhängig. Bei dieser Prüfung werde auch das neue Chancen-Aufenthaltsrecht Berücksichtigung finden.
Keine Chance auf Chancen-Aufenthaltsrecht
Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht setze allerdings voraus, dass "der geduldete Ausländer am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat." Dies ist aber bei der Familie Pham Phi Son offenbar nicht der Fall, weil sie nach dem ersten abgelehnten Antrag der Härtefall-Kommission 2019 untergetaucht war, um einer Abschiebung zu entgehen.
Auch der Sächsische Flüchtingsrat geht deshalb nicht davon aus, dass sich über das Chancen-Aufenthaltsrecht für die vietnamesische Familie neue Möglichkeiten ergeben. "Bevor der Antrag an die Härtefallkommission gestellt wurde, erfolgte bereits eine Prüfung der Sachlage", sagte Sprecher Dave Schmidtke. Diese mögliche Perspektive für die Familie hatte Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth nach der Entscheidung der Härtefall-Kommission genannt.
Der Flüchtlingsrat setzt deshalb derzeit vor allem auf das anhängige Verfahren für einen Aufenthalt aus humanitären Gründen - und auf die Öffentlichkeit. Für Freitagnachmittag hat der Flüchtlingsrat eine Kundgebung vor der Ausländerbehörde in Chemnitz angekündigt. Mehr als 85.000 Menschen haben sich bereits in einer Online-Petition für den Verbleib der Familie ausgesprochen.
Wachsende Kritik aus der Politik am Umgang mit der Familie
Für den SPD-Landtagsabgeordneten Albrecht Pallas zeigt der Fall die "absurde und hässliche Seite des Aufenthaltssystems". "Es wird höchste Zeit, dass hier grundsätzlich etwas passiert und gut integrierte Menschen Perspektiven bekommen, anstatt sie abzuschieben." SPD-Landesvizin Sophie Koch machte unter anderem geltend, dass die Tochter der Familie kurz vor der Einschulung steht. "Eine Abschiebung wäre ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben und jetzt trotzdem Angst vor einer Abschiebung haben müssen", sagte sie.
Eine Abschiebung wäre ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben und jetzt trotzdem Angst vor einer Abschiebung haben müssen.
Die Jusos fordern eine Überprüfung der Entscheidung der Härtefallkommission und eine Lösung, die den Betroffenen ein sicheres Leben in Deutschland ermöglicht. Die Linke-Politikerin Juliane Nagel erklärte, die aufenthaltsrechtliche Tortur der Familie währe nun das sechste Jahr. Sie erwarte, dass die Ausländerbehörde Chemnitz jetzt endlich das beende, "wozu eine Kommission, die den Härtefall im Namen trägt, nicht in der Lage war".
MDR (kbe)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 14. Februar 2023 | 19:00 Uhr